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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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dieses Land nicht gestatten. Der englische Gesandte sprach nach eigner An¬
schauung der östreichischen Verhältnisse die Ueberzeugung aus, daß Oestreich
nicht mehr thun könne; es könne nicht seine letzten Kräfte aufs Spiel setzen,
solange die preußische Politik in den Händen von Haugwitz liege. "Denn
wer bürge dafür, daß er es ehrlich meine, nicht auch jetzt noch doppeltes Spiel
spiele?" Gegen England benahm sich Preußen so, daß die britische Politik
noch unter dem Kanonendonner von Jena und Auerstädt in Zweifel war, ob
Preußen nicht noch eine plötzliche Schwenkung zu Napoleon im Sinne habe.
Noch am "12. October 1806 erhielt der englische Gesandte, Lord Morpeth, von
Haugwitz den Bescheid: die Unterhandlung hänge vom Ausgange der Schlacht
ab, die man eben schlage. Im Falle eines Sieges wolle Preußen nämlich
Hannover nicht herausgeben oder doch einen Ersatz, etwa an Holland, sich
sichern. Rußlands Hilfe suchte Preußen erst im September -1806 nach. Es
hoffte immer noch friedliche Botschaften von Paris. Kaiser Alexander versprach
sofort Geld und Truppen; aber seine Hilfe mußte für die Entscheidung zu
spät kommen. Preußens norddeutsche Unionspläne, die von-ihm projectirten
Bündnisse mit Sachsen und Hessen scheiterten an dem Egoismus der betref¬
fenden Fürsten.

Napoleon brannte vor Ungeduld, an Preußen für die Schwankungen vom
Spätjahr -I8W sich zu rächen. Zwar suchte Haugwitz auch nach der Mobil¬
machung ihn durch trügerische Unterhandlungen hinzuhalten. Napoleon er¬
widerte am 1-1. September, die Aussöhnung sei noch möglich, wenn Preußen
sofort entwaffne. Sollte man es glauben? Preußen ließ sich durch diese Er¬
klärung täuschen. Es zögerte, mit England, Oestreich und Nußland die eng¬
sten Einverständnisse anzuknüpfen; diese Mächte glaubten noch in dem Augen¬
blick nicht ernstlich an den Krieg, als die französischen und preußischen Heere
an der Saale kampffertig sich gegenüberstanden.

Am -14. October erfolgte bei Jena und Auerstädt die Entscheidung. Die
beiden preußischen Armeen wurden geschlagen, die Monarchie gesprengt. Es
folgte die unerhörte Uebergabe der preußischen Festungen und die Selbstauf¬
lösung der Armee, der empörende Uebermuth des Siegers; ein warnendes Bei¬
spiel für alle Zeiten, wohin eine schwache und unentschiedene Politik nach Außen,
ein verkehrtes, unvolksthümliches Regiment im Innern führt.




Literatur.
Neue Gedichte.

Blüthen slavischer Poesie. -I. Band. Berlin. Fandet. --
Die Sammlung enthält die beiden Gedichte Konrad Wallenrod, von Adam Mickie-
wicz und der Kirye, von Gustav Zielinski, beide aus dem Polnischen. Das erste


dieses Land nicht gestatten. Der englische Gesandte sprach nach eigner An¬
schauung der östreichischen Verhältnisse die Ueberzeugung aus, daß Oestreich
nicht mehr thun könne; es könne nicht seine letzten Kräfte aufs Spiel setzen,
solange die preußische Politik in den Händen von Haugwitz liege. „Denn
wer bürge dafür, daß er es ehrlich meine, nicht auch jetzt noch doppeltes Spiel
spiele?" Gegen England benahm sich Preußen so, daß die britische Politik
noch unter dem Kanonendonner von Jena und Auerstädt in Zweifel war, ob
Preußen nicht noch eine plötzliche Schwenkung zu Napoleon im Sinne habe.
Noch am "12. October 1806 erhielt der englische Gesandte, Lord Morpeth, von
Haugwitz den Bescheid: die Unterhandlung hänge vom Ausgange der Schlacht
ab, die man eben schlage. Im Falle eines Sieges wolle Preußen nämlich
Hannover nicht herausgeben oder doch einen Ersatz, etwa an Holland, sich
sichern. Rußlands Hilfe suchte Preußen erst im September -1806 nach. Es
hoffte immer noch friedliche Botschaften von Paris. Kaiser Alexander versprach
sofort Geld und Truppen; aber seine Hilfe mußte für die Entscheidung zu
spät kommen. Preußens norddeutsche Unionspläne, die von-ihm projectirten
Bündnisse mit Sachsen und Hessen scheiterten an dem Egoismus der betref¬
fenden Fürsten.

