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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Ein heftiger Sturmwind fährt vor ihm her. Hin und wieder geht die Sage,
wenn es recht lose, verkünde es ein fruchtbares Jahr. In Rotenburg hat es
einmal ein ganzes Haus umgerissen, und an vielen Orten wurden Neugierige,
die es sehen wollten, geblendet, und Spötter, die ihm Hvhnworte zuriefen, mit
Pferdeschinken oder Geisfüßen geworfen, daß sie vor Schrecken starben.

Wäre noch ein Zweifel, daß es Wuotan mit dem Heere der nach Walhalla
geladenen Helden ist, der hier an seinem Feste durch die Lande zieht, so müßte
er bei Betrachtung des Umstands schwinden, daß tzer Anführer der wilden Jagd
in einigen Gegenden gradezu der "Breithut" heißt, eine Benennung, welche
auf das überraschendste dem Beinamen "Sidhöttr" entspricht, den Odin in
der Edda sührt.

Mit diesem Bilde schließen wir die Reihe von mehr oder minder farbigen
Schatten, die wir der Zauberlaterne des Weihnachtsaberglaubens entschweben
ließen. Wir sahen den Hintergrund unsrer Weihnachtsfeier, sahen tolle Possen
sich in ihren sinnvollen Brauch, Teufel und Gespenster sich in Götter ver¬
wandeln, erkannten das Licht, welches der Weihnachtstanne entstrahlt und
thaten Blicke in das Herz unsres Volkes, die manches erklärten, was an
diesem Herzen Eigenartiges ist. Möge dieses Herz ihm bleiben, wie ihm durch
die Winter von zwanzig Jahrhunderten hindurch die Tanne, das Wahrzeichen
seiner Weihnacht, grün geblieben ist.




Brüsseler Bilder.
II. Ein Abend im Chateau des Fleurs.

Die Vorstadt von Paris, wie man Brüssel häusig zu nennen pflegt, hat
zwei große Etablissements, in welchen sich die Masse des Publicums ver¬
gnügt. Sie heißen: Casino toto, unweit der Hauptstation der Nordbahn und
Chateau des Fleurs, vor dem Laekner Thor, in der Chaussee dAnvers. Einem
geübten Auge wird es nicht entgehen, wie in Brüssel drei Elemente: das fran¬
zösische, flamländische und wallonische, hervortreten. Am leichtesten
findet man den Unterschied da, wo sich die Masse vergnügt und wir können,
um das französische Element der belgischen Hauptstadt z. B. kennen zu lernen,
keine" besseren Ort wählen, als das lustige Chandeau des Fleurs mit seinem
großen Garten, in welchem wir eine Menge Rasenplätze, Baumalleen, grüne
Bosquetö, aber nur keine Blumen finden konnten. --

Wenn man in den Wochentagen Abends gegen 7 Uhr von dem Place de
Monnaie die Rue neuve hinab nach den Boulevards zu geht, bemerkt man eine
dichte, lustige Menschenmenge, welche durch diese Straße hinunter nach der


Ein heftiger Sturmwind fährt vor ihm her. Hin und wieder geht die Sage,
wenn es recht lose, verkünde es ein fruchtbares Jahr. In Rotenburg hat es
einmal ein ganzes Haus umgerissen, und an vielen Orten wurden Neugierige,
die es sehen wollten, geblendet, und Spötter, die ihm Hvhnworte zuriefen, mit
Pferdeschinken oder Geisfüßen geworfen, daß sie vor Schrecken starben.

Wäre noch ein Zweifel, daß es Wuotan mit dem Heere der nach Walhalla
geladenen Helden ist, der hier an seinem Feste durch die Lande zieht, so müßte
er bei Betrachtung des Umstands schwinden, daß tzer Anführer der wilden Jagd
in einigen Gegenden gradezu der „Breithut" heißt, eine Benennung, welche
auf das überraschendste dem Beinamen „Sidhöttr" entspricht, den Odin in
der Edda sührt.

Mit diesem Bilde schließen wir die Reihe von mehr oder minder farbigen
Schatten, die wir der Zauberlaterne des Weihnachtsaberglaubens entschweben
ließen. Wir sahen den Hintergrund unsrer Weihnachtsfeier, sahen tolle Possen
sich in ihren sinnvollen Brauch, Teufel und Gespenster sich in Götter ver¬
wandeln, erkannten das Licht, welches der Weihnachtstanne entstrahlt und
thaten Blicke in das Herz unsres Volkes, die manches erklärten, was an
diesem Herzen Eigenartiges ist. Möge dieses Herz ihm bleiben, wie ihm durch
die Winter von zwanzig Jahrhunderten hindurch die Tanne, das Wahrzeichen
seiner Weihnacht, grün geblieben ist.




