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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Plaudereien aus Wien.

-- Einer meiner Bekannten, dem ich einige Gulden ge¬
borgt, hatte das Unglück, mir einige Zeit darauf in einer engen Gasse zu be¬
gegnen. Entschlüpfen war nicht möglich und so drückten wir uns recht freund¬
schaftlich die Hand, wobei ich eine leise Erinnerung an jenes kleine Darlehn fallen
ließ. Der gute Bekannte räusperte sich erst gewaltig und sagte dann mit der
naivsten Miene: Hin, hin, bin heute sehr verschleimt, verdammter Schnupfen!
Natürlich konnte ich nur mein tiefstes Beileid ausdrücken und mit einem noch
herzlicheren Händedruck mich entfernen. Unsre Börse ist auch sehr verschleimt. Der
Schnupfen von der Krimerpedition geht ihr nicht aus den Gliedern. Die rus¬
sischen Depeschen, obwol sie fast täglich die Widerholung dessen bringen, was
sie gestern gebracht haben, schlagen doch, wie ein Novemberregen, alle gute
Laune nieder. Auch in unsren diplomatischen Kreisen begegnet man nicht mehr
den heiteren Gesichtern wie vor wenig Wochen. Die Zuversicht in den baldigen
Fall der taurischen Festung ist sehr erschüttert. Man spricht nur noch, wie der
Moniteur, avec onde rssorve von dem möglichen Gelingen der ganzen Erpedition
für dieses Kriegsjahr. Am besten ist noch bei der Chance dieses heißblütigen Feld-
zuges unser Cabinet gestellt. Es hatte vom Anfang an offen erklärt, daß seine
Politik von der Entscheidung betreff Sebastopols ganz unabhängig sei. Auch
Herrn von der Pfordten, dem neuen Hort unsrer Friedensfreunde, wurde dies
unumwunden erklärt. So wird der baierische Premier den Eindruck von hier
mitnehmen, daß das Programm der östreichischen Stellung in der jetzigen Krisis
klar und fest vorgezeichnet ist. Ob es ihm nun gelingen wird, auf diese Ueber¬
zeugung hin weiter zu vermitteln? Wer noch die deutschen Geschichten deS
jüngsten Jahrzehnts im Kopfe hat, kann sich bei dem Namen von der Pfordten
nickt der Erinnerung entschlagen, wie der ehemalige Professor und Rector der
Leipziger Universität es so gut verstand, die ungeberdigen Markomanen und
Cherusker (ter Studentenschaft) im Zaume zu halten und manchen ernsten
Zwiespalt zwischen diesen deutschen Stammesgenossen und den Nachtwandlern
in der humanster Weise zu' vermitteln. Wenn es ihm schon damals, ehe er
noch in die eigentlich diplomatische Carriere eingetreten, so gut gelungen war,
die Uneinigkeit jener entschieden deutschen Mächte beizulegen, warum sollte ihm
heute, wo er sich im Bereiche der diplomatischen Thätigkeit bewegt, nicht um so ge¬
wisser das schwierige Vermittlungswerk gelingen?-- Ich will nicht gradezu behaup¬
ten, daß die Staatsmänner, welche am Wiener Hofe die orientalische Frage im
Interesse der verschiedenen deutschen und auswärtigen Mächte handhaben, sich diese
Reminiscenz aus dem Leben des deutschen Friedensstifters jetzt zu Nutze gemacht
haben. Gewiß ist aber, daß Herr von der Pfordten in allen politischen Kreisen


Plaudereien aus Wien.

— Einer meiner Bekannten, dem ich einige Gulden ge¬
borgt, hatte das Unglück, mir einige Zeit darauf in einer engen Gasse zu be¬
gegnen. Entschlüpfen war nicht möglich und so drückten wir uns recht freund¬
schaftlich die Hand, wobei ich eine leise Erinnerung an jenes kleine Darlehn fallen
ließ. Der gute Bekannte räusperte sich erst gewaltig und sagte dann mit der
naivsten Miene: Hin, hin, bin heute sehr verschleimt, verdammter Schnupfen!
Natürlich konnte ich nur mein tiefstes Beileid ausdrücken und mit einem noch
herzlicheren Händedruck mich entfernen. Unsre Börse ist auch sehr verschleimt. Der
Schnupfen von der Krimerpedition geht ihr nicht aus den Gliedern. Die rus¬
sischen Depeschen, obwol sie fast täglich die Widerholung dessen bringen, was
sie gestern gebracht haben, schlagen doch, wie ein Novemberregen, alle gute
Laune nieder. Auch in unsren diplomatischen Kreisen begegnet man nicht mehr
den heiteren Gesichtern wie vor wenig Wochen. Die Zuversicht in den baldigen
Fall der taurischen Festung ist sehr erschüttert. Man spricht nur noch, wie der
Moniteur, avec onde rssorve von dem möglichen Gelingen der ganzen Erpedition
für dieses Kriegsjahr. Am besten ist noch bei der Chance dieses heißblütigen Feld-
zuges unser Cabinet gestellt. Es hatte vom Anfang an offen erklärt, daß seine
Politik von der Entscheidung betreff Sebastopols ganz unabhängig sei. Auch
Herrn von der Pfordten, dem neuen Hort unsrer Friedensfreunde, wurde dies
unumwunden erklärt. So wird der baierische Premier den Eindruck von hier
mitnehmen, daß das Programm der östreichischen Stellung in der jetzigen Krisis
klar und fest vorgezeichnet ist. Ob es ihm nun gelingen wird, auf diese Ueber¬
zeugung hin weiter zu vermitteln? Wer noch die deutschen Geschichten deS
jüngsten Jahrzehnts im Kopfe hat, kann sich bei dem Namen von der Pfordten
nickt der Erinnerung entschlagen, wie der ehemalige Professor und Rector der
Leipziger Universität es so gut verstand, die ungeberdigen Markomanen und
Cherusker (ter Studentenschaft) im Zaume zu halten und manchen ernsten
Zwiespalt zwischen diesen deutschen Stammesgenossen und den Nachtwandlern
in der humanster Weise zu' vermitteln. Wenn es ihm schon damals, ehe er
noch in die eigentlich diplomatische Carriere eingetreten, so gut gelungen war,
die Uneinigkeit jener entschieden deutschen Mächte beizulegen, warum sollte ihm
heute, wo er sich im Bereiche der diplomatischen Thätigkeit bewegt, nicht um so ge¬
wisser das schwierige Vermittlungswerk gelingen?— Ich will nicht gradezu behaup¬
ten, daß die Staatsmänner, welche am Wiener Hofe die orientalische Frage im
Interesse der verschiedenen deutschen und auswärtigen Mächte handhaben, sich diese
Reminiscenz aus dem Leben des deutschen Friedensstifters jetzt zu Nutze gemacht
haben. Gewiß ist aber, daß Herr von der Pfordten in allen politischen Kreisen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/346>, abgerufen am 07.05.2024.