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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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herige literarhistorische Arbeiten festgestellt war, dem größeren Publicum mund¬
gerecht zu machen. --'

Der Herausgeber der Harzsagen gehört zu jeuer jetzt ziemlich zahlreichen
Freimaurergesellschaft von Sagenforschern, die eine stille bescheidene, aber in ih¬
ren Resultaten wahrhaft erstaunliche Wirksamkeit entwickeln. Seitdem die Ge¬
brüder Grimm die Anregung dazu gegeben haben, wird eine Gegend unseres
Vaterlandes nach der andern von diesen unverdrossenen Gelehrten durchreist, die
eine ganz merkwürdige Fähigkeit ausgebildet habe", sich unter das Volk zu mischen
und alles, was sich an Reminiscenzen ans der alten Zeit in seinem Gedächtnisse er¬
hallen hat, aus ihm herauszulocken verstehen. Wie sie das immer machen, davon
haben wir aufrichtig gestanden keinen rechten Begriff, es ist ein angeborenes
Talent. Dabei stehen sie sämmtlich untereinander in einer directen Beziehung,
jeder macht den andern - darauf aufmerksam, was von dieser oder jener Sage
noch zu untersuchen ist, die Analogien werden lebhast erörtert und so entsteht
denn ein methodisches Wirken, welches sich in mancher Beziehung an da" natur¬
wissenschaftliche Studium anschließt. Auf das gewissenhafteste bemühen sich diese
Männer, alles fern zu halten, was irgend moderne Empfindungen oder Beziehun¬
gen auf das moderne Leben andeuten könnte. Sie verschmähen jene leichte
Methode der ältern Romantiker, aus den zahlreich wildwachsenden Blum'en den
Honig zu sangen und ihn nach dem Organismus der modernen Dichtung zu
verarbeiten. Freilich macht nun eine solche Sammlung ungefähr den Eindruck,
deu ein großes Herbarium macht, der eigentliche Duft und selbst die Physiogno¬
mie dieser Sagenbildungen ist doch abgestreift und man muß nothwendig den
culturhistorischen Gesichtspunkt mitbringen, um sich mit lebendigem Interesse an
diesen kleinen Geschichten und Suger zu betheiligen. -- Der Herausgeber hat
sich eiuen großen Theil seines Lebens mit dem Harz beschäftigt, er hat ihn nach
allen Richtungen durchforscht, keine Seite seines Culturlebens ist unbeachtet an
ihm vorübergegangen. Eine solche Grundlage gehört auch dazu, um mit Aus¬
sicht auf Erfolg ein solches Unternehmen zu beginnen. -- Von Interesse ist
das Vorwort, ni dem er sich über die zeitliche" Beziehungen der Sagen aus-
spricht. "Das Volk unterscheidet sich eben dadurch von den gebildeten Ständen,
daß es nur in der Gegenwart, in dieser nur unmittelbar, und nicht mit Bewußt¬
sein lebt; es erzählt uns, wenn es nicht von Geister" redet, von Fürsten, Bauern,
Pfarrern, Amtleuten und Edelleuten, in wenigen Gcschichtssagen von Rittern.
In diesem Augenblick kann das Volk in Norddeutschland z. B. höchstens bis
zum siebenjährigen Kriege wirklich zurückblicken, wo daher auch seiner Angabe
nach fast alle Ritterburgen zerstört sein sollen. Treten ihm bestimmte Denkmale
aus seiner Vergangenheit vor Angen, so versteht es dieselben oft gar nicht und
faßt sie als etwas Fremdes, als Ueberreste einer fremden Nation, von Riesen,
Zwergen u. s. w. . . . Freilich sind die Trümmer alter Burgen jetzt Vorzugs-


herige literarhistorische Arbeiten festgestellt war, dem größeren Publicum mund¬
gerecht zu machen. —'

