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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Seit Rußlands Aufkommen ist Deutschlands gen Morgen gewendeter Stern
im Niedergehen begriffen. Gegenwärtig ist dieses Factum, obwol von allen Par¬
teien ungern eingestanden, dennoch so allgemein bekannt, daß es eines Nachweises
nicht mehr bedarf. Aber es gab eine Zeit, in welcher die Triumphe der Taktik
Friedrichs und die politischen Erfolge Herzbergs darüber wegsehen ließen. In
einer andern Periode hatte Deutschland alle seine Sorgen westwärts gerichtet, von
woher' ein gewaltiger Eroberer zermalmende Schlage gegen Preußen und Oestreich
geführt hatte und für so groß erachtete mau, auch uach dessen Ueberiviudnng durch
die alliirten Mächte Europas, die Gefahr, welche aus jener Weltgegend Deutsch¬
land drohen mochte, daß man darüber völlig die andere vergaß, die an der öst¬
lichen Grenze lauerte.

Wenn man die Dinge nimmt, wie sie wirklich sind, jede Vorstellung aus
Thatsachen, jede Größe auf ihre Abmessungen, jede Zahl auf ihren relativen
Werth zurückführt, so läßt sich nicht verkennen, daß Rußland bis zur gegen¬
wärtigen Stunde noch keineswegs der gewaltige Staat ist, als welcher er
gelten will; daß die allgemeinen Abschätzungen seiner Macht die wahre Bedeu¬
tung derselben weit übersteigen, und daß jede der beiden deutschen Gro߬
mächte selbst einzeln, geschweige denn mit der andern verbündet, den Kampf
gegen das Zarenreich nicht zu scheuen hat. Nicht'so also ist die von Osten her
uns drohende Gefahr zu deuten, als ob Rußland schon jetzt im Stande wäre, die
Existenz eines der deutschen Großstaaten thatsächlich zu bedrohen. Wo es uns
zu schaden vermag, kann es dies bis heute weniger direct als indirect, mehr durch
seine politische Kunst als durch seine militärische Kraft; aber wenn die Dinge in
Zukunft den nämlichen Gang nehmen, den sie seit vierzig Jahren und länger
innegehalten, wenn Rußland auch ferner stetig zunehmen sollte, wie es seit
Peter l. ununterbrochen zugenommen hat, an räumlicher Ausdehnung sowol, wie
an inneren Hilfsmitteln, wenn seine Kriegsmacht noch fernerhin dieselben Fort¬
schritte machen sollte, die sie namentlich unter Kaiser Nikolaus gemacht, endlich
wenn seiner Diplomatie ans dem Felde deutscher Politik Meisterstreich auf Meister¬
streich glücken dürfte, wie namentlich seit 1848, dann, ich wäge bedächtig das
Wort, bevor ich es niederschreibe, dann dürfte die Stunde nahen, in welcher das
reelle Uebergewicht deutscher Macht und Stärke schwinden und Nußland nächst der
politischen auch die materielle Obergewalt über uns erlangen mochte.

Um zu diesem lange angestrebten Ziele zu gelangen, haben die Beweguugs-
jahre vou 1848 und 49 dem Zaren in derselben Weise gedient, als früher, frei¬
lich in noch größeren Maßstäbe, die französische Revolution und die Eroberungs¬
züge Napoleons die Zwecke seiner Vorgänger förderten. Rußland war auf der
Höhe seines Einflusses, als es im Jahre 18S0 sich zwischen die streitigen östrei¬
chischen und preußischen Interessen warf, mit Energie Partei ergriff und letzterer
Macht gegenüber den oasu8 Kokil feststellte.


Seit Rußlands Aufkommen ist Deutschlands gen Morgen gewendeter Stern
im Niedergehen begriffen. Gegenwärtig ist dieses Factum, obwol von allen Par¬
teien ungern eingestanden, dennoch so allgemein bekannt, daß es eines Nachweises
nicht mehr bedarf. Aber es gab eine Zeit, in welcher die Triumphe der Taktik
Friedrichs und die politischen Erfolge Herzbergs darüber wegsehen ließen. In
einer andern Periode hatte Deutschland alle seine Sorgen westwärts gerichtet, von
woher' ein gewaltiger Eroberer zermalmende Schlage gegen Preußen und Oestreich
geführt hatte und für so groß erachtete mau, auch uach dessen Ueberiviudnng durch
die alliirten Mächte Europas, die Gefahr, welche aus jener Weltgegend Deutsch¬
land drohen mochte, daß man darüber völlig die andere vergaß, die an der öst¬
lichen Grenze lauerte.

