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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Z" dir schlüpft sie heran, die Lacerte, o lauernder Knabe,
. ^ Schone ihr Leben, sie giebts selber ja dir in die Hand.


Damit ist eigentlich die ganze Situativ" dieses reizenden geistreichen Werks ausgesprochen.
Das Original war in Bronze, eine Bronzekopie mit silberauSgclegtcin Diadem befindet sich in
Villa Albaui, zwei andere in Marmor sieht man im Museum Pio Clementinnm des Vatikan
und im Louvre. Die letztere, a"S "arischen Marmor, ist vortrefflich erhalten. Die größere
Schlankheit der jugendlichere" Leibesformc" abgerechnet, hat die Haltung des Leibes u"d die
Stellung der Füße viel Aehnlichkeit mit dem ruhenden Faun desselben Meisters- --

Der moderne Vcisari. Erinnerungen aus dem Künstlerleben. Novelle von
Wilhelm von Schadow. -- Berlin, W. Hertz. --

Wir glauben dem würdigen, um die Kunst so hoch verdienten Mann kein
Unrecht zu thun, wenn wir die novellistische Einkleidung seines Werkes völlig
bei Seite lassen. So gemüthlich die einzelnen Liebesgeschichten erzählt sind,
das Interesse des Lesers knüpft sich doch vor allem an die kleinen Charakteristiken
der Künstler, die vor und neben Schadow der deutschen Kunst eine neue Bahn
gebrochen haben.

Das Urtheil, das er über dieselben fällt, ist mild und human, wie es
dem Alter ziemt, aber doch frei von aller störenden Rücksicht auf Vorurtheile und
herkömmliche Meinungen. Unbefangen und durch Stimmungen unbeirrt, hebt
er manchen verdienten Künstler, den man heute geringschätzt, vom historischen
Gesichtspunkt wieder hervor, und weist mancher gefeierten Größe, der die
Zeit eine unbegrenzte Verehrung zollt, ihr richtiges Maß an.

Als ein Beispiel des ersteren verweisen wir auf sein Urtheil über Mengs.
-- Mengs trat am Schluß einer Periode des vollendeten Ungeschmacks auf, und
man muß ihm das große Verdienst zuschreiben , daß er wiederum eine richtige
Anschauung in der Natur und in ihrer edelsten Auffassung, in der Antike, ge¬
wann. Daraus entsprang seine strenge und fleißige Methode im nachzeichnen,
und er bereitete dadurch den Boden vor, in welchem das geniale Samenkorn
seiner Nachfolger gedeihlich aufwachsen konnte. Erfindung hatte ihm die Natur
versagt; deshalb bleibt er bei antiken Gegenständen, wenngleich-correct, doch
kalt; bei christlichen Darstellungen aber, wo die Innigkeit der Empfindung un¬
erläßlich, ist er ungenießbar. Er ist wahrhaft lebendig nur wo er porträtirt;
alles, was in der Phantasie geboren werden muß, beschränkt sich bei ihm le¬
diglich auf Reminiscenzen, doch' erinnerte er sich jederzeit nur des Besten, das
vor ihm geschehen war. Sein Streben war durchaus edel, und er zeichnet sich
in dieser Beziehung unter seinen Zeitgenossen merkwürdig aus.

Wenn wir bei dem Urtheil über Cornelius mehr die negative Seite her¬
vorheben, so wollen wir damit nicht sagen, daß Schadow dem größten Künstler
Deutschlands aus den letzten Jahrzehnten nicht Gerechtigkeit widerfahren ließe.
Im Gegentheil feiert er mit Liebe und Wärme seinen Genius; aber er unter¬
läßt nicht, auf seine Mängel aufmerksam zu machen, die, wie alle Fehler eines


Z» dir schlüpft sie heran, die Lacerte, o lauernder Knabe,
. ^ Schone ihr Leben, sie giebts selber ja dir in die Hand.


Damit ist eigentlich die ganze Situativ» dieses reizenden geistreichen Werks ausgesprochen.
Das Original war in Bronze, eine Bronzekopie mit silberauSgclegtcin Diadem befindet sich in
Villa Albaui, zwei andere in Marmor sieht man im Museum Pio Clementinnm des Vatikan
und im Louvre. Die letztere, a»S »arischen Marmor, ist vortrefflich erhalten. Die größere
Schlankheit der jugendlichere» Leibesformc» abgerechnet, hat die Haltung des Leibes u»d die
Stellung der Füße viel Aehnlichkeit mit dem ruhenden Faun desselben Meisters- —

Der moderne Vcisari. Erinnerungen aus dem Künstlerleben. Novelle von
Wilhelm von Schadow. — Berlin, W. Hertz. —

Wir glauben dem würdigen, um die Kunst so hoch verdienten Mann kein
Unrecht zu thun, wenn wir die novellistische Einkleidung seines Werkes völlig
bei Seite lassen. So gemüthlich die einzelnen Liebesgeschichten erzählt sind,
das Interesse des Lesers knüpft sich doch vor allem an die kleinen Charakteristiken
der Künstler, die vor und neben Schadow der deutschen Kunst eine neue Bahn
gebrochen haben.

Das Urtheil, das er über dieselben fällt, ist mild und human, wie es
dem Alter ziemt, aber doch frei von aller störenden Rücksicht auf Vorurtheile und
herkömmliche Meinungen. Unbefangen und durch Stimmungen unbeirrt, hebt
er manchen verdienten Künstler, den man heute geringschätzt, vom historischen
Gesichtspunkt wieder hervor, und weist mancher gefeierten Größe, der die
Zeit eine unbegrenzte Verehrung zollt, ihr richtiges Maß an.

Als ein Beispiel des ersteren verweisen wir auf sein Urtheil über Mengs.
— Mengs trat am Schluß einer Periode des vollendeten Ungeschmacks auf, und
man muß ihm das große Verdienst zuschreiben , daß er wiederum eine richtige
Anschauung in der Natur und in ihrer edelsten Auffassung, in der Antike, ge¬
wann. Daraus entsprang seine strenge und fleißige Methode im nachzeichnen,
und er bereitete dadurch den Boden vor, in welchem das geniale Samenkorn
seiner Nachfolger gedeihlich aufwachsen konnte. Erfindung hatte ihm die Natur
versagt; deshalb bleibt er bei antiken Gegenständen, wenngleich-correct, doch
kalt; bei christlichen Darstellungen aber, wo die Innigkeit der Empfindung un¬
erläßlich, ist er ungenießbar. Er ist wahrhaft lebendig nur wo er porträtirt;
alles, was in der Phantasie geboren werden muß, beschränkt sich bei ihm le¬
diglich auf Reminiscenzen, doch' erinnerte er sich jederzeit nur des Besten, das
vor ihm geschehen war. Sein Streben war durchaus edel, und er zeichnet sich
in dieser Beziehung unter seinen Zeitgenossen merkwürdig aus.

Wenn wir bei dem Urtheil über Cornelius mehr die negative Seite her¬
vorheben, so wollen wir damit nicht sagen, daß Schadow dem größten Künstler
Deutschlands aus den letzten Jahrzehnten nicht Gerechtigkeit widerfahren ließe.
Im Gegentheil feiert er mit Liebe und Wärme seinen Genius; aber er unter¬
läßt nicht, auf seine Mängel aufmerksam zu machen, die, wie alle Fehler eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/63>, abgerufen am 06.05.2024.