Der Herausgeber der Harzsagen gehört zu jeuer jetzt ziemlich zahlreichen
Freimaurergesellschaft von Sagenforschern, die eine stille bescheidene, aber in ih¬
ren Resultaten wahrhaft erstaunliche Wirksamkeit entwickeln. Seitdem die Ge¬
brüder Grimm die Anregung dazu gegeben haben, wird eine Gegend unseres
Vaterlandes nach der andern von diesen unverdrossenen Gelehrten durchreist, die
eine ganz merkwürdige Fähigkeit ausgebildet habe», sich unter das Volk zu mischen
und alles, was sich an Reminiscenzen ans der alten Zeit in seinem Gedächtnisse er¬
hallen hat, aus ihm herauszulocken verstehen. Wie sie das immer machen, davon
haben wir aufrichtig gestanden keinen rechten Begriff, es ist ein angeborenes
Talent. Dabei stehen sie sämmtlich untereinander in einer directen Beziehung,
jeder macht den andern - darauf aufmerksam, was von dieser oder jener Sage
noch zu untersuchen ist, die Analogien werden lebhast erörtert und so entsteht
denn ein methodisches Wirken, welches sich in mancher Beziehung an da« natur¬
wissenschaftliche Studium anschließt. Auf das gewissenhafteste bemühen sich diese
Männer, alles fern zu halten, was irgend moderne Empfindungen oder Beziehun¬
gen auf das moderne Leben andeuten könnte. Sie verschmähen jene leichte
Methode der ältern Romantiker, aus den zahlreich wildwachsenden Blum'en den
Honig zu sangen und ihn nach dem Organismus der modernen Dichtung zu
verarbeiten. Freilich macht nun eine solche Sammlung ungefähr den Eindruck,
deu ein großes Herbarium macht, der eigentliche Duft und selbst die Physiogno¬
mie dieser Sagenbildungen ist doch abgestreift und man muß nothwendig den
culturhistorischen Gesichtspunkt mitbringen, um sich mit lebendigem Interesse an
diesen kleinen Geschichten und Suger zu betheiligen. — Der Herausgeber hat
sich eiuen großen Theil seines Lebens mit dem Harz beschäftigt, er hat ihn nach
allen Richtungen durchforscht, keine Seite seines Culturlebens ist unbeachtet an
ihm vorübergegangen. Eine solche Grundlage gehört auch dazu, um mit Aus¬
sicht auf Erfolg ein solches Unternehmen zu beginnen. — Von Interesse ist
das Vorwort, ni dem er sich über die zeitliche» Beziehungen der Sagen aus-
spricht. „Das Volk unterscheidet sich eben dadurch von den gebildeten Ständen,
daß es nur in der Gegenwart, in dieser nur unmittelbar, und nicht mit Bewußt¬
sein lebt; es erzählt uns, wenn es nicht von Geister» redet, von Fürsten, Bauern,
Pfarrern, Amtleuten und Edelleuten, in wenigen Gcschichtssagen von Rittern.
In diesem Augenblick kann das Volk in Norddeutschland z. B. höchstens bis
zum siebenjährigen Kriege wirklich zurückblicken, wo daher auch seiner Angabe
nach fast alle Ritterburgen zerstört sein sollen. Treten ihm bestimmte Denkmale
aus seiner Vergangenheit vor Angen, so versteht es dieselben oft gar nicht und
faßt sie als etwas Fremdes, als Ueberreste einer fremden Nation, von Riesen,
Zwergen u. s. w. . . . Freilich sind die Trümmer alter Burgen jetzt Vorzugs-


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[0149] herige literarhistorische Arbeiten festgestellt war, dem größeren Publicum mund¬ gerecht zu machen. —' Der Herausgeber der Harzsagen gehört zu jeuer jetzt ziemlich zahlreichen Freimaurergesellschaft von Sagenforschern, die eine stille bescheidene, aber in ih¬ ren Resultaten wahrhaft erstaunliche Wirksamkeit entwickeln. Seitdem die Ge¬ brüder Grimm die Anregung dazu gegeben haben, wird eine Gegend unseres Vaterlandes nach der andern von diesen unverdrossenen Gelehrten durchreist, die eine ganz merkwürdige Fähigkeit ausgebildet habe», sich unter das Volk zu mischen und alles, was sich an Reminiscenzen ans der alten Zeit in seinem Gedächtnisse er¬ hallen hat, aus ihm herauszulocken verstehen. Wie sie das immer machen, davon haben wir aufrichtig gestanden keinen rechten Begriff, es ist ein angeborenes Talent. Dabei stehen sie sämmtlich untereinander in einer directen Beziehung, jeder macht den andern - darauf aufmerksam, was von dieser oder jener Sage noch zu untersuchen ist, die Analogien werden lebhast erörtert und so entsteht denn ein methodisches Wirken, welches sich in mancher Beziehung an da« natur¬ wissenschaftliche Studium anschließt. Auf das gewissenhafteste bemühen sich diese Männer, alles fern zu halten, was irgend moderne Empfindungen oder Beziehun¬ gen auf das moderne Leben andeuten könnte. Sie verschmähen jene leichte Methode der ältern Romantiker, aus den zahlreich wildwachsenden Blum'en den Honig zu sangen und ihn nach dem Organismus der modernen Dichtung zu verarbeiten. Freilich macht nun eine solche Sammlung ungefähr den Eindruck, deu ein großes Herbarium macht, der eigentliche Duft und selbst die Physiogno¬ mie dieser Sagenbildungen ist doch abgestreift und man muß nothwendig den culturhistorischen Gesichtspunkt mitbringen, um sich mit lebendigem Interesse an diesen kleinen Geschichten und Suger zu betheiligen. — Der Herausgeber hat sich eiuen großen Theil seines Lebens mit dem Harz beschäftigt, er hat ihn nach allen Richtungen durchforscht, keine Seite seines Culturlebens ist unbeachtet an ihm vorübergegangen. Eine solche Grundlage gehört auch dazu, um mit Aus¬ sicht auf Erfolg ein solches Unternehmen zu beginnen. — Von Interesse ist das Vorwort, ni dem er sich über die zeitliche» Beziehungen der Sagen aus- spricht. „Das Volk unterscheidet sich eben dadurch von den gebildeten Ständen, daß es nur in der Gegenwart, in dieser nur unmittelbar, und nicht mit Bewußt¬ sein lebt; es erzählt uns, wenn es nicht von Geister» redet, von Fürsten, Bauern, Pfarrern, Amtleuten und Edelleuten, in wenigen Gcschichtssagen von Rittern. In diesem Augenblick kann das Volk in Norddeutschland z. B. höchstens bis zum siebenjährigen Kriege wirklich zurückblicken, wo daher auch seiner Angabe nach fast alle Ritterburgen zerstört sein sollen. Treten ihm bestimmte Denkmale aus seiner Vergangenheit vor Angen, so versteht es dieselben oft gar nicht und faßt sie als etwas Fremdes, als Ueberreste einer fremden Nation, von Riesen, Zwergen u. s. w. . . . Freilich sind die Trümmer alter Burgen jetzt Vorzugs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/148>, abgerufen am 06.05.2024.