Napoleon brannte vor Ungeduld, an Preußen für die Schwankungen vom
Spätjahr -I8W sich zu rächen. Zwar suchte Haugwitz auch nach der Mobil¬
machung ihn durch trügerische Unterhandlungen hinzuhalten. Napoleon er¬
widerte am 1-1. September, die Aussöhnung sei noch möglich, wenn Preußen
sofort entwaffne. Sollte man es glauben? Preußen ließ sich durch diese Er¬
klärung täuschen. Es zögerte, mit England, Oestreich und Nußland die eng¬
sten Einverständnisse anzuknüpfen; diese Mächte glaubten noch in dem Augen¬
blick nicht ernstlich an den Krieg, als die französischen und preußischen Heere
an der Saale kampffertig sich gegenüberstanden.

Am -14. October erfolgte bei Jena und Auerstädt die Entscheidung. Die
beiden preußischen Armeen wurden geschlagen, die Monarchie gesprengt. Es
folgte die unerhörte Uebergabe der preußischen Festungen und die Selbstauf¬
lösung der Armee, der empörende Uebermuth des Siegers; ein warnendes Bei¬
spiel für alle Zeiten, wohin eine schwache und unentschiedene Politik nach Außen,
ein verkehrtes, unvolksthümliches Regiment im Innern führt.




Literatur.
Neue Gedichte.

Blüthen slavischer Poesie. -I. Band. Berlin. Fandet. —
Die Sammlung enthält die beiden Gedichte Konrad Wallenrod, von Adam Mickie-
wicz und der Kirye, von Gustav Zielinski, beide aus dem Polnischen. Das erste


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[0122] dieses Land nicht gestatten. Der englische Gesandte sprach nach eigner An¬ schauung der östreichischen Verhältnisse die Ueberzeugung aus, daß Oestreich nicht mehr thun könne; es könne nicht seine letzten Kräfte aufs Spiel setzen, solange die preußische Politik in den Händen von Haugwitz liege. „Denn wer bürge dafür, daß er es ehrlich meine, nicht auch jetzt noch doppeltes Spiel spiele?" Gegen England benahm sich Preußen so, daß die britische Politik noch unter dem Kanonendonner von Jena und Auerstädt in Zweifel war, ob Preußen nicht noch eine plötzliche Schwenkung zu Napoleon im Sinne habe. Noch am "12. October 1806 erhielt der englische Gesandte, Lord Morpeth, von Haugwitz den Bescheid: die Unterhandlung hänge vom Ausgange der Schlacht ab, die man eben schlage. Im Falle eines Sieges wolle Preußen nämlich Hannover nicht herausgeben oder doch einen Ersatz, etwa an Holland, sich sichern. Rußlands Hilfe suchte Preußen erst im September -1806 nach. Es hoffte immer noch friedliche Botschaften von Paris. Kaiser Alexander versprach sofort Geld und Truppen; aber seine Hilfe mußte für die Entscheidung zu spät kommen. Preußens norddeutsche Unionspläne, die von-ihm projectirten Bündnisse mit Sachsen und Hessen scheiterten an dem Egoismus der betref¬ fenden Fürsten. Napoleon brannte vor Ungeduld, an Preußen für die Schwankungen vom Spätjahr -I8W sich zu rächen. Zwar suchte Haugwitz auch nach der Mobil¬ machung ihn durch trügerische Unterhandlungen hinzuhalten. Napoleon er¬ widerte am 1-1. September, die Aussöhnung sei noch möglich, wenn Preußen sofort entwaffne. Sollte man es glauben? Preußen ließ sich durch diese Er¬ klärung täuschen. Es zögerte, mit England, Oestreich und Nußland die eng¬ sten Einverständnisse anzuknüpfen; diese Mächte glaubten noch in dem Augen¬ blick nicht ernstlich an den Krieg, als die französischen und preußischen Heere an der Saale kampffertig sich gegenüberstanden. Am -14. October erfolgte bei Jena und Auerstädt die Entscheidung. Die beiden preußischen Armeen wurden geschlagen, die Monarchie gesprengt. Es folgte die unerhörte Uebergabe der preußischen Festungen und die Selbstauf¬ lösung der Armee, der empörende Uebermuth des Siegers; ein warnendes Bei¬ spiel für alle Zeiten, wohin eine schwache und unentschiedene Politik nach Außen, ein verkehrtes, unvolksthümliches Regiment im Innern führt. Literatur. Neue Gedichte. Blüthen slavischer Poesie. -I. Band. Berlin. Fandet. — Die Sammlung enthält die beiden Gedichte Konrad Wallenrod, von Adam Mickie- wicz und der Kirye, von Gustav Zielinski, beide aus dem Polnischen. Das erste

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/122>, abgerufen am 28.04.2024.