Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Badeleben in alter Zeit,

Diese Bilder, welche in Ur. 23 und 24 d. Bl. begannen und weiter
fortgesetzt werden sollen, haben den Zweck, durch Berichte von Zeitgenossen
solche Anschauung von dem Privatleben unsrer Vorfahren zu geben, welche
dazu helfen, uns das Treiben der Vergangenheit verständlich zu machen. Daß
an das Erzählte einige erklärende Bemerkungen gefügt werden, mögen die
Leser nicht für unnöthig halten. Der Nebel, welcher uns die Denkweise und
die Lebensformen vergangener Jahrhunderte verhüllt, ist viel dichter, als man
in der Regel meint, und vieles ist auch für das geübte Auge nicht mehr zu
erkennen. Wir, vermögen bis etwa zum dreißigjährigen Kriege zurück noch
mit erträglicher Sicherheit das deutsche Gemüth und die Formen, welche
dasselbe im Privatleben ausbildete, zu verstehen. Schon im sechzehnten
Jahrhundert überraschen uns auffallende Gebräuche, Einrichtungen, Trachten
und Gewohnheiten, und wenn wir in vielen Dingen unsre Methode zu em¬
pfinden und zu handeln wiedererkennen, so erstaunen wir doppelt über anderes,
was uns verzwickt und abenteuerlich erscheint, bald als Rohheit, bald wieder
als ein Raffinement des Lurus, zuweilen als schöne Poesie, deren Verlust wir
beklagen.

Viel ist für die deutschen Privatalterthümer durch unsre Historiker und
Antiquare in den letzten Jahrzehnten geschehen; aber noch immer bleibt un¬
endlich viel zu thun übrig. Unsre Dichter haben zwar die Pflicht, bei ihrer
Darstellung von Charakteren der Vergangenheit das allgemein Menschliche und
ewig Giltige ihres Lebens in den Vordergrund zu stellen und die Historiker
zeigen uns die Individuen alle in ihrer Richtung auf die höchste Schöpfung deS
Menschen, den Staat; aber beide sind in Verlegenheit, wenn sie uns das Be¬
sondere der Charaktere und Erscheinungen erklären sollen aus dem ganzen
gemüthlichen Inhalt der betreffenden Zeit. Und wenn der Poet durch freie
Combination das fehlende Verständniß ersetzen kann, so gibt es für den
Historiker schon von der Zeit Luthers herab geheimnißvolle und r.äthsel-
hafte Erscheinungen in Menge, von den Wiedertäufern an bis zu den Aben¬
teurern in der Weise der Grasen Kömgsmark, der Casanova und anderer.


Grenzboten. IV. 48on. 26
Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Badeleben in alter Zeit,

Diese Bilder, welche in Ur. 23 und 24 d. Bl. begannen und weiter
fortgesetzt werden sollen, haben den Zweck, durch Berichte von Zeitgenossen
solche Anschauung von dem Privatleben unsrer Vorfahren zu geben, welche
dazu helfen, uns das Treiben der Vergangenheit verständlich zu machen. Daß
an das Erzählte einige erklärende Bemerkungen gefügt werden, mögen die
Leser nicht für unnöthig halten. Der Nebel, welcher uns die Denkweise und
die Lebensformen vergangener Jahrhunderte verhüllt, ist viel dichter, als man
in der Regel meint, und vieles ist auch für das geübte Auge nicht mehr zu
erkennen. Wir, vermögen bis etwa zum dreißigjährigen Kriege zurück noch
mit erträglicher Sicherheit das deutsche Gemüth und die Formen, welche
dasselbe im Privatleben ausbildete, zu verstehen. Schon im sechzehnten
Jahrhundert überraschen uns auffallende Gebräuche, Einrichtungen, Trachten
und Gewohnheiten, und wenn wir in vielen Dingen unsre Methode zu em¬
pfinden und zu handeln wiedererkennen, so erstaunen wir doppelt über anderes,
was uns verzwickt und abenteuerlich erscheint, bald als Rohheit, bald wieder
als ein Raffinement des Lurus, zuweilen als schöne Poesie, deren Verlust wir
beklagen.

Viel ist für die deutschen Privatalterthümer durch unsre Historiker und
Antiquare in den letzten Jahrzehnten geschehen; aber noch immer bleibt un¬
endlich viel zu thun übrig. Unsre Dichter haben zwar die Pflicht, bei ihrer
Darstellung von Charakteren der Vergangenheit das allgemein Menschliche und
ewig Giltige ihres Lebens in den Vordergrund zu stellen und die Historiker
zeigen uns die Individuen alle in ihrer Richtung auf die höchste Schöpfung deS
Menschen, den Staat; aber beide sind in Verlegenheit, wenn sie uns das Be¬
sondere der Charaktere und Erscheinungen erklären sollen aus dem ganzen
gemüthlichen Inhalt der betreffenden Zeit. Und wenn der Poet durch freie
Combination das fehlende Verständniß ersetzen kann, so gibt es für den
Historiker schon von der Zeit Luthers herab geheimnißvolle und r.äthsel-
hafte Erscheinungen in Menge, von den Wiedertäufern an bis zu den Aben¬
teurern in der Weise der Grasen Kömgsmark, der Casanova und anderer.