Brüsseler Bilder.
II. Ein Abend im Chateau des Fleurs.

Die Vorstadt von Paris, wie man Brüssel häusig zu nennen pflegt, hat
zwei große Etablissements, in welchen sich die Masse des Publicums ver¬
gnügt. Sie heißen: Casino toto, unweit der Hauptstation der Nordbahn und
Chateau des Fleurs, vor dem Laekner Thor, in der Chaussee dAnvers. Einem
geübten Auge wird es nicht entgehen, wie in Brüssel drei Elemente: das fran¬
zösische, flamländische und wallonische, hervortreten. Am leichtesten
findet man den Unterschied da, wo sich die Masse vergnügt und wir können,
um das französische Element der belgischen Hauptstadt z. B. kennen zu lernen,
keine» besseren Ort wählen, als das lustige Chandeau des Fleurs mit seinem
großen Garten, in welchem wir eine Menge Rasenplätze, Baumalleen, grüne
Bosquetö, aber nur keine Blumen finden konnten. —

Wenn man in den Wochentagen Abends gegen 7 Uhr von dem Place de
Monnaie die Rue neuve hinab nach den Boulevards zu geht, bemerkt man eine
dichte, lustige Menschenmenge, welche durch diese Straße hinunter nach der


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[0503] Ein heftiger Sturmwind fährt vor ihm her. Hin und wieder geht die Sage, wenn es recht lose, verkünde es ein fruchtbares Jahr. In Rotenburg hat es einmal ein ganzes Haus umgerissen, und an vielen Orten wurden Neugierige, die es sehen wollten, geblendet, und Spötter, die ihm Hvhnworte zuriefen, mit Pferdeschinken oder Geisfüßen geworfen, daß sie vor Schrecken starben. Wäre noch ein Zweifel, daß es Wuotan mit dem Heere der nach Walhalla geladenen Helden ist, der hier an seinem Feste durch die Lande zieht, so müßte er bei Betrachtung des Umstands schwinden, daß tzer Anführer der wilden Jagd in einigen Gegenden gradezu der „Breithut" heißt, eine Benennung, welche auf das überraschendste dem Beinamen „Sidhöttr" entspricht, den Odin in der Edda sührt. Mit diesem Bilde schließen wir die Reihe von mehr oder minder farbigen Schatten, die wir der Zauberlaterne des Weihnachtsaberglaubens entschweben ließen. Wir sahen den Hintergrund unsrer Weihnachtsfeier, sahen tolle Possen sich in ihren sinnvollen Brauch, Teufel und Gespenster sich in Götter ver¬ wandeln, erkannten das Licht, welches der Weihnachtstanne entstrahlt und thaten Blicke in das Herz unsres Volkes, die manches erklärten, was an diesem Herzen Eigenartiges ist. Möge dieses Herz ihm bleiben, wie ihm durch die Winter von zwanzig Jahrhunderten hindurch die Tanne, das Wahrzeichen seiner Weihnacht, grün geblieben ist. Brüsseler Bilder. II. Ein Abend im Chateau des Fleurs. Die Vorstadt von Paris, wie man Brüssel häusig zu nennen pflegt, hat zwei große Etablissements, in welchen sich die Masse des Publicums ver¬ gnügt. Sie heißen: Casino toto, unweit der Hauptstation der Nordbahn und Chateau des Fleurs, vor dem Laekner Thor, in der Chaussee dAnvers. Einem geübten Auge wird es nicht entgehen, wie in Brüssel drei Elemente: das fran¬ zösische, flamländische und wallonische, hervortreten. Am leichtesten findet man den Unterschied da, wo sich die Masse vergnügt und wir können, um das französische Element der belgischen Hauptstadt z. B. kennen zu lernen, keine» besseren Ort wählen, als das lustige Chandeau des Fleurs mit seinem großen Garten, in welchem wir eine Menge Rasenplätze, Baumalleen, grüne Bosquetö, aber nur keine Blumen finden konnten. — Wenn man in den Wochentagen Abends gegen 7 Uhr von dem Place de Monnaie die Rue neuve hinab nach den Boulevards zu geht, bemerkt man eine dichte, lustige Menschenmenge, welche durch diese Straße hinunter nach der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/503>, abgerufen am 06.05.2024.