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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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worden. Er wird, wenn nicht alle Zeichen der Zeit trügen, noch dem lebenden
Geschlechte zu Gute kommen. Kein Baum fällt auf den ersten Hieb und noch
lange ist nicht aller Tage Abend da.

Den Gegnern endlich sage ich: "Wohlan, widerlegt, was behauptet wurde,
wenn Jhrs könnt. Wo nicht, so schämt Euch vor Eurem eignen Bilde, wenn
Ihr überhaupt -- was wenigstens von den zahlreichen Renegaten unter Euch
zu bezweifeln ist -- mit der Gabe, Euch zu schämen geboren wurdet."


Erster Brief.

Schon sind mehr als drei Wochen verflossen, seit ich über die Elbe fuhr
und noch immer bin ich nicht weiter gelangt, als bis zur Eider. Ein lang¬
sames Reisen, bei dem ich und mein Tagebuch, zumal da jetzt erst der eigent¬
lich classische Boden anfängt, schwerlich vor der Mitte nächsten Monats bis
zur Grenze Jütlands vorgerückt sein werde. Ich bin indessen in Zweifel, ob
ich mir Vorwürfe darüber zu machen habe, ja ich meine fast, es loben zu
dürfen, daß ich im Zickzack wanderte. Die große Heerstraße ist nicht zu dem
Zwecke angelegt, den Reisenden durch die schönsten Gegenden und zu den in¬
teressantesten Menschen zu führen, und die besten Bilder meiner Mappe wurden
fast immer auf Abschweifungen vom geradesten Wege aufgenommen.

Welch ein paradiesisch schönes Land, dieses nordöstliche Holstein mit seinen
grünen Hügeln und Thalkesseln, seinen lieblichen stillen Seen, seinen präch¬
tigen Buchenwäldern, seinen tiefblauen, spiegelklaren Meeresbuchten und welch
ein kernhaftes, gediegenes, wohlhabendes Volk, das in den schmucken Giebel¬
häusern seiner Städte und unter den mächtigen Strohdächern seiner Dörfer
wohnt! Welch ein Kleinod, dieses Land und Volk unsrer Nordmark! Welch ein
Verlust, wenn es uns geraubt werden sollte!

Häufige Ausrufe sind sonst nicht meine Sache. Allein ich weiß in der
That nicht, in welcher andern Redeform ich den Empfindungen, die sich bei
der Erinnerung an diese herrlichen Gegenden meiner bemächtigen, Worte leihen
soll und so werden Sie sich wol noch einige derartige Sünden gegen die
Regeln des beschreibenden Stils gefallen lassen müssen, ehe sich zu gelassener
und bedürftigerer Detailschilderung der rechte Anlauf findet.

Wie anmuthig liegt Kiel, wenn man aus dem reizenden Eiderthale mit
seinen sanft anschwellenden Anhöhen, deren lichtes Grün einen so holden
Gegensatz gegen die eben vorher durchflogenen rostbraunen Haideflächen bildet,
von der keuchenden Locomotive gezogen hinabfährt und der Wind die weißen
Dampfwolken von dem heitern Landschaftsgemälde im Nahmen des Wagen¬
fensters hinwegweht! Welch eine Augenweide ist der Durchblick aus dem


worden. Er wird, wenn nicht alle Zeichen der Zeit trügen, noch dem lebenden
Geschlechte zu Gute kommen. Kein Baum fällt auf den ersten Hieb und noch
lange ist nicht aller Tage Abend da.

Den Gegnern endlich sage ich: „Wohlan, widerlegt, was behauptet wurde,
wenn Jhrs könnt. Wo nicht, so schämt Euch vor Eurem eignen Bilde, wenn
Ihr überhaupt — was wenigstens von den zahlreichen Renegaten unter Euch
zu bezweifeln ist — mit der Gabe, Euch zu schämen geboren wurdet."


Erster Brief.

Schon sind mehr als drei Wochen verflossen, seit ich über die Elbe fuhr
und noch immer bin ich nicht weiter gelangt, als bis zur Eider. Ein lang¬
sames Reisen, bei dem ich und mein Tagebuch, zumal da jetzt erst der eigent¬
lich classische Boden anfängt, schwerlich vor der Mitte nächsten Monats bis
zur Grenze Jütlands vorgerückt sein werde. Ich bin indessen in Zweifel, ob
ich mir Vorwürfe darüber zu machen habe, ja ich meine fast, es loben zu
dürfen, daß ich im Zickzack wanderte. Die große Heerstraße ist nicht zu dem
Zwecke angelegt, den Reisenden durch die schönsten Gegenden und zu den in¬
teressantesten Menschen zu führen, und die besten Bilder meiner Mappe wurden
fast immer auf Abschweifungen vom geradesten Wege aufgenommen.

Welch ein paradiesisch schönes Land, dieses nordöstliche Holstein mit seinen
grünen Hügeln und Thalkesseln, seinen lieblichen stillen Seen, seinen präch¬
tigen Buchenwäldern, seinen tiefblauen, spiegelklaren Meeresbuchten und welch
ein kernhaftes, gediegenes, wohlhabendes Volk, das in den schmucken Giebel¬
häusern seiner Städte und unter den mächtigen Strohdächern seiner Dörfer
wohnt! Welch ein Kleinod, dieses Land und Volk unsrer Nordmark! Welch ein
Verlust, wenn es uns geraubt werden sollte!

Häufige Ausrufe sind sonst nicht meine Sache. Allein ich weiß in der
That nicht, in welcher andern Redeform ich den Empfindungen, die sich bei
der Erinnerung an diese herrlichen Gegenden meiner bemächtigen, Worte leihen
soll und so werden Sie sich wol noch einige derartige Sünden gegen die
Regeln des beschreibenden Stils gefallen lassen müssen, ehe sich zu gelassener
und bedürftigerer Detailschilderung der rechte Anlauf findet.

Wie anmuthig liegt Kiel, wenn man aus dem reizenden Eiderthale mit
seinen sanft anschwellenden Anhöhen, deren lichtes Grün einen so holden
Gegensatz gegen die eben vorher durchflogenen rostbraunen Haideflächen bildet,
von der keuchenden Locomotive gezogen hinabfährt und der Wind die weißen
Dampfwolken von dem heitern Landschaftsgemälde im Nahmen des Wagen¬
fensters hinwegweht! Welch eine Augenweide ist der Durchblick aus dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/13>, abgerufen am 28.04.2024.