Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

centrirte Form, durch Melodie der Sprache und Bedeutung des Inhalts in die
Reihen unsrer besseren lyrischen Gedichte eintreten könnte. Aber ebenso haben
wir in dieser unendlichen Masse auch nur sehr wenig gefunden, die vollkommen
unpoetisch wären. Wenn wir bedenken, daß Elisabeth in der kurzen Zeit ihres
Lebens außer dieser ganz unglaublichen, poetischen Beschäftigung auch noch dem
Studium Mehrer alten und neuen Sprachen mit Eifer und Erfolg obgelegen hat>
so können wir ihrer Begabung unsre Anerkennung uicht versagen. In ihren
Dichtungen, die durch die ununterbrochen fortgehenden siebensilbigen ungereimten
Verszeilen einen etwas einförmigen Charakter annehmen, finden wir eine sehr leb¬
hafte Empfänglichkeit für das Leben der Natur, eine außerordentliche Gabe, die
massenhaft aufgenommenen äußeren Eindrücke schnell zu combiniren und unter einen
wesentlichen Gesichtspunkt zu befassen, ein warmes und tüchtiges Gemüth und
eine Sprachgewandtheit^ die grade deshalb etwas Bedenkliches hatte, weil es.zu
allzuleichtem Produciren anregte. Hätten ihre Erzieher den Fluß ihrer Ergie-
ßungen einigermaßen gehemmt, statt ihn zu förder", es' würde auf ihre Kunst
wohlthätiger eingewirkt haben. Poetischer Inhalt ist genug und übergenug darin,
nicht blos poetisch in dem gewöhnlichen Sinn, sondern individuell aufgefaßtes,
durch Inspiration aufgenommenes wirkliches Leben; in dieser Beziehung könnten
wir unter den deutschen Dichtern nnr Rückert mit ihr vergleichen; allein die Kunst
der Formen im höhern Sinne, welcher dem leichten Fluß anmuthiger Gedanken
und Empfindungen erst den Charakter der Nothwendigkeit verleiht, hat ihr fast
ganz gefehlt und wir zweifeln daran, daß etwas von ihr zu den Denkmäler'" der
deutschen Poesie in spätern Zeiten wird gerechnet werden. --




Wie wird Rußland den VertheidigungsVrieg gegen die
Westmächte führen?

Vor zehn oder zwölf Jahren fand ich in einer Berliner Militärbibliothek einen
starken Octavband, ans dessen Titelblatt, so weit ich mich erinnere, die Worte:
"Militärische Monographien" zu lesen waren. Das Buch enthielt eine Anzahl
Aufsätze verschiedentlich^ Inhalts; mehre davon betrafen Rußland und namentlich
zog einer derselben meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein praktischer Soldat,
wie es scheint von weitem Blick und klarem, scharfem Urtheil, behandelt darin
die einzelnen Kriegsfälle, in welche Rußland gerathen könne und entwirft in
großen Zügen die Pläne, nach denen man unter gewissen Voraussetzungen zäri-
scherscits zu agiren veranlaßt sein dürfte. Auch der Krieg gegen England und


centrirte Form, durch Melodie der Sprache und Bedeutung des Inhalts in die
Reihen unsrer besseren lyrischen Gedichte eintreten könnte. Aber ebenso haben
wir in dieser unendlichen Masse auch nur sehr wenig gefunden, die vollkommen
unpoetisch wären. Wenn wir bedenken, daß Elisabeth in der kurzen Zeit ihres
Lebens außer dieser ganz unglaublichen, poetischen Beschäftigung auch noch dem
Studium Mehrer alten und neuen Sprachen mit Eifer und Erfolg obgelegen hat>
so können wir ihrer Begabung unsre Anerkennung uicht versagen. In ihren
Dichtungen, die durch die ununterbrochen fortgehenden siebensilbigen ungereimten
Verszeilen einen etwas einförmigen Charakter annehmen, finden wir eine sehr leb¬
hafte Empfänglichkeit für das Leben der Natur, eine außerordentliche Gabe, die
massenhaft aufgenommenen äußeren Eindrücke schnell zu combiniren und unter einen
wesentlichen Gesichtspunkt zu befassen, ein warmes und tüchtiges Gemüth und
eine Sprachgewandtheit^ die grade deshalb etwas Bedenkliches hatte, weil es.zu
allzuleichtem Produciren anregte. Hätten ihre Erzieher den Fluß ihrer Ergie-
ßungen einigermaßen gehemmt, statt ihn zu förder», es' würde auf ihre Kunst
wohlthätiger eingewirkt haben. Poetischer Inhalt ist genug und übergenug darin,
nicht blos poetisch in dem gewöhnlichen Sinn, sondern individuell aufgefaßtes,
durch Inspiration aufgenommenes wirkliches Leben; in dieser Beziehung könnten
wir unter den deutschen Dichtern nnr Rückert mit ihr vergleichen; allein die Kunst
der Formen im höhern Sinne, welcher dem leichten Fluß anmuthiger Gedanken
und Empfindungen erst den Charakter der Nothwendigkeit verleiht, hat ihr fast
ganz gefehlt und wir zweifeln daran, daß etwas von ihr zu den Denkmäler'» der
deutschen Poesie in spätern Zeiten wird gerechnet werden. —




