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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Von der Poesie kann man das nicht behupten, namentlich dürste unter den
Schöpfungen der letzten zehn Jahre keine einzige sein, der man ein längeres als
ephemeres Dasein versprechen könnte. Ein solches Uebergewicht der Prosa über
die Poesie ist zwar nicht unter allen Umständen normal, sür eine Uebergangszeit
aber können wir es uns wohl gefallen lassen, denn es kommt setzt vor allen
Dingen darauf an, aus der chaotischen Ideenverwirrung des Jahrhunderts
wieder jenes allgemeingiltige Urtheil herzustellen, welches den gesunden Menschen¬
verstand der Nation ausdrückt, und darauf hinzuwirken, möchte die Prosa
geeigneter sein als die Poesie. --




Ein Wort zur politischen Situation.

Schon kam von allen Seiten die frohe Botschaft der Eroberung von Se-
bastopol. Sie scheint zwar noch verfrüht zu sein, aber die Umstände, über die
Dir genaue Nachricht haben, sind doch von der Art, daß sich an dem schnellen
und entscheidenden Erfolg kaum'mehr zweifeln läßt. Es dürfte dies das wich¬
tigste Ereigniß sein, welches in Europa seit dem Jahre eingetreten ist,
denn die Revolutionen, die dazwischenliegen, hatten nur eine ephemere Wir¬
kung, während die offenbar gewordene Hohlheit der russischen Macht und die
factisch festgestellte Verbrüderung zwischen Engländern und Franzosen als ein
welthistorisches Ereignis) von ganz unberechenbarer Tragweite aufzufassen sind.
Unzweifelhaft wird es zunächst auch auf die Stellung der übrigen Mächte sei¬
nen Einfluß haben.

Daß unter diesen Umständen das Bündniß zwischen Oestreich und Preu¬
ßen in der alten Form als nicht mehr giltig betrachtet wird, ist an sich noch
nicht geeignet, die günstige Lage der deutschen Mächte zu verderben. Es
kommt daraus an, einen neuen Vertrag zu schließen, der günstiger und zweck¬
mäßiger ist als der alte. Oestreich, Preußen und Deutschland können an
dem Kampfe gegen Nußland in einer Weise theilnehmen, die für den Aus¬
gang des Krieges entscheidend ist. Es ist billig, daß sie sich dabei überlegen,
auf was für einen Gewinn sie bei diesem großen Einsatz zu rechnen haben.

Es liegt im Interesse Oestreichs, die Donaumündungeu zu beherrschen,
es liegt im Interesse Preußens, eine feste Position an der Ost- und Nordsee
zu haben. Das eine kann nur durch den Besitz der Donaufürstent'hümer, das
andere nur durch den Besitz von Schleswig-Holstein geschehen. Es liegt ferner
im Interesse des gesammten Deutschlands, daß Oestreich und Preußen diese
Eroberungen machen. Denn abgesehen von dem Interesse, das wir für unsre
deutschen Stammesverwandtcn in Schleswig-Holstein haben, würde d'er Besitz


Von der Poesie kann man das nicht behupten, namentlich dürste unter den
Schöpfungen der letzten zehn Jahre keine einzige sein, der man ein längeres als
ephemeres Dasein versprechen könnte. Ein solches Uebergewicht der Prosa über
die Poesie ist zwar nicht unter allen Umständen normal, sür eine Uebergangszeit
aber können wir es uns wohl gefallen lassen, denn es kommt setzt vor allen
Dingen darauf an, aus der chaotischen Ideenverwirrung des Jahrhunderts
wieder jenes allgemeingiltige Urtheil herzustellen, welches den gesunden Menschen¬
verstand der Nation ausdrückt, und darauf hinzuwirken, möchte die Prosa
geeigneter sein als die Poesie. —




Ein Wort zur politischen Situation.

Schon kam von allen Seiten die frohe Botschaft der Eroberung von Se-
bastopol. Sie scheint zwar noch verfrüht zu sein, aber die Umstände, über die
Dir genaue Nachricht haben, sind doch von der Art, daß sich an dem schnellen
und entscheidenden Erfolg kaum'mehr zweifeln läßt. Es dürfte dies das wich¬
tigste Ereigniß sein, welches in Europa seit dem Jahre eingetreten ist,
denn die Revolutionen, die dazwischenliegen, hatten nur eine ephemere Wir¬
kung, während die offenbar gewordene Hohlheit der russischen Macht und die
factisch festgestellte Verbrüderung zwischen Engländern und Franzosen als ein
welthistorisches Ereignis) von ganz unberechenbarer Tragweite aufzufassen sind.
Unzweifelhaft wird es zunächst auch auf die Stellung der übrigen Mächte sei¬
nen Einfluß haben.

