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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Herr Laurenz Hmmibal Fischer.

Politisches Martyrthum. Eine Criminalgcschichte mit Ackerstücken von
"r. Laurenz Hannibal Fischer. Leipzig, N, Hoffmann. --

Die angezeigte Schrift des Herrn Fischer ist durch seine bekannte Ver¬
haftung in Koburg und die darauf erfolgte Entlassung aus dem Lippeschen
Staatsdienst veranlaßt worden; aber der Verfasser hat sich die Freude nicht
versagen können, bei dieser Gelegenheit mehr von sich selbst zu erzählen, als
in einer Vertheidigungsschrift grade nothwendig ist. Das Buch enthält in
der That seinen Lebenslauf, wenigstens in allen den Beziehungen, welche
dem Publicum von Interesse sein können. Der leitende Gedanke der Bio¬
graphie aber ist, daß der Verfasser seit frühester Zeit ein Märtyrer der Reaction
gewesen sei. Bei solchem Inhalt deS Buchs erregt es starkes Befremden, daß
der Verfasser sein eignes Leben eine Crüninalgeschichte nennt, denn er hat
Zwar viel mit den Gerichten zu thun gehabt und ist mehre Male eingesteckt,
gröblich insultirt und von der Polizei wie vom Volke mißhandelt worden, aber
in seinem eignen Interesse muß doch bemerkt werden, daß er sich sehr ver¬
leumdet, wenn er den Abriß seiner Beamtenschicksale so darstellt, als wäre er
vorzugsweise aus Crimiualacten entnommen.

Auch die politischen Gegner des Herrn Fischer werden ihm dankbar sein,
daß er statt einer trockenen Deduction seines Rechts und des Unrechts seiner
Feinde ein Buch geschrieben hat, welches niemand ohne lebhafte Empfindun¬
gen durchlesen kann. Zwar sind diese Empfindungen durchaus nicht von der
Art, baß man für sein Recht Partei nehmen könnte, im Gegentheil man ver¬
mag nicht selten hinter den Zeilen zu lesen, aus welchen Gründen Herr
Fischer so vieles Trübe erduldet und so bittern Undank erfahren, aber man '
^me durch das Buch einen Menschen von nicht gewöhnlicher Organisation
kennen. Soviel naive Eitelkeit, ein so leidenschaftlicher, hartnäckiger Eifer
sür falsche Ideale, eine so ausgezeichnete Querköpsigkeit, so große Verblen¬
dung gegen die Folgen seiner Handlungen, und dabei eine so starke Dosis guter
Laune, ein sanguinisches Naturell, welches leicht bereit ist, die Dinge so zu
finden, wie sie dem eignen Wesen angenehm sind und, wie wir gern anneh-
wen, auch große Gutherzigkeit und Ehrlichkeit, werden sich selten in einer


Grenzboten. IV. -1863. 31
Herr Laurenz Hmmibal Fischer.

Politisches Martyrthum. Eine Criminalgcschichte mit Ackerstücken von
»r. Laurenz Hannibal Fischer. Leipzig, N, Hoffmann. —

Die angezeigte Schrift des Herrn Fischer ist durch seine bekannte Ver¬
haftung in Koburg und die darauf erfolgte Entlassung aus dem Lippeschen
Staatsdienst veranlaßt worden; aber der Verfasser hat sich die Freude nicht
versagen können, bei dieser Gelegenheit mehr von sich selbst zu erzählen, als
in einer Vertheidigungsschrift grade nothwendig ist. Das Buch enthält in
der That seinen Lebenslauf, wenigstens in allen den Beziehungen, welche
dem Publicum von Interesse sein können. Der leitende Gedanke der Bio¬
graphie aber ist, daß der Verfasser seit frühester Zeit ein Märtyrer der Reaction
gewesen sei. Bei solchem Inhalt deS Buchs erregt es starkes Befremden, daß
der Verfasser sein eignes Leben eine Crüninalgeschichte nennt, denn er hat
Zwar viel mit den Gerichten zu thun gehabt und ist mehre Male eingesteckt,
gröblich insultirt und von der Polizei wie vom Volke mißhandelt worden, aber
in seinem eignen Interesse muß doch bemerkt werden, daß er sich sehr ver¬
leumdet, wenn er den Abriß seiner Beamtenschicksale so darstellt, als wäre er
vorzugsweise aus Crimiualacten entnommen.