Wie wird Rußland den VertheidigungsVrieg gegen die
Westmächte führen?

Vor zehn oder zwölf Jahren fand ich in einer Berliner Militärbibliothek einen
starken Octavband, ans dessen Titelblatt, so weit ich mich erinnere, die Worte:
„Militärische Monographien" zu lesen waren. Das Buch enthielt eine Anzahl
Aufsätze verschiedentlich^ Inhalts; mehre davon betrafen Rußland und namentlich
zog einer derselben meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein praktischer Soldat,
wie es scheint von weitem Blick und klarem, scharfem Urtheil, behandelt darin
die einzelnen Kriegsfälle, in welche Rußland gerathen könne und entwirft in
großen Zügen die Pläne, nach denen man unter gewissen Voraussetzungen zäri-
scherscits zu agiren veranlaßt sein dürfte. Auch der Krieg gegen England und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0230" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98010"/>
            <p xml:id="ID_705" prev="#ID_704"> centrirte Form, durch Melodie der Sprache und Bedeutung des Inhalts in die<lb/>
Reihen unsrer besseren lyrischen Gedichte eintreten könnte. Aber ebenso haben<lb/>
wir in dieser unendlichen Masse auch nur sehr wenig gefunden, die vollkommen<lb/>
unpoetisch wären. Wenn wir bedenken, daß Elisabeth in der kurzen Zeit ihres<lb/>
Lebens außer dieser ganz unglaublichen, poetischen Beschäftigung auch noch dem<lb/>
Studium Mehrer alten und neuen Sprachen mit Eifer und Erfolg obgelegen hat&gt;<lb/>
so können wir ihrer Begabung unsre Anerkennung uicht versagen. In ihren<lb/>
Dichtungen, die durch die ununterbrochen fortgehenden siebensilbigen ungereimten<lb/>
Verszeilen einen etwas einförmigen Charakter annehmen, finden wir eine sehr leb¬<lb/>
hafte Empfänglichkeit für das Leben der Natur, eine außerordentliche Gabe, die<lb/>
massenhaft aufgenommenen äußeren Eindrücke schnell zu combiniren und unter einen<lb/>
wesentlichen Gesichtspunkt zu befassen, ein warmes und tüchtiges Gemüth und<lb/>
eine Sprachgewandtheit^ die grade deshalb etwas Bedenkliches hatte, weil es.zu<lb/>
allzuleichtem Produciren anregte. Hätten ihre Erzieher den Fluß ihrer Ergie-<lb/>
ßungen einigermaßen gehemmt, statt ihn zu förder», es' würde auf ihre Kunst<lb/>
wohlthätiger eingewirkt haben. Poetischer Inhalt ist genug und übergenug darin,<lb/>
nicht blos poetisch in dem gewöhnlichen Sinn, sondern individuell aufgefaßtes,<lb/>
durch Inspiration aufgenommenes wirkliches Leben; in dieser Beziehung könnten<lb/>
wir unter den deutschen Dichtern nnr Rückert mit ihr vergleichen; allein die Kunst<lb/>
der Formen im höhern Sinne, welcher dem leichten Fluß anmuthiger Gedanken<lb/>
und Empfindungen erst den Charakter der Nothwendigkeit verleiht, hat ihr fast<lb/>
ganz gefehlt und wir zweifeln daran, daß etwas von ihr zu den Denkmäler'» der<lb/>
deutschen Poesie in spätern Zeiten wird gerechnet werden. &#x2014;</p><lb/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wie wird Rußland den VertheidigungsVrieg gegen die<lb/>
Westmächte führen?</head><lb/>
          <p xml:id="ID_706" next="#ID_707"> Vor zehn oder zwölf Jahren fand ich in einer Berliner Militärbibliothek einen<lb/>
starken Octavband, ans dessen Titelblatt, so weit ich mich erinnere, die Worte:<lb/>
&#x201E;Militärische Monographien" zu lesen waren. Das Buch enthielt eine Anzahl<lb/>