Daß unter diesen Umständen das Bündniß zwischen Oestreich und Preu¬
ßen in der alten Form als nicht mehr giltig betrachtet wird, ist an sich noch
nicht geeignet, die günstige Lage der deutschen Mächte zu verderben. Es
kommt daraus an, einen neuen Vertrag zu schließen, der günstiger und zweck¬
mäßiger ist als der alte. Oestreich, Preußen und Deutschland können an
dem Kampfe gegen Nußland in einer Weise theilnehmen, die für den Aus¬
gang des Krieges entscheidend ist. Es ist billig, daß sie sich dabei überlegen,
auf was für einen Gewinn sie bei diesem großen Einsatz zu rechnen haben.

Es liegt im Interesse Oestreichs, die Donaumündungeu zu beherrschen,
es liegt im Interesse Preußens, eine feste Position an der Ost- und Nordsee
zu haben. Das eine kann nur durch den Besitz der Donaufürstent'hümer, das
andere nur durch den Besitz von Schleswig-Holstein geschehen. Es liegt ferner
im Interesse des gesammten Deutschlands, daß Oestreich und Preußen diese
Eroberungen machen. Denn abgesehen von dem Interesse, das wir für unsre
deutschen Stammesverwandtcn in Schleswig-Holstein haben, würde d'er Besitz


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[0079] Von der Poesie kann man das nicht behupten, namentlich dürste unter den Schöpfungen der letzten zehn Jahre keine einzige sein, der man ein längeres als ephemeres Dasein versprechen könnte. Ein solches Uebergewicht der Prosa über die Poesie ist zwar nicht unter allen Umständen normal, sür eine Uebergangszeit aber können wir es uns wohl gefallen lassen, denn es kommt setzt vor allen Dingen darauf an, aus der chaotischen Ideenverwirrung des Jahrhunderts wieder jenes allgemeingiltige Urtheil herzustellen, welches den gesunden Menschen¬ verstand der Nation ausdrückt, und darauf hinzuwirken, möchte die Prosa geeigneter sein als die Poesie. — Ein Wort zur politischen Situation. Schon kam von allen Seiten die frohe Botschaft der Eroberung von Se- bastopol. Sie scheint zwar noch verfrüht zu sein, aber die Umstände, über die Dir genaue Nachricht haben, sind doch von der Art, daß sich an dem schnellen und entscheidenden Erfolg kaum'mehr zweifeln läßt. Es dürfte dies das wich¬ tigste Ereigniß sein, welches in Europa seit dem Jahre eingetreten ist, denn die Revolutionen, die dazwischenliegen, hatten nur eine ephemere Wir¬ kung, während die offenbar gewordene Hohlheit der russischen Macht und die factisch festgestellte Verbrüderung zwischen Engländern und Franzosen als ein welthistorisches Ereignis) von ganz unberechenbarer Tragweite aufzufassen sind. Unzweifelhaft wird es zunächst auch auf die Stellung der übrigen Mächte sei¬ nen Einfluß haben. Daß unter diesen Umständen das Bündniß zwischen Oestreich und Preu¬ ßen in der alten Form als nicht mehr giltig betrachtet wird, ist an sich noch nicht geeignet, die günstige Lage der deutschen Mächte zu verderben. Es kommt daraus an, einen neuen Vertrag zu schließen, der günstiger und zweck¬ mäßiger ist als der alte. Oestreich, Preußen und Deutschland können an dem Kampfe gegen Nußland in einer Weise theilnehmen, die für den Aus¬ gang des Krieges entscheidend ist. Es ist billig, daß sie sich dabei überlegen, auf was für einen Gewinn sie bei diesem großen Einsatz zu rechnen haben. Es liegt im Interesse Oestreichs, die Donaumündungeu zu beherrschen, es liegt im Interesse Preußens, eine feste Position an der Ost- und Nordsee zu haben. Das eine kann nur durch den Besitz der Donaufürstent'hümer, das andere nur durch den Besitz von Schleswig-Holstein geschehen. Es liegt ferner im Interesse des gesammten Deutschlands, daß Oestreich und Preußen diese Eroberungen machen. Denn abgesehen von dem Interesse, das wir für unsre deutschen Stammesverwandtcn in Schleswig-Holstein haben, würde d'er Besitz

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/79>, abgerufen am 06.05.2024.