Grenzboten. IV. 48on. 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100663"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Bilder aus der deutschen Vergangenheit.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Badeleben in alter Zeit,</head><lb/>
            <p xml:id="ID_583"> Diese Bilder, welche in Ur. 23 und 24 d. Bl. begannen und weiter<lb/>
fortgesetzt werden sollen, haben den Zweck, durch Berichte von Zeitgenossen<lb/>
solche Anschauung von dem Privatleben unsrer Vorfahren zu geben, welche<lb/>
dazu helfen, uns das Treiben der Vergangenheit verständlich zu machen. Daß<lb/>
an das Erzählte einige erklärende Bemerkungen gefügt werden, mögen die<lb/>
Leser nicht für unnöthig halten. Der Nebel, welcher uns die Denkweise und<lb/>
die Lebensformen vergangener Jahrhunderte verhüllt, ist viel dichter, als man<lb/>
in der Regel meint, und vieles ist auch für das geübte Auge nicht mehr zu<lb/>
erkennen. Wir, vermögen bis etwa zum dreißigjährigen Kriege zurück noch<lb/>
mit erträglicher Sicherheit das deutsche Gemüth und die Formen, welche<lb/>
dasselbe im Privatleben ausbildete, zu verstehen. Schon im sechzehnten<lb/>
Jahrhundert überraschen uns auffallende Gebräuche, Einrichtungen, Trachten<lb/>
und Gewohnheiten, und wenn wir in vielen Dingen unsre Methode zu em¬<lb/>
pfinden und zu handeln wiedererkennen, so erstaunen wir doppelt über anderes,<lb/>
was uns verzwickt und abenteuerlich erscheint, bald als Rohheit, bald wieder<lb/>
als ein Raffinement des Lurus, zuweilen als schöne Poesie, deren Verlust wir<lb/>
beklagen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_584" next="#ID_585"> Viel ist für die deutschen Privatalterthümer durch unsre Historiker und<lb/>
Antiquare in den letzten Jahrzehnten geschehen; aber noch immer bleibt un¬<lb/>
endlich viel zu thun übrig. Unsre Dichter haben zwar die Pflicht, bei ihrer<lb/>
Darstellung von Charakteren der Vergangenheit das allgemein Menschliche und<lb/>
ewig Giltige ihres Lebens in den Vordergrund zu stellen und die Historiker<lb/>
zeigen uns die Individuen alle in ihrer Richtung auf die höchste Schöpfung deS<lb/>
Menschen, den Staat; aber beide sind in Verlegenheit, wenn sie uns das Be¬<lb/>
sondere der Charaktere und Erscheinungen erklären sollen aus dem ganzen<lb/>
gemüthlichen Inhalt der betreffenden Zeit. Und wenn der Poet durch freie<lb/>
Combination das fehlende Verständniß ersetzen kann, so gibt es für den<lb/>
Historiker schon von der Zeit Luthers herab geheimnißvolle und r.äthsel-<lb/>
hafte Erscheinungen in Menge, von den Wiedertäufern an bis zu den Aben¬<lb/>
teurern in der Weise der Grasen Kömgsmark, der Casanova und anderer.</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. IV. 48on. 26</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Badeleben in alter Zeit, Diese Bilder, welche in Ur. 23 und 24 d. Bl. begannen und weiter fortgesetzt werden sollen, haben den Zweck, durch Berichte von Zeitgenossen solche Anschauung von dem Privatleben unsrer Vorfahren zu geben, welche dazu helfen, uns das Treiben der Vergangenheit verständlich zu machen. Daß an das Erzählte einige erklärende Bemerkungen gefügt werden, mögen die Leser nicht für unnöthig halten. Der Nebel, welcher uns die Denkweise und die Lebensformen vergangener Jahrhunderte verhüllt, ist viel dichter, als man in der Regel meint, und vieles ist auch für das geübte Auge nicht mehr zu erkennen. Wir, vermögen bis etwa zum dreißigjährigen Kriege zurück noch mit erträglicher Sicherheit das deutsche Gemüth und die Formen, welche dasselbe im Privatleben ausbildete, zu verstehen. Schon im sechzehnten Jahrhundert überraschen uns auffallende Gebräuche, Einrichtungen, Trachten und Gewohnheiten, und wenn wir in vielen Dingen unsre Methode zu em¬ pfinden und zu handeln wiedererkennen, so erstaunen wir doppelt über anderes, was uns verzwickt und abenteuerlich erscheint, bald als Rohheit, bald wieder als ein Raffinement des Lurus, zuweilen als schöne Poesie, deren Verlust wir beklagen. Viel ist für die deutschen Privatalterthümer durch unsre Historiker und Antiquare in den letzten Jahrzehnten geschehen; aber noch immer bleibt un¬ endlich viel zu thun übrig. Unsre Dichter haben zwar die Pflicht, bei ihrer Darstellung von Charakteren der Vergangenheit das allgemein Menschliche und ewig Giltige ihres Lebens in den Vordergrund zu stellen und die Historiker zeigen uns die Individuen alle in ihrer Richtung auf die höchste Schöpfung deS Menschen, den Staat; aber beide sind in Verlegenheit, wenn sie uns das Be¬ sondere der Charaktere und Erscheinungen erklären sollen aus dem ganzen gemüthlichen Inhalt der betreffenden Zeit. Und wenn der Poet durch freie Combination das fehlende Verständniß ersetzen kann, so gibt es für den Historiker schon von der Zeit Luthers herab geheimnißvolle und r.äthsel- hafte Erscheinungen in Menge, von den Wiedertäufern an bis zu den Aben¬ teurern in der Weise der Grasen Kömgsmark, der Casanova und anderer. Grenzboten. IV. 48on. 26

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/209>, abgerufen am 27.04.2024.