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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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an den Tag legt, zunächst durch ein vollständiges Bekenntniß seiner eignen
Schuld,-ist ganz in der Ordnung; daß er durch Angabe seiner Mitschuldigen
sich zu retten sucht, ist schon schlimmer, namentlich wenn er nicht zu den Ver¬
führten, sondern zu den Verführern gehörte; daß er diese Angaben mit der
Phantasie eines Mysteriendichterö weiter ausführt -- vielleicht liegt das im
Wesen eines modernen Dichters; aber daß er nach allen diesen Thatsachen
Gedichte unter seinem eignen Namen herausgibt und so die Welt an seine
Existenz erinnert, dazu gehört eine Gemüthsbeschaffenheit, für die wir in unsrem
Wörterbuch keine hinreichende Bezeichnung finden. Doch gehört dergleichen
auch zu den Phänomenen der Zeit und muß daher constatirt werden.




Literaturgeschichte.
Goethes Leben und Dichtungen. Im Zusammenhange dargestellt von August
Spieß. Wiesbaden, Kreidel u. niedrer. --
Lessings Nathan der Weise, durch eine historisch-kritische Einleitung und einen
fortlaufenden Kommentar besonders zum Gebrauch auf höhern Lehranstalten
erläutert von Eduard Niemeyer. Leipzig, G. Mayer. --
Shaksperes Werke. Herausgegeben und erklärt von Nicolaus Delius.
-I. Bd. 1., 2., 3. Stück (Hamlet, Othello, Lear). Elberfeld, Friderichs. --
Ksorfi" 8"mal. Iliütoire alö ins vio. ?owo II. l.vip"ig, Lelinee. --

Der neue Biograph Goethes verfolgt einen andern Zweck als die bishe¬
rigen- "Während diese für Gvethekenner geschrieben sind, hat er sich die Aus¬
gabe gestellt, in die Goethescher Dichtungen einzuführen." Nach diesem Zweck
ist auch das Urtheil über die Einrichtung des Buchs zu fassen. Der Verfasser
hat nur die bedeutendem Lebensmomente und diejenigen Werke des Dichters
in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen, welche das ganze Volk als die
seinigen in Anspruch nehmen darf; aber diese hat er sehr ausführlich behan¬
delt, während er die Nebenumstände völlig mit Stillschweigen übergeht. Wer
sich also mit dem Studium Goethes beschäftigt hat, darf in dieser Schrift
nichts Neues erwarten; aber für jüngere Leute und namentlich für Frauen
ist sie sehr empfehlenswert!). Der Verfasser entwickelt eine warme, liebevolle
Theilnahme für seinen Gegenstand, er schreibt einen sehr lesbaren Stil und
seinen Ansichten wird man wol im Wesentlichen beipflichten, wenn auch Ab¬
weichungen im Einzelnen bei dergleichen Dingen sich von selbst verstehen. Eins
hätten wir weggewünscht, den apologetischen Theil. Von den Lesern, auf
welche diese Schrift berechnet ist, wird wol keiner die Gegner des Dichters
kennen; es ist also auch ganz überflüssig, gegen sie zu polemistren, und eine


an den Tag legt, zunächst durch ein vollständiges Bekenntniß seiner eignen
Schuld,-ist ganz in der Ordnung; daß er durch Angabe seiner Mitschuldigen
sich zu retten sucht, ist schon schlimmer, namentlich wenn er nicht zu den Ver¬
führten, sondern zu den Verführern gehörte; daß er diese Angaben mit der
Phantasie eines Mysteriendichterö weiter ausführt — vielleicht liegt das im
Wesen eines modernen Dichters; aber daß er nach allen diesen Thatsachen
Gedichte unter seinem eignen Namen herausgibt und so die Welt an seine
Existenz erinnert, dazu gehört eine Gemüthsbeschaffenheit, für die wir in unsrem
Wörterbuch keine hinreichende Bezeichnung finden. Doch gehört dergleichen
auch zu den Phänomenen der Zeit und muß daher constatirt werden.




Literaturgeschichte.
Goethes Leben und Dichtungen. Im Zusammenhange dargestellt von August
Spieß. Wiesbaden, Kreidel u. niedrer. —
Lessings Nathan der Weise, durch eine historisch-kritische Einleitung und einen
fortlaufenden Kommentar besonders zum Gebrauch auf höhern Lehranstalten
erläutert von Eduard Niemeyer. Leipzig, G. Mayer. —
Shaksperes Werke. Herausgegeben und erklärt von Nicolaus Delius.
-I. Bd. 1., 2., 3. Stück (Hamlet, Othello, Lear). Elberfeld, Friderichs. —
Ksorfi« 8»mal. Iliütoire alö ins vio. ?owo II. l.vip«ig, Lelinee. —

Der neue Biograph Goethes verfolgt einen andern Zweck als die bishe¬
rigen- „Während diese für Gvethekenner geschrieben sind, hat er sich die Aus¬
gabe gestellt, in die Goethescher Dichtungen einzuführen." Nach diesem Zweck
ist auch das Urtheil über die Einrichtung des Buchs zu fassen. Der Verfasser
hat nur die bedeutendem Lebensmomente und diejenigen Werke des Dichters
in den Kreis seiner Betrachtungen gezogen, welche das ganze Volk als die
seinigen in Anspruch nehmen darf; aber diese hat er sehr ausführlich behan¬
delt, während er die Nebenumstände völlig mit Stillschweigen übergeht. Wer
sich also mit dem Studium Goethes beschäftigt hat, darf in dieser Schrift
nichts Neues erwarten; aber für jüngere Leute und namentlich für Frauen
ist sie sehr empfehlenswert!). Der Verfasser entwickelt eine warme, liebevolle
Theilnahme für seinen Gegenstand, er schreibt einen sehr lesbaren Stil und
seinen Ansichten wird man wol im Wesentlichen beipflichten, wenn auch Ab¬
weichungen im Einzelnen bei dergleichen Dingen sich von selbst verstehen. Eins
hätten wir weggewünscht, den apologetischen Theil. Von den Lesern, auf
welche diese Schrift berechnet ist, wird wol keiner die Gegner des Dichters
kennen; es ist also auch ganz überflüssig, gegen sie zu polemistren, und eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/512>, abgerufen am 07.05.2024.