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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wir Homer und^die erlauchte ' Gesellschaft vergessen, die ihn umgibt. Wenn
dieses Bild heute zu Grunde ging, es würde kein Maler außer Ingres es wie¬
der schaffen können, aber wir glauben, die Kunst würde sich trösten können,
auch wenn es nicht eristirte. 'Wo Ingres ohne Nebenbuhler dasteht, das ist
im Porträt und sein beobachtender Geist, sein eingehendes Studium, sein Er¬
fassen der kleinsten Wesentlichkeit, die zum Verständnisse eines Charakters ge¬
hören,' sind unvergleichlich. Sein vorwiegend plastischer Sinn verräth sich bei
seinen Porträts am deutlichsten und man fragt sich, ob Ingres nicht Beten^
derberes als Bildhauer geleistet haben würde. Sein eignes Porträt, das von
Armand Bertin, dem verstorbenen Redacteur deö Journal des Debats und andere,
sind so bedeutend, daß sie dem Besten zur Seite gestellt werden können, was
die Kunst auszuweisen hat. Dasselbe galt von seinem Hochamte in der sir-
tinischen Kapelle. Dieses Bildchen vereinigt alle Eigenschaften, die man von
einem edlen Kunstwerke verlangen kann. Zeichnung, Farbe, Composition und
das darüber ausgebreitete Leben machen es uns gleich werth. Es ging dem
Maler dabei wie bei seinen Porträts, er mußte seine archäologischen Kenntnisse
vergessen und sich an das Erlebte halten. Und wie schwer war es, einem so
monotonen Gegenstande, wie eine Versammlung von Bischöfen, Interesse abzu¬
gewinnen. Wir stellen dieses Gemälde Titiäns Concil von Trient keck an die Seite.
Ingres hat einen größeren Einfluß auf die moderne Kunst in Frankreich ausgeübt
durch die Discussionen, die er hervorgerufen, als durch die Begeisterung, die
feine, Werke hervorgebracht und durch die Zöglinge, die er gebildet. Unter den
letzteren kann blos Hippolyt Flandrin ungewöhnliche Bedeutung zugesprochen
werden. Bezeichnend für das Talent Ingres ist auch der Umstand, daß er
fast ebensoviele Bildhauer gebildet, als Maler, Outine Eder und Simart sind
aus seinem Atelier hervorgegangen. Letztrer hat seinen archäologischen Sinn
auch nur unter der Leitung eines Mannes, wie Ingres, in dem Maße aus¬
bilden können. Seine Nachahmung der Pallas Athene, welche der vervienst-
volle und gebildete Herzog von Luynes bei ihm bestellt, befriedigt auch zu¬
meist in antiquarischer Beziehung, sonst konnten wir ihr nur wenig Reiz ab¬
gewinnen.




Theurung und Noth der Arbeiter.

Ein Jahr voll sonnenheller Tage mit einem feuchten Frühjahr, einem
warmen Sommer und einem lauen, milden Herbst und doch kein Segen
auf der Arbeit des deutschen Landmannes! Die Blumen haben glänzend
geblüht, die Vögel so lustig gesungen wie je, auch die Obstbäume standen
im Frühjahr weiß wie riesige Schneebälle, und die rothbäckigen Aepfel
blieben in Menge daran hängen; aber auf den Feldern kein Segen!


wir Homer und^die erlauchte ' Gesellschaft vergessen, die ihn umgibt. Wenn
dieses Bild heute zu Grunde ging, es würde kein Maler außer Ingres es wie¬
der schaffen können, aber wir glauben, die Kunst würde sich trösten können,
auch wenn es nicht eristirte. 'Wo Ingres ohne Nebenbuhler dasteht, das ist
im Porträt und sein beobachtender Geist, sein eingehendes Studium, sein Er¬
fassen der kleinsten Wesentlichkeit, die zum Verständnisse eines Charakters ge¬
hören,' sind unvergleichlich. Sein vorwiegend plastischer Sinn verräth sich bei
seinen Porträts am deutlichsten und man fragt sich, ob Ingres nicht Beten^
derberes als Bildhauer geleistet haben würde. Sein eignes Porträt, das von
Armand Bertin, dem verstorbenen Redacteur deö Journal des Debats und andere,
sind so bedeutend, daß sie dem Besten zur Seite gestellt werden können, was
die Kunst auszuweisen hat. Dasselbe galt von seinem Hochamte in der sir-
tinischen Kapelle. Dieses Bildchen vereinigt alle Eigenschaften, die man von
einem edlen Kunstwerke verlangen kann. Zeichnung, Farbe, Composition und
das darüber ausgebreitete Leben machen es uns gleich werth. Es ging dem
Maler dabei wie bei seinen Porträts, er mußte seine archäologischen Kenntnisse
vergessen und sich an das Erlebte halten. Und wie schwer war es, einem so
monotonen Gegenstande, wie eine Versammlung von Bischöfen, Interesse abzu¬
gewinnen. Wir stellen dieses Gemälde Titiäns Concil von Trient keck an die Seite.
Ingres hat einen größeren Einfluß auf die moderne Kunst in Frankreich ausgeübt
durch die Discussionen, die er hervorgerufen, als durch die Begeisterung, die
feine, Werke hervorgebracht und durch die Zöglinge, die er gebildet. Unter den
letzteren kann blos Hippolyt Flandrin ungewöhnliche Bedeutung zugesprochen
werden. Bezeichnend für das Talent Ingres ist auch der Umstand, daß er
fast ebensoviele Bildhauer gebildet, als Maler, Outine Eder und Simart sind
aus seinem Atelier hervorgegangen. Letztrer hat seinen archäologischen Sinn
auch nur unter der Leitung eines Mannes, wie Ingres, in dem Maße aus¬
bilden können. Seine Nachahmung der Pallas Athene, welche der vervienst-
volle und gebildete Herzog von Luynes bei ihm bestellt, befriedigt auch zu¬
meist in antiquarischer Beziehung, sonst konnten wir ihr nur wenig Reiz ab¬
gewinnen.




