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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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weil sie nur die Tendenz enthalten, und das historische Material, als einen gleich-
giltigen Stoff betrachten, diese Tendenz zu versinnlichen. Herr Pfaff dagegen ist
mit unserer älteren Geschichte vollkommen vertraut und läßt ihr auch Gerechtigkeit
widerfahren. Aber der durchgehende Grundzug seiner Darstellung ist doch "me
stille Polemik gegen die Romantiker, die ans dem Mittelalter ein ideales Zerrbild
gemacht haben, welches den schädlichsten Einfluß auf unsers eigne politische Gesinnung
und Organisation ausgeübt hat. Das lebhafte Interesse des Publicums für das Mit¬
telalter von diesen verworrenen und unklaren Idealbildern abzulenken und es auf den
wirklichen nationalen Gehalt desselben hinzuweisen, das reale vaterländische Gefühl
ans der schimmernden Hülle der Nitterge^chichten herauszuschälen, das ist die
Ausgabe gewesen, die sich der Verfasser gesetzt hat und die seinem Buch die Hal¬
tung gibt. Der Vortrag ist einfach, würdig und zuweilen von einer wohlthuen¬
den Wärme. Die Localfarbe der Quellen schimmert durch, aber ohne Prätension.
'Jeder eigentlich gelehrte Anschein ist streng vermieden. Die politische Ueberzeu¬
gung, soweit sie sich in diesen ältern Zeiten aussprechen kann, ist die unsrige; sie
ist deutsch und antirömisch, aber nicht ghibellinisch in dem abstracten Sinn, wie er in
neuerer Zeit bei uns ausgekommen ist. Der 1. Band geht bis ans Konrad I.,
der 2. bis auf Rudolph von Habsburg. Wir fürchten, daß in den folgenden
Bänden der Verfasser mehr als .wünschenswert!) ist, genöthigt sein- wird, seine
Darstellung zusammenzudrängen, wenn wir anch ganz von dem wildverworrenen
Treiben der Gegenwart absehen, das in einer allgemein deutschen Geschichte kaum
eine angemessene Auseinandersetzung erwarten dürfte. Die Zeiten ^des 14., Is.
und 16. Jahrhunderts sind für eine patriotische Darstellung vielleicht die reich-,
haltigsten und man hätte gern für die früheren Perioden, die doch eigentlich mehr
für Forschung als für Darstellung geeignet sind, eine größere Kürze gewünscht,
um für die spätern mehr Raum zu gewinnen. -- Wir wollen dabei nicht ver¬
schweigen, daß ungeachtet des Lobes, das wir ausgesprochen haben, dieses Buch
doch noch nicht das leistet, was uns als eine ideale deutsche Geschichte vorschwebt.
Freilich konnte ein solches Werk in einem beschränkten Umfang nur ein Mann
unternehmen, der in alle Tiefen der Gelehrsamkeit eingedrungen ist und der über
seinen Forschungen doch nicht jenes unbefangene künstlerische Talent verloren hat,
ans eine einfache und plastische Weise zu erzählen, zwei Eigenschafte", die sich bei
unsern Gelehrten sehr selten zusammenfinden. ---


Geschichte der Kalifen von Washington Irving. Leipzig, Expedition der
Hausbibliothek (Carl Lorck). -- '

Das an sich nothwendige und berechtigte Moment der Reflexion und des
Raisonnements hat in unserer neuern Geschichtschreibung eine so große
Ausdehnung gewonnen, daß das ebenso nothwendige Moment der sinnlichen und
farbenreichen Darstellung uicht selten dagegen zurücktritt/ daß mau erst mit vieler


weil sie nur die Tendenz enthalten, und das historische Material, als einen gleich-
giltigen Stoff betrachten, diese Tendenz zu versinnlichen. Herr Pfaff dagegen ist
mit unserer älteren Geschichte vollkommen vertraut und läßt ihr auch Gerechtigkeit
widerfahren. Aber der durchgehende Grundzug seiner Darstellung ist doch «me
stille Polemik gegen die Romantiker, die ans dem Mittelalter ein ideales Zerrbild
gemacht haben, welches den schädlichsten Einfluß auf unsers eigne politische Gesinnung
und Organisation ausgeübt hat. Das lebhafte Interesse des Publicums für das Mit¬
telalter von diesen verworrenen und unklaren Idealbildern abzulenken und es auf den
wirklichen nationalen Gehalt desselben hinzuweisen, das reale vaterländische Gefühl
ans der schimmernden Hülle der Nitterge^chichten herauszuschälen, das ist die
Ausgabe gewesen, die sich der Verfasser gesetzt hat und die seinem Buch die Hal¬
tung gibt. Der Vortrag ist einfach, würdig und zuweilen von einer wohlthuen¬
den Wärme. Die Localfarbe der Quellen schimmert durch, aber ohne Prätension.
'Jeder eigentlich gelehrte Anschein ist streng vermieden. Die politische Ueberzeu¬
gung, soweit sie sich in diesen ältern Zeiten aussprechen kann, ist die unsrige; sie
ist deutsch und antirömisch, aber nicht ghibellinisch in dem abstracten Sinn, wie er in
neuerer Zeit bei uns ausgekommen ist. Der 1. Band geht bis ans Konrad I.,
der 2. bis auf Rudolph von Habsburg. Wir fürchten, daß in den folgenden
Bänden der Verfasser mehr als .wünschenswert!) ist, genöthigt sein- wird, seine
Darstellung zusammenzudrängen, wenn wir anch ganz von dem wildverworrenen
Treiben der Gegenwart absehen, das in einer allgemein deutschen Geschichte kaum
eine angemessene Auseinandersetzung erwarten dürfte. Die Zeiten ^des 14., Is.
und 16. Jahrhunderts sind für eine patriotische Darstellung vielleicht die reich-,
haltigsten und man hätte gern für die früheren Perioden, die doch eigentlich mehr
für Forschung als für Darstellung geeignet sind, eine größere Kürze gewünscht,
um für die spätern mehr Raum zu gewinnen. — Wir wollen dabei nicht ver¬
schweigen, daß ungeachtet des Lobes, das wir ausgesprochen haben, dieses Buch
doch noch nicht das leistet, was uns als eine ideale deutsche Geschichte vorschwebt.
Freilich konnte ein solches Werk in einem beschränkten Umfang nur ein Mann
unternehmen, der in alle Tiefen der Gelehrsamkeit eingedrungen ist und der über
seinen Forschungen doch nicht jenes unbefangene künstlerische Talent verloren hat,
ans eine einfache und plastische Weise zu erzählen, zwei Eigenschafte», die sich bei
unsern Gelehrten sehr selten zusammenfinden. —-


