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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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lang zieht, und denselben, da, wo Biegungen sind, oft, der directerer Verbindung
wegen, natürlich ohne Brücken, überschreitet. Der Fluß hat den Charakter eines
Bergwassers. Klar und frisch rollt er mit anmuthigen Gebrause über die Kiesel¬
steine seines flachen Bettes dahin. Indeß ist er mir dadurch im üblen Andenken
gebliebe", daß eines unserer Packpferde stürzte und seine Ladung ihm vom Rücken
glitt, als es eben, bis am Knie im Wasser, eine Furt überschreiten wollte. Von
dergleichen Unfällen bleibt eine Reise in diesem Lande nimmer frei.

Wovon ich mich auch ans dieser Reisestrecke abermals überzeugte, das ist der
wichtige Umstand, daß diese Gegenden ungleich dünner bevölkert sind, als man
gemeiniglich anzunehmen pflegt. Dagegen darf man behaupten, daß sie zur Er¬
nährung einer größere" Menschenmenge befähigt ist. Ueberall, selbst hier mitten
im Gebirge, am Fuße der Balkauauslaufer, ist Raum für massenweise Ansiedelung.
In dieser Hinsicht wundert es mich, daß die Speculation "och nicht diese Ge¬
genden ins Auge gefaßt, und, nnter den heutigen, günstigen Umständen Land-
ankäufe gemacht hat. Sobald die gegenwärtigen Kriegswirren zur Entscheidung
gekonunen sein werden, und infolge dessen das Verhältniß der Rajahs zu der mu-
hamedanischen Bevölkerung noch günstiger geworden sein wird, ein allgemeiner
Rechtszustand nicht nur dem Gesetz nach, sondern ä<z Aeto besteht, wird Macedo-
nien uicht minder wie Bulgarien und Ostrnmelien Zielpunkt im besonderen deut¬
scher Auswanderungen werden.

Nach allen meinen Beobachtungen würden Eisenbahnbauten in diesen Gegenden
durchaus keine unübersteigliche" Hindernisse finden, wenn es nicht der Äangel an
Arbeitskräften wäre. Das Terrain ist allerdings ein schwieriges, aber nicht schwieriger
als die Thäler im Thüringer Wald und das Elbthal in Sachsen und Böhmen.
Mit einigen Viaducten, mit mehren Tunnels, mit einer großen Anzahl Anschüt¬
tungen und Ausschachtungen würde alles zu bewältigen sein. Aber, ob Bahnen
hier vorerst rentiren würden, steht sehr in Frage.

Die Landschaft entzog sich unsern Blicken leider zumeist, weil wir im Thal
entlang ritte", und uicht über dessen nächste Räuber hinauszuschaueu vermochten.
Dann und wann sahen wir eine hohe Bergkette, links von unserem Wege, doch
i" nordwestlicher Richtung. Es war der vorerwähnte Egri-Su-Dagh; der alte
Berg Orbellus, welchen mau auf beinahe 8000 Fuß schätzt, soll sein höchster
Gipfel sein. ' Indeß erinnere ich mich nicht, Schnee darauf bemerkt zu haben,
was einigermaßen in der Jahreszeit, wo ich reiste (Ende October) bei solcher
Höhe auffallen muß. Entschieden haben unsere Gebirge vor denen in Macedonien
die reiche Vegetation voraus. Hier weiß man nichts von dem aromatischen Wald-
dnst, der in unseren Bergen herrscht. Ueberhaupt bin ich der Ansicht, daß nur
"uter der Pflege der Cultur die Natur ihre vollen Reize entfaltet. Diese Landschaften
werden in meiner Erinnerung vou denen des Harzes im lieben Deutschland an
Majestät weit Übertrossen und doch überrage" die Höhen des macedonischen Berg-


lang zieht, und denselben, da, wo Biegungen sind, oft, der directerer Verbindung
wegen, natürlich ohne Brücken, überschreitet. Der Fluß hat den Charakter eines
Bergwassers. Klar und frisch rollt er mit anmuthigen Gebrause über die Kiesel¬
steine seines flachen Bettes dahin. Indeß ist er mir dadurch im üblen Andenken
gebliebe», daß eines unserer Packpferde stürzte und seine Ladung ihm vom Rücken
glitt, als es eben, bis am Knie im Wasser, eine Furt überschreiten wollte. Von
dergleichen Unfällen bleibt eine Reise in diesem Lande nimmer frei.

Wovon ich mich auch ans dieser Reisestrecke abermals überzeugte, das ist der
wichtige Umstand, daß diese Gegenden ungleich dünner bevölkert sind, als man
gemeiniglich anzunehmen pflegt. Dagegen darf man behaupten, daß sie zur Er¬
nährung einer größere» Menschenmenge befähigt ist. Ueberall, selbst hier mitten
im Gebirge, am Fuße der Balkauauslaufer, ist Raum für massenweise Ansiedelung.
In dieser Hinsicht wundert es mich, daß die Speculation »och nicht diese Ge¬
genden ins Auge gefaßt, und, nnter den heutigen, günstigen Umständen Land-
ankäufe gemacht hat. Sobald die gegenwärtigen Kriegswirren zur Entscheidung
gekonunen sein werden, und infolge dessen das Verhältniß der Rajahs zu der mu-
hamedanischen Bevölkerung noch günstiger geworden sein wird, ein allgemeiner
Rechtszustand nicht nur dem Gesetz nach, sondern ä<z Aeto besteht, wird Macedo-
nien uicht minder wie Bulgarien und Ostrnmelien Zielpunkt im besonderen deut¬
scher Auswanderungen werden.

Nach allen meinen Beobachtungen würden Eisenbahnbauten in diesen Gegenden
durchaus keine unübersteigliche» Hindernisse finden, wenn es nicht der Äangel an
Arbeitskräften wäre. Das Terrain ist allerdings ein schwieriges, aber nicht schwieriger
als die Thäler im Thüringer Wald und das Elbthal in Sachsen und Böhmen.
Mit einigen Viaducten, mit mehren Tunnels, mit einer großen Anzahl Anschüt¬
tungen und Ausschachtungen würde alles zu bewältigen sein. Aber, ob Bahnen
hier vorerst rentiren würden, steht sehr in Frage.

Die Landschaft entzog sich unsern Blicken leider zumeist, weil wir im Thal
entlang ritte», und uicht über dessen nächste Räuber hinauszuschaueu vermochten.
Dann und wann sahen wir eine hohe Bergkette, links von unserem Wege, doch
i» nordwestlicher Richtung. Es war der vorerwähnte Egri-Su-Dagh; der alte
Berg Orbellus, welchen mau auf beinahe 8000 Fuß schätzt, soll sein höchster
Gipfel sein. ' Indeß erinnere ich mich nicht, Schnee darauf bemerkt zu haben,
was einigermaßen in der Jahreszeit, wo ich reiste (Ende October) bei solcher
Höhe auffallen muß. Entschieden haben unsere Gebirge vor denen in Macedonien
die reiche Vegetation voraus. Hier weiß man nichts von dem aromatischen Wald-
dnst, der in unseren Bergen herrscht. Ueberhaupt bin ich der Ansicht, daß nur
»uter der Pflege der Cultur die Natur ihre vollen Reize entfaltet. Diese Landschaften
werden in meiner Erinnerung vou denen des Harzes im lieben Deutschland an
Majestät weit Übertrossen und doch überrage» die Höhen des macedonischen Berg-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/109>, abgerufen am 06.05.2024.