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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ihren Memoiren gestanden hat, wissen wir nicht; jedenfalls ist dasselbe sehr wider¬
wärtig. Ganz unerträglich, abscheulich sind aber die Gespräche Friedrichs mit
seinen Hofleuten und Literaten, die den größer" Theil dieses Buches ausfüllen.
Ob Madame Mundt wirtlich geglaubt hat, dnrch diese Unterhaltungen eines
rücksichtslosen Despoten mit gemeinen Speichelleckern, die, wenn der König ihnen
ius Gesicht spuckt, in schwärmerischem Entzücken ausrufen: O wie bin ich durch
diese Salbung beseligt! uns den Charakter Friedrichs in ein besseres Licht zu
stellen, das mag 'Gott wissen! Uns ist selten ein Buch vorgekommen, in welchem
ein so widerlicher Stoff und so viel Gehaltlosigkeit der Gedanken und Empfindungen
mit einer so unerhörten Prätension auftreten. --


Ein Diplomat, Roman von Ottilie. Leipzig, Otto Wigand. --

Was uns bei diesem Romane wie bei ähnlichen Büchern zunächst befremdet,
ist der Maugel an Wärme für die eignen Schöpfungen. Unter hundert Romanen,
die uns vorkommen, möchten wir fast bei 99 den Dichter immer fragen: "Aber
was kann es Dir für ein Vergnügen machen, Deine Phantasie mit so uninter-
essanter Personen zu beschäftigen?" -- Wenn der Dichter naiv und ungebildet
ist und die beste Absicht hat, edle und vollkommene Wesen zu schildern, nnr daß
es ihm nicht gelingt, so verstehen wir wenigstens subjectiv, was er will, wenn
wir ihm auch keine objective Berechtigung beimessen können. Aber hier haben
wir es uicht mit einem naiven Schaffe", sondern mit einer gebildeten, zum Theil
ganz feinen Reflexion zu thun. Was kann nun diese Frau für ein Interesse an
einem so hohlen Menschen, wie dem Diplomaten, einem so haltlosen Windbeutel
wie dem Lieutenant und einem so trockenen Pedanten wie dem Doctor nehmen?
Das sind aber die Helden des Romans, denn die eigentliche Heldin verhält sich
receptiv: sie ist nicht selber geschildert, sondern sie drückt nur die Empfindungen
der Dichterin ans. Dergleichen Stoffe kann man nnr komisch behandeln; denn
spaßhaftes läßt sich an gehaltloser Persönlichkeiten noch immer genug entdecken.
Aber ein ernsthaftes Interesse zu erregen sind sie nicht geeignet. Und ob der
eine sich erschießt, der andere solid wird, der dritte über die Revolution seine
Nahrungssorgen vergißt u. s. w., das kann uns vollkommen einerlei fein. Breite
und gewissenhafte Detailmalerci, wie es die englischen Dichterinnen lieben, kann
auch solchem Stoffe ein untergeordnetes Interesse verleihen; aber die ideale
Haltung der deutschen Schule ist dazu nicht geeignet. Die gemeine Misere des
Lebens bietet keinen Stoff für Tragödie. --, Und dieses Mißbehagen zu über¬
winden , reichen die einzelnen Schönheiten des Buchs uicht ans, a" denen es
keineswegs fehlt. Wir finden manche glückliche Anschauung, manche wahre
Empfindung und auch die Gedanken sind nicht ohne Interesse. Am wenig¬
sten glücklich ist die Verfasserin in der Schilderung der geselligen Zustände. --


ihren Memoiren gestanden hat, wissen wir nicht; jedenfalls ist dasselbe sehr wider¬
wärtig. Ganz unerträglich, abscheulich sind aber die Gespräche Friedrichs mit
seinen Hofleuten und Literaten, die den größer» Theil dieses Buches ausfüllen.
Ob Madame Mundt wirtlich geglaubt hat, dnrch diese Unterhaltungen eines
rücksichtslosen Despoten mit gemeinen Speichelleckern, die, wenn der König ihnen
ius Gesicht spuckt, in schwärmerischem Entzücken ausrufen: O wie bin ich durch
diese Salbung beseligt! uns den Charakter Friedrichs in ein besseres Licht zu
stellen, das mag 'Gott wissen! Uns ist selten ein Buch vorgekommen, in welchem
ein so widerlicher Stoff und so viel Gehaltlosigkeit der Gedanken und Empfindungen
mit einer so unerhörten Prätension auftreten. —