Geschichte der Kalifen von Washington Irving. Leipzig, Expedition der
Hausbibliothek (Carl Lorck). — '

Das an sich nothwendige und berechtigte Moment der Reflexion und des
Raisonnements hat in unserer neuern Geschichtschreibung eine so große
Ausdehnung gewonnen, daß das ebenso nothwendige Moment der sinnlichen und
farbenreichen Darstellung uicht selten dagegen zurücktritt/ daß mau erst mit vieler


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[0182] weil sie nur die Tendenz enthalten, und das historische Material, als einen gleich- giltigen Stoff betrachten, diese Tendenz zu versinnlichen. Herr Pfaff dagegen ist mit unserer älteren Geschichte vollkommen vertraut und läßt ihr auch Gerechtigkeit widerfahren. Aber der durchgehende Grundzug seiner Darstellung ist doch «me stille Polemik gegen die Romantiker, die ans dem Mittelalter ein ideales Zerrbild gemacht haben, welches den schädlichsten Einfluß auf unsers eigne politische Gesinnung und Organisation ausgeübt hat. Das lebhafte Interesse des Publicums für das Mit¬ telalter von diesen verworrenen und unklaren Idealbildern abzulenken und es auf den wirklichen nationalen Gehalt desselben hinzuweisen, das reale vaterländische Gefühl ans der schimmernden Hülle der Nitterge^chichten herauszuschälen, das ist die Ausgabe gewesen, die sich der Verfasser gesetzt hat und die seinem Buch die Hal¬ tung gibt. Der Vortrag ist einfach, würdig und zuweilen von einer wohlthuen¬ den Wärme. Die Localfarbe der Quellen schimmert durch, aber ohne Prätension. 'Jeder eigentlich gelehrte Anschein ist streng vermieden. Die politische Ueberzeu¬ gung, soweit sie sich in diesen ältern Zeiten aussprechen kann, ist die unsrige; sie ist deutsch und antirömisch, aber nicht ghibellinisch in dem abstracten Sinn, wie er in neuerer Zeit bei uns ausgekommen ist. Der 1. Band geht bis ans Konrad I., der 2. bis auf Rudolph von Habsburg. Wir fürchten, daß in den folgenden Bänden der Verfasser mehr als .wünschenswert!) ist, genöthigt sein- wird, seine Darstellung zusammenzudrängen, wenn wir anch ganz von dem wildverworrenen Treiben der Gegenwart absehen, das in einer allgemein deutschen Geschichte kaum eine angemessene Auseinandersetzung erwarten dürfte. Die Zeiten ^des 14., Is. und 16. Jahrhunderts sind für eine patriotische Darstellung vielleicht die reich-, haltigsten und man hätte gern für die früheren Perioden, die doch eigentlich mehr für Forschung als für Darstellung geeignet sind, eine größere Kürze gewünscht, um für die spätern mehr Raum zu gewinnen. — Wir wollen dabei nicht ver¬ schweigen, daß ungeachtet des Lobes, das wir ausgesprochen haben, dieses Buch doch noch nicht das leistet, was uns als eine ideale deutsche Geschichte vorschwebt. Freilich konnte ein solches Werk in einem beschränkten Umfang nur ein Mann unternehmen, der in alle Tiefen der Gelehrsamkeit eingedrungen ist und der über seinen Forschungen doch nicht jenes unbefangene künstlerische Talent verloren hat, ans eine einfache und plastische Weise zu erzählen, zwei Eigenschafte», die sich bei unsern Gelehrten sehr selten zusammenfinden. —- Geschichte der Kalifen von Washington Irving. Leipzig, Expedition der Hausbibliothek (Carl Lorck). — ' Das an sich nothwendige und berechtigte Moment der Reflexion und des Raisonnements hat in unserer neuern Geschichtschreibung eine so große Ausdehnung gewonnen, daß das ebenso nothwendige Moment der sinnlichen und farbenreichen Darstellung uicht selten dagegen zurücktritt/ daß mau erst mit vieler

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/181>, abgerufen am 06.05.2024.