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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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wie im vorigen Roman das Laster, daß zum Schluß alles niedergemetzelt
wird. Da dies Mal das Genre deö Giftmordes nicht in der Natur der handelnden
Personen liegt, so wird die Cholera zu Hilfe gerufen, um der Geschichte ein
Ende zu machen. --


Libussa. Jahrbuch für 1835. Herausgegeben von Paul Aloys Klar. Vier¬
zehnter Jahrgang. Mit einem gestochenen Porträt und drei gestochenen
Kunstblättern. Leipzig, H. Hübner. --

Der Jahrgang enthält, wie die früheren, allerlei mehr oder minder gelungene
kleine Sachen, Lieder, Gedichte und Beschreibungen. Die meiste Aufmerksam¬
keit haben wir der Biographie deö Dichters Alfred Meißner geschenkt, die zwar
von einem andern bearbeitet ist, aber dem Material nach jedenfalls von ihm
selbst herrührt. Das soll kein Tadel sein, denn die Darstellung ist keineswegs
unbescheiden. Wir erfahren daraus, daß der Dichter sich durch den zweifel¬
haften Erfolg seiner beiden ersten Stücke nicht hat abschrecken lassen, daß er
vielmehr zwei neue fertig hat und mit denselben im Laus dieses Winters her¬
vortreten will. Das ist verständig, denn wenn der deutschen Bühne auf¬
geholfen werden soll, so müssen vor allen Dingen neue Stücke geschrieben
werden; und auch mißlungene Versuche sind kein Unglück, wenn sie nur von
einem fleißigen Studium des menschlichen Herzens ausgehen. In dieser Be¬
ziehung möchten wir dem Dichter, für dessen Talent wir uns lebhaft inter-
essiren, einen Rath geben. Er hat das Unglück gehabt, in ziemlich früher Jugend
durch lyrische Gedichte zu einer gewissen Berühmtheit zu kommen. Seit der
Zeit ist ihm, wie so manchem-andern modernen Poeten, das Prädicat "junger
Dichter" geblieben, das jetzt, da er 32 Jahr alt ist, doch nicht mehr so ganz
unbedingt angewandt werden kann. Diese jungen Dichter unsrer Tage haben
nun eine Reihe liebedienerischer Freunde, welche das Prädicat der Jugend gern
recht lange erhalten möchten. Sie rufen bei jedem neuen Versuch: hier ist
zwar noch nicht völlige Vollendung, aber welch kühne, gewaltige, großartige
Gährung :c. Vor solchen Lobsprüchen kann der junge Dichter nicht genug
auf seiner Hut sein. Wenn man unter Jugend nichts Anderes versteht, als
frischen Muth und Wärme des Herzens, so soll nicht blos jeder Dichter, son¬
dern jeder Mensch sich bemühen, soweit es geht, ewig jung zu bleiben. Aber
man versteht unter- Jugend meistens Unreife und Unfertigst der Bildung, und
diese Jugend soll man so zeitig als möglich loswerden. Es ist in der That
soweit gekommen, daß man Unreife für ein besonderes Kennzeichen des Genius
ansieht. Wir haben in Deutschland einzelne unglückliche Dichter gehabt, die
sich dem Trunk ergaben und in Liederlichkeit untergingen, andere, die im
Irrenhaus endeten. Daraus hat man die weitere Siegel abstrahirt, daß der
Genius sich vor allen Dingen durch Neigung zur Liederlichkeit und zum Wahn-


wie im vorigen Roman das Laster, daß zum Schluß alles niedergemetzelt
wird. Da dies Mal das Genre deö Giftmordes nicht in der Natur der handelnden
Personen liegt, so wird die Cholera zu Hilfe gerufen, um der Geschichte ein
Ende zu machen. —


Libussa. Jahrbuch für 1835. Herausgegeben von Paul Aloys Klar. Vier¬
zehnter Jahrgang. Mit einem gestochenen Porträt und drei gestochenen
Kunstblättern. Leipzig, H. Hübner. —

