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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Blllemmn und Napoleon !.

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Auf die unbeschränkte Preß- und Redefreiheit, welche die Februarrevolu¬
tion Frankreich brachte, ist seit dem Gelangen Ludwig Napoleons zur Herr¬
schaft ein Zustand gefolgt, in dem kein Wort des directen Tadels gegen die
Regierung laut werden darf und nur beifälliges und oft überschwengliches
Lob der von der Regierung besoldeten Volksvertreter und der auch ohne
Censur unter strenger Zucht gehaltenen Presse zu vernehmen ist. Nur indirect
macht sich die Opposition hörbar und sie geht hauptsächlich von den Männern
aus, die man die Blüte der Intelligenz Frankreichs nennen kann und die seit
der Restauration nicht ohne Ruhm und mit nur zu kurz dauerndem Glück für die
Begründung einer gemäßigten politischen Freiheit in ihrem Vaterlande ge¬
kämpft haben. Sie blicken natürlich mit.Schmerz auf eine Zeit zurück, wo sich
im freien, lebendigen Spiel der gegenüberstehenden Kraft der politische Cha¬
rakter des Einzelnen und der Nation fühlte, und können sich nicht mit einer
Zeit aussöhnen, welche gehorsames Schweigen in willenloser Unterwürfigkeit
als einzige Mannestugend gelten lassen möchte. Da sie aber die bestehenden
Zustände nicht offen kritistren dürfen, so versuchen sie Satiren auf die Gegen¬
wart, indem sie dieselbe mit Epochen früherer Freiheit vergleichen oder auf die
ursprüngliche Begründung der Macht deö gegenwärtigen Inhabers der Re-
gierungsgewalt zurückgehen und aus die Herrschaft deS ersten Napoleons und den
wahren Werth der von ihm erworbenen Gloire grelle Streiflichter fallen lassen.
Zu dieser Classe von Büchern gehören Villemaws Souvenirs eonternporiuns
Ä'Mstoirs et cke I^tterature, deren zweiter und letzter Band im Sommer dieses
Jahres erschienen ist. Villemain, unter Ludwig Philipp zweimal Unter¬
richtsminister, gehörte schon als junger Professor der Beredsamkeit an der Sor¬
bonne seit 1816, wie seine College" Cousin und Guizot zu denjenigen, welche
die französische Jugend für die Formen der Repräsentativregierung begeisterten
und die Herstellung einer parlamentarischen Negierung möglich machten und
selbst unter Ludwig Philipps eigennütziger Herrschsucht durchzuführen versuchten.
Ein Theil seines Buches beschäftigt sich mit den schönen Flitterwochen der coy-
stitutionellen Freiheit unter Ludwig XVlII., dem einzigen französischen Fürsten, der
in aller Aufrichtigkeit mit der Verfassung regieren wollte; der andre Theil bespricht
die glanzvollen Zeiten, wo der erste Napoleon scheinbar auf der Höhe seines Ruhms
stand, wo aber schon, obgleich nur sehr wenigen sichtbar, der Wurm an dem
Riesengebäude seiner Herrschaft nagte, der sie zum schmählichen Sturze brachte.
Die Mittheilungen, die uns Villemain über die Zeit vor dem russischen Feld¬
zug von 1812 und während desselben macht, sind äußerst werthvoll für eine


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Blllemmn und Napoleon !.

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Auf die unbeschränkte Preß- und Redefreiheit, welche die Februarrevolu¬
tion Frankreich brachte, ist seit dem Gelangen Ludwig Napoleons zur Herr¬
schaft ein Zustand gefolgt, in dem kein Wort des directen Tadels gegen die
Regierung laut werden darf und nur beifälliges und oft überschwengliches
Lob der von der Regierung besoldeten Volksvertreter und der auch ohne
Censur unter strenger Zucht gehaltenen Presse zu vernehmen ist. Nur indirect
macht sich die Opposition hörbar und sie geht hauptsächlich von den Männern
aus, die man die Blüte der Intelligenz Frankreichs nennen kann und die seit
der Restauration nicht ohne Ruhm und mit nur zu kurz dauerndem Glück für die
Begründung einer gemäßigten politischen Freiheit in ihrem Vaterlande ge¬
kämpft haben. Sie blicken natürlich mit.Schmerz auf eine Zeit zurück, wo sich
im freien, lebendigen Spiel der gegenüberstehenden Kraft der politische Cha¬
rakter des Einzelnen und der Nation fühlte, und können sich nicht mit einer
Zeit aussöhnen, welche gehorsames Schweigen in willenloser Unterwürfigkeit
als einzige Mannestugend gelten lassen möchte. Da sie aber die bestehenden
Zustände nicht offen kritistren dürfen, so versuchen sie Satiren auf die Gegen¬
wart, indem sie dieselbe mit Epochen früherer Freiheit vergleichen oder auf die
ursprüngliche Begründung der Macht deö gegenwärtigen Inhabers der Re-
gierungsgewalt zurückgehen und aus die Herrschaft deS ersten Napoleons und den
wahren Werth der von ihm erworbenen Gloire grelle Streiflichter fallen lassen.
Zu dieser Classe von Büchern gehören Villemaws Souvenirs eonternporiuns
Ä'Mstoirs et cke I^tterature, deren zweiter und letzter Band im Sommer dieses
Jahres erschienen ist. Villemain, unter Ludwig Philipp zweimal Unter¬
richtsminister, gehörte schon als junger Professor der Beredsamkeit an der Sor¬
bonne seit 1816, wie seine College« Cousin und Guizot zu denjenigen, welche
die französische Jugend für die Formen der Repräsentativregierung begeisterten
und die Herstellung einer parlamentarischen Negierung möglich machten und
selbst unter Ludwig Philipps eigennütziger Herrschsucht durchzuführen versuchten.
Ein Theil seines Buches beschäftigt sich mit den schönen Flitterwochen der coy-
stitutionellen Freiheit unter Ludwig XVlII., dem einzigen französischen Fürsten, der
in aller Aufrichtigkeit mit der Verfassung regieren wollte; der andre Theil bespricht
die glanzvollen Zeiten, wo der erste Napoleon scheinbar auf der Höhe seines Ruhms
stand, wo aber schon, obgleich nur sehr wenigen sichtbar, der Wurm an dem
Riesengebäude seiner Herrschaft nagte, der sie zum schmählichen Sturze brachte.
Die Mittheilungen, die uns Villemain über die Zeit vor dem russischen Feld¬
zug von 1812 und während desselben macht, sind äußerst werthvoll für eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/240>, abgerufen am 28.04.2024.