Auch die politischen Gegner des Herrn Fischer werden ihm dankbar sein,
daß er statt einer trockenen Deduction seines Rechts und des Unrechts seiner
Feinde ein Buch geschrieben hat, welches niemand ohne lebhafte Empfindun¬
gen durchlesen kann. Zwar sind diese Empfindungen durchaus nicht von der
Art, baß man für sein Recht Partei nehmen könnte, im Gegentheil man ver¬
mag nicht selten hinter den Zeilen zu lesen, aus welchen Gründen Herr
Fischer so vieles Trübe erduldet und so bittern Undank erfahren, aber man '
^me durch das Buch einen Menschen von nicht gewöhnlicher Organisation
kennen. Soviel naive Eitelkeit, ein so leidenschaftlicher, hartnäckiger Eifer
sür falsche Ideale, eine so ausgezeichnete Querköpsigkeit, so große Verblen¬
dung gegen die Folgen seiner Handlungen, und dabei eine so starke Dosis guter
Laune, ein sanguinisches Naturell, welches leicht bereit ist, die Dinge so zu
finden, wie sie dem eignen Wesen angenehm sind und, wie wir gern anneh-
wen, auch große Gutherzigkeit und Ehrlichkeit, werden sich selten in einer


Grenzboten. IV. -1863. 31
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[0249] Herr Laurenz Hmmibal Fischer. Politisches Martyrthum. Eine Criminalgcschichte mit Ackerstücken von »r. Laurenz Hannibal Fischer. Leipzig, N, Hoffmann. — Die angezeigte Schrift des Herrn Fischer ist durch seine bekannte Ver¬ haftung in Koburg und die darauf erfolgte Entlassung aus dem Lippeschen Staatsdienst veranlaßt worden; aber der Verfasser hat sich die Freude nicht versagen können, bei dieser Gelegenheit mehr von sich selbst zu erzählen, als in einer Vertheidigungsschrift grade nothwendig ist. Das Buch enthält in der That seinen Lebenslauf, wenigstens in allen den Beziehungen, welche dem Publicum von Interesse sein können. Der leitende Gedanke der Bio¬ graphie aber ist, daß der Verfasser seit frühester Zeit ein Märtyrer der Reaction gewesen sei. Bei solchem Inhalt deS Buchs erregt es starkes Befremden, daß der Verfasser sein eignes Leben eine Crüninalgeschichte nennt, denn er hat Zwar viel mit den Gerichten zu thun gehabt und ist mehre Male eingesteckt, gröblich insultirt und von der Polizei wie vom Volke mißhandelt worden, aber in seinem eignen Interesse muß doch bemerkt werden, daß er sich sehr ver¬ leumdet, wenn er den Abriß seiner Beamtenschicksale so darstellt, als wäre er vorzugsweise aus Crimiualacten entnommen. Auch die politischen Gegner des Herrn Fischer werden ihm dankbar sein, daß er statt einer trockenen Deduction seines Rechts und des Unrechts seiner Feinde ein Buch geschrieben hat, welches niemand ohne lebhafte Empfindun¬ gen durchlesen kann. Zwar sind diese Empfindungen durchaus nicht von der Art, baß man für sein Recht Partei nehmen könnte, im Gegentheil man ver¬ mag nicht selten hinter den Zeilen zu lesen, aus welchen Gründen Herr Fischer so vieles Trübe erduldet und so bittern Undank erfahren, aber man ' ^me durch das Buch einen Menschen von nicht gewöhnlicher Organisation kennen. Soviel naive Eitelkeit, ein so leidenschaftlicher, hartnäckiger Eifer sür falsche Ideale, eine so ausgezeichnete Querköpsigkeit, so große Verblen¬ dung gegen die Folgen seiner Handlungen, und dabei eine so starke Dosis guter Laune, ein sanguinisches Naturell, welches leicht bereit ist, die Dinge so zu finden, wie sie dem eignen Wesen angenehm sind und, wie wir gern anneh- wen, auch große Gutherzigkeit und Ehrlichkeit, werden sich selten in einer Grenzboten. IV. -1863. 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/249>, abgerufen am 27.04.2024.