Ein Diplomat, Roman von Ottilie. Leipzig, Otto Wigand. —

Was uns bei diesem Romane wie bei ähnlichen Büchern zunächst befremdet,
ist der Maugel an Wärme für die eignen Schöpfungen. Unter hundert Romanen,
die uns vorkommen, möchten wir fast bei 99 den Dichter immer fragen: „Aber
was kann es Dir für ein Vergnügen machen, Deine Phantasie mit so uninter-
essanter Personen zu beschäftigen?" — Wenn der Dichter naiv und ungebildet
ist und die beste Absicht hat, edle und vollkommene Wesen zu schildern, nnr daß
es ihm nicht gelingt, so verstehen wir wenigstens subjectiv, was er will, wenn
wir ihm auch keine objective Berechtigung beimessen können. Aber hier haben
wir es uicht mit einem naiven Schaffe», sondern mit einer gebildeten, zum Theil
ganz feinen Reflexion zu thun. Was kann nun diese Frau für ein Interesse an
einem so hohlen Menschen, wie dem Diplomaten, einem so haltlosen Windbeutel
wie dem Lieutenant und einem so trockenen Pedanten wie dem Doctor nehmen?
Das sind aber die Helden des Romans, denn die eigentliche Heldin verhält sich
receptiv: sie ist nicht selber geschildert, sondern sie drückt nur die Empfindungen
der Dichterin ans. Dergleichen Stoffe kann man nnr komisch behandeln; denn
spaßhaftes läßt sich an gehaltloser Persönlichkeiten noch immer genug entdecken.
Aber ein ernsthaftes Interesse zu erregen sind sie nicht geeignet. Und ob der
eine sich erschießt, der andere solid wird, der dritte über die Revolution seine
Nahrungssorgen vergißt u. s. w., das kann uns vollkommen einerlei fein. Breite
und gewissenhafte Detailmalerci, wie es die englischen Dichterinnen lieben, kann
auch solchem Stoffe ein untergeordnetes Interesse verleihen; aber die ideale
Haltung der deutschen Schule ist dazu nicht geeignet. Die gemeine Misere des
Lebens bietet keinen Stoff für Tragödie. —, Und dieses Mißbehagen zu über¬
winden , reichen die einzelnen Schönheiten des Buchs uicht ans, a» denen es
keineswegs fehlt. Wir finden manche glückliche Anschauung, manche wahre
Empfindung und auch die Gedanken sind nicht ohne Interesse. Am wenig¬
sten glücklich ist die Verfasserin in der Schilderung der geselligen Zustände. —


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[0415] ihren Memoiren gestanden hat, wissen wir nicht; jedenfalls ist dasselbe sehr wider¬ wärtig. Ganz unerträglich, abscheulich sind aber die Gespräche Friedrichs mit seinen Hofleuten und Literaten, die den größer» Theil dieses Buches ausfüllen. Ob Madame Mundt wirtlich geglaubt hat, dnrch diese Unterhaltungen eines rücksichtslosen Despoten mit gemeinen Speichelleckern, die, wenn der König ihnen ius Gesicht spuckt, in schwärmerischem Entzücken ausrufen: O wie bin ich durch diese Salbung beseligt! uns den Charakter Friedrichs in ein besseres Licht zu stellen, das mag 'Gott wissen! Uns ist selten ein Buch vorgekommen, in welchem ein so widerlicher Stoff und so viel Gehaltlosigkeit der Gedanken und Empfindungen mit einer so unerhörten Prätension auftreten. — Ein Diplomat, Roman von Ottilie. Leipzig, Otto Wigand. — Was uns bei diesem Romane wie bei ähnlichen Büchern zunächst befremdet, ist der Maugel an Wärme für die eignen Schöpfungen. Unter hundert Romanen, die uns vorkommen, möchten wir fast bei 99 den Dichter immer fragen: „Aber was kann es Dir für ein Vergnügen machen, Deine Phantasie mit so uninter- essanter Personen zu beschäftigen?" — Wenn der Dichter naiv und ungebildet ist und die beste Absicht hat, edle und vollkommene Wesen zu schildern, nnr daß es ihm nicht gelingt, so verstehen wir wenigstens subjectiv, was er will, wenn wir ihm auch keine objective Berechtigung beimessen können. Aber hier haben wir es uicht mit einem naiven Schaffe», sondern mit einer gebildeten, zum Theil ganz feinen Reflexion zu thun. Was kann nun diese Frau für ein Interesse an einem so hohlen Menschen, wie dem Diplomaten, einem so haltlosen Windbeutel wie dem Lieutenant und einem so trockenen Pedanten wie dem Doctor nehmen? Das sind aber die Helden des Romans, denn die eigentliche Heldin verhält sich receptiv: sie ist nicht selber geschildert, sondern sie drückt nur die Empfindungen der Dichterin ans. Dergleichen Stoffe kann man nnr komisch behandeln; denn spaßhaftes läßt sich an gehaltloser Persönlichkeiten noch immer genug entdecken. Aber ein ernsthaftes Interesse zu erregen sind sie nicht geeignet. Und ob der eine sich erschießt, der andere solid wird, der dritte über die Revolution seine Nahrungssorgen vergißt u. s. w., das kann uns vollkommen einerlei fein. Breite und gewissenhafte Detailmalerci, wie es die englischen Dichterinnen lieben, kann auch solchem Stoffe ein untergeordnetes Interesse verleihen; aber die ideale Haltung der deutschen Schule ist dazu nicht geeignet. Die gemeine Misere des Lebens bietet keinen Stoff für Tragödie. —, Und dieses Mißbehagen zu über¬ winden , reichen die einzelnen Schönheiten des Buchs uicht ans, a» denen es keineswegs fehlt. Wir finden manche glückliche Anschauung, manche wahre Empfindung und auch die Gedanken sind nicht ohne Interesse. Am wenig¬ sten glücklich ist die Verfasserin in der Schilderung der geselligen Zustände. —

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/415>, abgerufen am 05.05.2024.