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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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militärischen Operationen. Sie stellt die Hauptbegebenheiten zusammen und gibt
eine Auszahlung der verschiedenen auf den Kriegsschauplatz zusammengedrängten
Streitkräfte so genau und ausführlich, als es bei dem Umfang der uns zu Gebote
stehenden Quellen möglich ist. Voraussichtlich werden sich die Ereignisse bald so
stark zusammendrängen, daß eine außerordentliche Erweiterung dieser Darstellung
nothwendig wird. -- Es wäre interessant, nach einer andern Seite hin schon jetzt
eine Sammlung eintreten zu lassen, nämlich in Beziehung auf die diplomatischen
Verhandlungen seit dem Anfang des vorigen Jahres. Zwar sind anch hier die
Acten noch keineswegs geschlossen, allein es sind doch bereits so viele bedeutende
Schriftstücke veröffentlicht, daß man sich ziemlich genau darin orientiren kann. Die
Lage der Diplomatie hat durch diese ganz unerhörte Publicität einen gewaltigen
Stoß erlitten und eS ist charakteristisch, daß zu derselben ein Mann Veranlassung
gegeben hat, von dem man es in der Welt am wenigsten hätte erwarten sollen
nämlich der Kaiser von Nußland. Selbst das blane Buch, welches das englische
Ministerium beim Anfang der neuen Session dem Parlamente vorlegte, ist un¬
bedeutend gegen die erstaunlichen Aufschlüsse, die uns in der geheimen Korre¬
spondenz über die russische Politik gegeben werden. Wir können uns dieser
Wendung der Ereignisse nur freuen. Abgesehen davon, daß das unmittelbare
Interesse des Volks und anch wol der Regierungen dadurch auf eine sehr er¬
freuliche Weise gesteigert wird, hat die künftige Geschichtschreibung davon einen
sehr großen Vortheil. Denn nichts bringt die Geschichtschreibung so in Ver¬
wirrung, als Vorurtheile der öffentlichen Meinung und der Tradition, die all-
mälig das Gewicht vou ausgemachten Thatsachen annehmen, wenn sie nicht früh¬
zeitig durch unbedingte Oeffentlichkeit beseitigt werden. Noch vor wenigen Monaten
war alle Welt davon überzeugt, das; in den diplomatischen Angriffen auf die
Türkei von Seiten Frankreichs, Oestreichs und Rußlands zum Theil der Zufall
oder auch die augenblicklich erregte persönliche Eifersucht ihr Spiel getrieben habe,
jetzt liegt auch dem blödesten Gesicht ein lauge vorbereiteter und consequent fest¬
gehaltener Plan klar vor Augen. Nebenbei sind durch die Veröffentlichung dieses
Schriftwechsels zunächst die drei großen kriegführenden Mächte auf eine Weise
bloßgestellt, daß man mit ziemlicher Bestimmtheit erwarten kann, sie werden die
Scheide völlig bei Seite werfen. Allein auch auf die deutschen Regierungen
werden die Wirkungen nicht ausbleiben. So gehört z. B. Preußen zu denjenigen
Mächten, von denen der russische Kaiser sich äußert, es käme ihm auf ihre An¬
sichten in dieser Sache nicht das mindeste an. Ein sehr bitteres Wort, das bis¬
her der fünften europäischen Großmacht noch von keiner Seite gesagt worden ist.
Oestreich kommt freilich viel besser weg, allein wir möchten doch bezweifeln, ob die
Art und Weise, wie der Kaiser sich seiner Mitwirkung im voraus versichert hält,
in Wien besonders gefallen wird. Denn eS sieht doch ganz so aus, als ob hier
nicht eine gemeinschaftliche Ansicht Gleichberechtigter, durch gegenseitigen Austausch


militärischen Operationen. Sie stellt die Hauptbegebenheiten zusammen und gibt
eine Auszahlung der verschiedenen auf den Kriegsschauplatz zusammengedrängten
Streitkräfte so genau und ausführlich, als es bei dem Umfang der uns zu Gebote
stehenden Quellen möglich ist. Voraussichtlich werden sich die Ereignisse bald so
stark zusammendrängen, daß eine außerordentliche Erweiterung dieser Darstellung
nothwendig wird. — Es wäre interessant, nach einer andern Seite hin schon jetzt
eine Sammlung eintreten zu lassen, nämlich in Beziehung auf die diplomatischen
Verhandlungen seit dem Anfang des vorigen Jahres. Zwar sind anch hier die
Acten noch keineswegs geschlossen, allein es sind doch bereits so viele bedeutende
Schriftstücke veröffentlicht, daß man sich ziemlich genau darin orientiren kann. Die
Lage der Diplomatie hat durch diese ganz unerhörte Publicität einen gewaltigen
Stoß erlitten und eS ist charakteristisch, daß zu derselben ein Mann Veranlassung
gegeben hat, von dem man es in der Welt am wenigsten hätte erwarten sollen
nämlich der Kaiser von Nußland. Selbst das blane Buch, welches das englische
Ministerium beim Anfang der neuen Session dem Parlamente vorlegte, ist un¬
bedeutend gegen die erstaunlichen Aufschlüsse, die uns in der geheimen Korre¬
spondenz über die russische Politik gegeben werden. Wir können uns dieser
Wendung der Ereignisse nur freuen. Abgesehen davon, daß das unmittelbare
Interesse des Volks und anch wol der Regierungen dadurch auf eine sehr er¬
freuliche Weise gesteigert wird, hat die künftige Geschichtschreibung davon einen
sehr großen Vortheil. Denn nichts bringt die Geschichtschreibung so in Ver¬
wirrung, als Vorurtheile der öffentlichen Meinung und der Tradition, die all-
mälig das Gewicht vou ausgemachten Thatsachen annehmen, wenn sie nicht früh¬
zeitig durch unbedingte Oeffentlichkeit beseitigt werden. Noch vor wenigen Monaten
war alle Welt davon überzeugt, das; in den diplomatischen Angriffen auf die
Türkei von Seiten Frankreichs, Oestreichs und Rußlands zum Theil der Zufall
oder auch die augenblicklich erregte persönliche Eifersucht ihr Spiel getrieben habe,
jetzt liegt auch dem blödesten Gesicht ein lauge vorbereiteter und consequent fest¬
gehaltener Plan klar vor Augen. Nebenbei sind durch die Veröffentlichung dieses
Schriftwechsels zunächst die drei großen kriegführenden Mächte auf eine Weise
bloßgestellt, daß man mit ziemlicher Bestimmtheit erwarten kann, sie werden die
Scheide völlig bei Seite werfen. Allein auch auf die deutschen Regierungen
werden die Wirkungen nicht ausbleiben. So gehört z. B. Preußen zu denjenigen
Mächten, von denen der russische Kaiser sich äußert, es käme ihm auf ihre An¬
sichten in dieser Sache nicht das mindeste an. Ein sehr bitteres Wort, das bis¬
her der fünften europäischen Großmacht noch von keiner Seite gesagt worden ist.
Oestreich kommt freilich viel besser weg, allein wir möchten doch bezweifeln, ob die
Art und Weise, wie der Kaiser sich seiner Mitwirkung im voraus versichert hält,
in Wien besonders gefallen wird. Denn eS sieht doch ganz so aus, als ob hier
nicht eine gemeinschaftliche Ansicht Gleichberechtigter, durch gegenseitigen Austausch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/29>, abgerufen am 06.05.2024.