Aufsätze verschiedentlich^ Inhalts; mehre davon betrafen Rußland und namentlich<lb/>
zog einer derselben meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein praktischer Soldat,<lb/>
wie es scheint von weitem Blick und klarem, scharfem Urtheil, behandelt darin<lb/>
die einzelnen Kriegsfälle, in welche Rußland gerathen könne und entwirft in<lb/>
großen Zügen die Pläne, nach denen man unter gewissen Voraussetzungen zäri-<lb/>
scherscits zu agiren veranlaßt sein dürfte.  Auch der Krieg gegen England und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0230] centrirte Form, durch Melodie der Sprache und Bedeutung des Inhalts in die Reihen unsrer besseren lyrischen Gedichte eintreten könnte. Aber ebenso haben wir in dieser unendlichen Masse auch nur sehr wenig gefunden, die vollkommen unpoetisch wären. Wenn wir bedenken, daß Elisabeth in der kurzen Zeit ihres Lebens außer dieser ganz unglaublichen, poetischen Beschäftigung auch noch dem Studium Mehrer alten und neuen Sprachen mit Eifer und Erfolg obgelegen hat> so können wir ihrer Begabung unsre Anerkennung uicht versagen. In ihren Dichtungen, die durch die ununterbrochen fortgehenden siebensilbigen ungereimten Verszeilen einen etwas einförmigen Charakter annehmen, finden wir eine sehr leb¬ hafte Empfänglichkeit für das Leben der Natur, eine außerordentliche Gabe, die massenhaft aufgenommenen äußeren Eindrücke schnell zu combiniren und unter einen wesentlichen Gesichtspunkt zu befassen, ein warmes und tüchtiges Gemüth und eine Sprachgewandtheit^ die grade deshalb etwas Bedenkliches hatte, weil es.zu allzuleichtem Produciren anregte. Hätten ihre Erzieher den Fluß ihrer Ergie- ßungen einigermaßen gehemmt, statt ihn zu förder», es' würde auf ihre Kunst wohlthätiger eingewirkt haben. Poetischer Inhalt ist genug und übergenug darin, nicht blos poetisch in dem gewöhnlichen Sinn, sondern individuell aufgefaßtes, durch Inspiration aufgenommenes wirkliches Leben; in dieser Beziehung könnten wir unter den deutschen Dichtern nnr Rückert mit ihr vergleichen; allein die Kunst der Formen im höhern Sinne, welcher dem leichten Fluß anmuthiger Gedanken und Empfindungen erst den Charakter der Nothwendigkeit verleiht, hat ihr fast ganz gefehlt und wir zweifeln daran, daß etwas von ihr zu den Denkmäler'» der deutschen Poesie in spätern Zeiten wird gerechnet werden. — Wie wird Rußland den VertheidigungsVrieg gegen die Westmächte führen? Vor zehn oder zwölf Jahren fand ich in einer Berliner Militärbibliothek einen starken Octavband, ans dessen Titelblatt, so weit ich mich erinnere, die Worte: „Militärische Monographien" zu lesen waren. Das Buch enthielt eine Anzahl Aufsätze verschiedentlich^ Inhalts; mehre davon betrafen Rußland und namentlich zog einer derselben meine ganze Aufmerksamkeit auf sich. Ein praktischer Soldat, wie es scheint von weitem Blick und klarem, scharfem Urtheil, behandelt darin die einzelnen Kriegsfälle, in welche Rußland gerathen könne und entwirft in großen Zügen die Pläne, nach denen man unter gewissen Voraussetzungen zäri- scherscits zu agiren veranlaßt sein dürfte. Auch der Krieg gegen England und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/229
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/229>, abgerufen am 06.05.2024.