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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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hatten, und wie es zuging, daß sie, das Reitervolk, in die serbischen Berge
vorzudringen vermochten, nach Bosnien und Kroatien. Die osmanische Macht
wuchs damals nach Art der Lawine.

Vom Plotscha-Karakol aus wird der Weg schwieriger; man muß oft zu
einem reiten, und wenn zufällig ein bulgarischer Ochsenwagen uns entgegen¬
kommt, wird die Verlegenheit groß. Diese Wege mochten vordem nicht eben
sicher zu Passiren und Anfälle von Räubern hier nicht selten sein; man muß
es indeß der türkischen Regierung zum Ruhme nachsagen, daß derzeit auf der
ganzen großen Poststraße von Belgrad bis nahe an Adrianopel heran eine
musterhafte Polizei gehandhabt wird. Seltsam, daß dies nicht vom Weichbild
und der weiteren Umgegend der zweiten Hauptstadt des Reiches (Adrianopel)
gesagt werden kann. Wenn auch dort nicht Zustände wie bei Smyrna herr¬
schen, sind dennoch Raubthaten nicht unerhört. Freilich hat man auch in dieser
Hinsicht viel übertrieben.

Es war um Mittag, als wir in das Thal einlenkten, auf dessen Sohle und
zwar auf dem linken Ufer der Nissawa, die Feste Mussa Pascha (Mussa Pascha
Palanga) gelegen ist. Dieselbe ist ein großes, ummauertes, auf den Ecken
und in der Mitte der Facen wie Thürmen versehenes Viereck, ohne vorgelege-
ncn Graben und von sehr zweifelhaftem Werth für die Vertheidigung.




Literaturgeschichte.
Ueber Goethes Verhältniß zu Religion und Christenthum. Von
Ludwig von Lancizolle, Legationsrath. Berlin, Nicolai. --
Lsprit ete Voltaire. I'ur l.. Klsrtin. Kruxsllös N I^ip^iA, liiesslmx,
Lobinie Le Lomx>. --

So entgegengesetzt auf den ersten Anschein diese beiden großen Männer
aussehen, so haben sie doch eins gemeinsam: sie sind die entschiedensten Ver¬
treter der beiden Nationalitäten, denen sie angehören. Es gibt keinen Dichter,
der in einem so eminenten Sinn deutsch genannt werden könnte, als Goethe;
seine Vorliebe für das Fremde ist nicht undeutsch, sondern vielmehr recht deutsch.
Es gibt keinen Schriftsteller, der den gesunden Kern der französischen Nationali¬
tät so klar und correct ausdrückt, als Voltaire. Er ist von der Reaction des
19. Jahrhunderts sehr heftig angefochten worden, zum Theil mit Recht, aber
was man ihm hat entgegensetzen wollen, hat nur eine ephemere Existenz.
Voltaire hat alle Vorzüge und Schwächen eines vorwiegend journalistischen
Schriftstellers; seine vermeintlichen Kunstwerke haben ihren Tag gehabt und


Grenzboten. IV. I86ö. 19

hatten, und wie es zuging, daß sie, das Reitervolk, in die serbischen Berge
vorzudringen vermochten, nach Bosnien und Kroatien. Die osmanische Macht
wuchs damals nach Art der Lawine.

Vom Plotscha-Karakol aus wird der Weg schwieriger; man muß oft zu
einem reiten, und wenn zufällig ein bulgarischer Ochsenwagen uns entgegen¬
kommt, wird die Verlegenheit groß. Diese Wege mochten vordem nicht eben
sicher zu Passiren und Anfälle von Räubern hier nicht selten sein; man muß
es indeß der türkischen Regierung zum Ruhme nachsagen, daß derzeit auf der
ganzen großen Poststraße von Belgrad bis nahe an Adrianopel heran eine
musterhafte Polizei gehandhabt wird. Seltsam, daß dies nicht vom Weichbild
und der weiteren Umgegend der zweiten Hauptstadt des Reiches (Adrianopel)
gesagt werden kann. Wenn auch dort nicht Zustände wie bei Smyrna herr¬
schen, sind dennoch Raubthaten nicht unerhört. Freilich hat man auch in dieser
Hinsicht viel übertrieben.

Es war um Mittag, als wir in das Thal einlenkten, auf dessen Sohle und
zwar auf dem linken Ufer der Nissawa, die Feste Mussa Pascha (Mussa Pascha
Palanga) gelegen ist. Dieselbe ist ein großes, ummauertes, auf den Ecken
und in der Mitte der Facen wie Thürmen versehenes Viereck, ohne vorgelege-
ncn Graben und von sehr zweifelhaftem Werth für die Vertheidigung.




Literaturgeschichte.
Ueber Goethes Verhältniß zu Religion und Christenthum. Von
Ludwig von Lancizolle, Legationsrath. Berlin, Nicolai. —
Lsprit ete Voltaire. I'ur l.. Klsrtin. Kruxsllös N I^ip^iA, liiesslmx,
Lobinie Le Lomx>. —

So entgegengesetzt auf den ersten Anschein diese beiden großen Männer
aussehen, so haben sie doch eins gemeinsam: sie sind die entschiedensten Ver¬
treter der beiden Nationalitäten, denen sie angehören. Es gibt keinen Dichter,
der in einem so eminenten Sinn deutsch genannt werden könnte, als Goethe;
seine Vorliebe für das Fremde ist nicht undeutsch, sondern vielmehr recht deutsch.
Es gibt keinen Schriftsteller, der den gesunden Kern der französischen Nationali¬
tät so klar und correct ausdrückt, als Voltaire. Er ist von der Reaction des
19. Jahrhunderts sehr heftig angefochten worden, zum Theil mit Recht, aber
was man ihm hat entgegensetzen wollen, hat nur eine ephemere Existenz.
Voltaire hat alle Vorzüge und Schwächen eines vorwiegend journalistischen
Schriftstellers; seine vermeintlichen Kunstwerke haben ihren Tag gehabt und


Grenzboten. IV. I86ö. 19
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/153>, abgerufen am 27.04.2024.