Der Jahrgang enthält, wie die früheren, allerlei mehr oder minder gelungene
kleine Sachen, Lieder, Gedichte und Beschreibungen. Die meiste Aufmerksam¬
keit haben wir der Biographie deö Dichters Alfred Meißner geschenkt, die zwar
von einem andern bearbeitet ist, aber dem Material nach jedenfalls von ihm
selbst herrührt. Das soll kein Tadel sein, denn die Darstellung ist keineswegs
unbescheiden. Wir erfahren daraus, daß der Dichter sich durch den zweifel¬
haften Erfolg seiner beiden ersten Stücke nicht hat abschrecken lassen, daß er
vielmehr zwei neue fertig hat und mit denselben im Laus dieses Winters her¬
vortreten will. Das ist verständig, denn wenn der deutschen Bühne auf¬
geholfen werden soll, so müssen vor allen Dingen neue Stücke geschrieben
werden; und auch mißlungene Versuche sind kein Unglück, wenn sie nur von
einem fleißigen Studium des menschlichen Herzens ausgehen. In dieser Be¬
ziehung möchten wir dem Dichter, für dessen Talent wir uns lebhaft inter-
essiren, einen Rath geben. Er hat das Unglück gehabt, in ziemlich früher Jugend
durch lyrische Gedichte zu einer gewissen Berühmtheit zu kommen. Seit der
Zeit ist ihm, wie so manchem-andern modernen Poeten, das Prädicat „junger
Dichter" geblieben, das jetzt, da er 32 Jahr alt ist, doch nicht mehr so ganz
unbedingt angewandt werden kann. Diese jungen Dichter unsrer Tage haben
nun eine Reihe liebedienerischer Freunde, welche das Prädicat der Jugend gern
recht lange erhalten möchten. Sie rufen bei jedem neuen Versuch: hier ist
zwar noch nicht völlige Vollendung, aber welch kühne, gewaltige, großartige
Gährung :c. Vor solchen Lobsprüchen kann der junge Dichter nicht genug
auf seiner Hut sein. Wenn man unter Jugend nichts Anderes versteht, als
frischen Muth und Wärme des Herzens, so soll nicht blos jeder Dichter, son¬
dern jeder Mensch sich bemühen, soweit es geht, ewig jung zu bleiben. Aber
man versteht unter- Jugend meistens Unreife und Unfertigst der Bildung, und
diese Jugend soll man so zeitig als möglich loswerden. Es ist in der That
soweit gekommen, daß man Unreife für ein besonderes Kennzeichen des Genius
ansieht. Wir haben in Deutschland einzelne unglückliche Dichter gehabt, die
sich dem Trunk ergaben und in Liederlichkeit untergingen, andere, die im
Irrenhaus endeten. Daraus hat man die weitere Siegel abstrahirt, daß der
Genius sich vor allen Dingen durch Neigung zur Liederlichkeit und zum Wahn-


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[0415] wie im vorigen Roman das Laster, daß zum Schluß alles niedergemetzelt wird. Da dies Mal das Genre deö Giftmordes nicht in der Natur der handelnden Personen liegt, so wird die Cholera zu Hilfe gerufen, um der Geschichte ein Ende zu machen. — Libussa. Jahrbuch für 1835. Herausgegeben von Paul Aloys Klar. Vier¬ zehnter Jahrgang. Mit einem gestochenen Porträt und drei gestochenen Kunstblättern. Leipzig, H. Hübner. — Der Jahrgang enthält, wie die früheren, allerlei mehr oder minder gelungene kleine Sachen, Lieder, Gedichte und Beschreibungen. Die meiste Aufmerksam¬ keit haben wir der Biographie deö Dichters Alfred Meißner geschenkt, die zwar von einem andern bearbeitet ist, aber dem Material nach jedenfalls von ihm selbst herrührt. Das soll kein Tadel sein, denn die Darstellung ist keineswegs unbescheiden. Wir erfahren daraus, daß der Dichter sich durch den zweifel¬ haften Erfolg seiner beiden ersten Stücke nicht hat abschrecken lassen, daß er vielmehr zwei neue fertig hat und mit denselben im Laus dieses Winters her¬ vortreten will. Das ist verständig, denn wenn der deutschen Bühne auf¬ geholfen werden soll, so müssen vor allen Dingen neue Stücke geschrieben werden; und auch mißlungene Versuche sind kein Unglück, wenn sie nur von einem fleißigen Studium des menschlichen Herzens ausgehen. In dieser Be¬ ziehung möchten wir dem Dichter, für dessen Talent wir uns lebhaft inter- essiren, einen Rath geben. Er hat das Unglück gehabt, in ziemlich früher Jugend durch lyrische Gedichte zu einer gewissen Berühmtheit zu kommen. Seit der Zeit ist ihm, wie so manchem-andern modernen Poeten, das Prädicat „junger Dichter" geblieben, das jetzt, da er 32 Jahr alt ist, doch nicht mehr so ganz unbedingt angewandt werden kann. Diese jungen Dichter unsrer Tage haben nun eine Reihe liebedienerischer Freunde, welche das Prädicat der Jugend gern recht lange erhalten möchten. Sie rufen bei jedem neuen Versuch: hier ist zwar noch nicht völlige Vollendung, aber welch kühne, gewaltige, großartige Gährung :c. Vor solchen Lobsprüchen kann der junge Dichter nicht genug auf seiner Hut sein. Wenn man unter Jugend nichts Anderes versteht, als frischen Muth und Wärme des Herzens, so soll nicht blos jeder Dichter, son¬ dern jeder Mensch sich bemühen, soweit es geht, ewig jung zu bleiben. Aber man versteht unter- Jugend meistens Unreife und Unfertigst der Bildung, und diese Jugend soll man so zeitig als möglich loswerden. Es ist in der That soweit gekommen, daß man Unreife für ein besonderes Kennzeichen des Genius ansieht. Wir haben in Deutschland einzelne unglückliche Dichter gehabt, die sich dem Trunk ergaben und in Liederlichkeit untergingen, andere, die im Irrenhaus endeten. Daraus hat man die weitere Siegel abstrahirt, daß der Genius sich vor allen Dingen durch Neigung zur Liederlichkeit und zum Wahn-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/415>, abgerufen am 07.05.2024.