Wenn man die Dinge nimmt, wie sie wirklich sind, jede Vorstellung aus
Thatsachen, jede Größe auf ihre Abmessungen, jede Zahl auf ihren relativen
Werth zurückführt, so läßt sich nicht verkennen, daß Rußland bis zur gegen¬
wärtigen Stunde noch keineswegs der gewaltige Staat ist, als welcher er
gelten will; daß die allgemeinen Abschätzungen seiner Macht die wahre Bedeu¬
tung derselben weit übersteigen, und daß jede der beiden deutschen Gro߬
mächte selbst einzeln, geschweige denn mit der andern verbündet, den Kampf
gegen das Zarenreich nicht zu scheuen hat. Nicht'so also ist die von Osten her
uns drohende Gefahr zu deuten, als ob Rußland schon jetzt im Stande wäre, die
Existenz eines der deutschen Großstaaten thatsächlich zu bedrohen. Wo es uns
zu schaden vermag, kann es dies bis heute weniger direct als indirect, mehr durch
seine politische Kunst als durch seine militärische Kraft; aber wenn die Dinge in
Zukunft den nämlichen Gang nehmen, den sie seit vierzig Jahren und länger
innegehalten, wenn Rußland auch ferner stetig zunehmen sollte, wie es seit
Peter l. ununterbrochen zugenommen hat, an räumlicher Ausdehnung sowol, wie
an inneren Hilfsmitteln, wenn seine Kriegsmacht noch fernerhin dieselben Fort¬
schritte machen sollte, die sie namentlich unter Kaiser Nikolaus gemacht, endlich
wenn seiner Diplomatie ans dem Felde deutscher Politik Meisterstreich auf Meister¬
streich glücken dürfte, wie namentlich seit 1848, dann, ich wäge bedächtig das
Wort, bevor ich es niederschreibe, dann dürfte die Stunde nahen, in welcher das
reelle Uebergewicht deutscher Macht und Stärke schwinden und Nußland nächst der
politischen auch die materielle Obergewalt über uns erlangen mochte.

Um zu diesem lange angestrebten Ziele zu gelangen, haben die Beweguugs-
jahre vou 1848 und 49 dem Zaren in derselben Weise gedient, als früher, frei¬
lich in noch größeren Maßstäbe, die französische Revolution und die Eroberungs¬
züge Napoleons die Zwecke seiner Vorgänger förderten. Rußland war auf der
Höhe seines Einflusses, als es im Jahre 18S0 sich zwischen die streitigen östrei¬
chischen und preußischen Interessen warf, mit Energie Partei ergriff und letzterer
Macht gegenüber den oasu8 Kokil feststellte.


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[0141] Seit Rußlands Aufkommen ist Deutschlands gen Morgen gewendeter Stern im Niedergehen begriffen. Gegenwärtig ist dieses Factum, obwol von allen Par¬ teien ungern eingestanden, dennoch so allgemein bekannt, daß es eines Nachweises nicht mehr bedarf. Aber es gab eine Zeit, in welcher die Triumphe der Taktik Friedrichs und die politischen Erfolge Herzbergs darüber wegsehen ließen. In einer andern Periode hatte Deutschland alle seine Sorgen westwärts gerichtet, von woher' ein gewaltiger Eroberer zermalmende Schlage gegen Preußen und Oestreich geführt hatte und für so groß erachtete mau, auch uach dessen Ueberiviudnng durch die alliirten Mächte Europas, die Gefahr, welche aus jener Weltgegend Deutsch¬ land drohen mochte, daß man darüber völlig die andere vergaß, die an der öst¬ lichen Grenze lauerte. Wenn man die Dinge nimmt, wie sie wirklich sind, jede Vorstellung aus Thatsachen, jede Größe auf ihre Abmessungen, jede Zahl auf ihren relativen Werth zurückführt, so läßt sich nicht verkennen, daß Rußland bis zur gegen¬ wärtigen Stunde noch keineswegs der gewaltige Staat ist, als welcher er gelten will; daß die allgemeinen Abschätzungen seiner Macht die wahre Bedeu¬ tung derselben weit übersteigen, und daß jede der beiden deutschen Gro߬ mächte selbst einzeln, geschweige denn mit der andern verbündet, den Kampf gegen das Zarenreich nicht zu scheuen hat. Nicht'so also ist die von Osten her uns drohende Gefahr zu deuten, als ob Rußland schon jetzt im Stande wäre, die Existenz eines der deutschen Großstaaten thatsächlich zu bedrohen. Wo es uns zu schaden vermag, kann es dies bis heute weniger direct als indirect, mehr durch seine politische Kunst als durch seine militärische Kraft; aber wenn die Dinge in Zukunft den nämlichen Gang nehmen, den sie seit vierzig Jahren und länger innegehalten, wenn Rußland auch ferner stetig zunehmen sollte, wie es seit Peter l. ununterbrochen zugenommen hat, an räumlicher Ausdehnung sowol, wie an inneren Hilfsmitteln, wenn seine Kriegsmacht noch fernerhin dieselben Fort¬ schritte machen sollte, die sie namentlich unter Kaiser Nikolaus gemacht, endlich wenn seiner Diplomatie ans dem Felde deutscher Politik Meisterstreich auf Meister¬ streich glücken dürfte, wie namentlich seit 1848, dann, ich wäge bedächtig das Wort, bevor ich es niederschreibe, dann dürfte die Stunde nahen, in welcher das reelle Uebergewicht deutscher Macht und Stärke schwinden und Nußland nächst der politischen auch die materielle Obergewalt über uns erlangen mochte. Um zu diesem lange angestrebten Ziele zu gelangen, haben die Beweguugs- jahre vou 1848 und 49 dem Zaren in derselben Weise gedient, als früher, frei¬ lich in noch größeren Maßstäbe, die französische Revolution und die Eroberungs¬ züge Napoleons die Zwecke seiner Vorgänger förderten. Rußland war auf der Höhe seines Einflusses, als es im Jahre 18S0 sich zwischen die streitigen östrei¬ chischen und preußischen Interessen warf, mit Energie Partei ergriff und letzterer Macht gegenüber den oasu8 Kokil feststellte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/140>, abgerufen am 06.05.2024.