Theurung und Noth der Arbeiter.

Ein Jahr voll sonnenheller Tage mit einem feuchten Frühjahr, einem
warmen Sommer und einem lauen, milden Herbst und doch kein Segen
auf der Arbeit des deutschen Landmannes! Die Blumen haben glänzend
geblüht, die Vögel so lustig gesungen wie je, auch die Obstbäume standen
im Frühjahr weiß wie riesige Schneebälle, und die rothbäckigen Aepfel
blieben in Menge daran hängen; aber auf den Feldern kein Segen!


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[0277] wir Homer und^die erlauchte ' Gesellschaft vergessen, die ihn umgibt. Wenn dieses Bild heute zu Grunde ging, es würde kein Maler außer Ingres es wie¬ der schaffen können, aber wir glauben, die Kunst würde sich trösten können, auch wenn es nicht eristirte. 'Wo Ingres ohne Nebenbuhler dasteht, das ist im Porträt und sein beobachtender Geist, sein eingehendes Studium, sein Er¬ fassen der kleinsten Wesentlichkeit, die zum Verständnisse eines Charakters ge¬ hören,' sind unvergleichlich. Sein vorwiegend plastischer Sinn verräth sich bei seinen Porträts am deutlichsten und man fragt sich, ob Ingres nicht Beten^ derberes als Bildhauer geleistet haben würde. Sein eignes Porträt, das von Armand Bertin, dem verstorbenen Redacteur deö Journal des Debats und andere, sind so bedeutend, daß sie dem Besten zur Seite gestellt werden können, was die Kunst auszuweisen hat. Dasselbe galt von seinem Hochamte in der sir- tinischen Kapelle. Dieses Bildchen vereinigt alle Eigenschaften, die man von einem edlen Kunstwerke verlangen kann. Zeichnung, Farbe, Composition und das darüber ausgebreitete Leben machen es uns gleich werth. Es ging dem Maler dabei wie bei seinen Porträts, er mußte seine archäologischen Kenntnisse vergessen und sich an das Erlebte halten. Und wie schwer war es, einem so monotonen Gegenstande, wie eine Versammlung von Bischöfen, Interesse abzu¬ gewinnen. Wir stellen dieses Gemälde Titiäns Concil von Trient keck an die Seite. Ingres hat einen größeren Einfluß auf die moderne Kunst in Frankreich ausgeübt durch die Discussionen, die er hervorgerufen, als durch die Begeisterung, die feine, Werke hervorgebracht und durch die Zöglinge, die er gebildet. Unter den letzteren kann blos Hippolyt Flandrin ungewöhnliche Bedeutung zugesprochen werden. Bezeichnend für das Talent Ingres ist auch der Umstand, daß er fast ebensoviele Bildhauer gebildet, als Maler, Outine Eder und Simart sind aus seinem Atelier hervorgegangen. Letztrer hat seinen archäologischen Sinn auch nur unter der Leitung eines Mannes, wie Ingres, in dem Maße aus¬ bilden können. Seine Nachahmung der Pallas Athene, welche der vervienst- volle und gebildete Herzog von Luynes bei ihm bestellt, befriedigt auch zu¬ meist in antiquarischer Beziehung, sonst konnten wir ihr nur wenig Reiz ab¬ gewinnen. Theurung und Noth der Arbeiter. Ein Jahr voll sonnenheller Tage mit einem feuchten Frühjahr, einem warmen Sommer und einem lauen, milden Herbst und doch kein Segen auf der Arbeit des deutschen Landmannes! Die Blumen haben glänzend geblüht, die Vögel so lustig gesungen wie je, auch die Obstbäume standen im Frühjahr weiß wie riesige Schneebälle, und die rothbäckigen Aepfel blieben in Menge daran hängen; aber auf den Feldern kein Segen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/277>, abgerufen am 27.04.2024.