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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Die Kunst des deutschen Uebersetzers.

Mit Recht bat man bemerkt, daß von der mittelalterlichen die neuere Ent¬
faltung und Blüte der Dichtkunst sich dadurch unterscheide, daß sie wesentlich
von fremdem Anstoß ausgegangen sei. Es ist charakteristisch, daß an der
Spitze derselben eine Uebersetzung steht, die einflußreichste, die je gemacht
ist, die luthersche Bibel, Der Kunststil hat in Deutschland, je nach dem Ein¬
treten dieses oder jenes auswärtigen Einflusses gewechselt; seine Phasen sind
die eigentlichen Knoten- und Ausgangspunkte der Literatur; seine Resultate,
seine mit unsern größten Geistern erzeugten Producte unsre größten Schätze
und es sind keineswegs unsre größten Erzeugnisse, mit Ausnahme weniger
Lieder, welche im unmittelbaren Anschluß an die äußern Interessen unsers
Volkes entstanden sind. Obgleich aber sich durch diese immer neuen Elemente
der Gesichtskreis der Nation aufs schönste erweitert hat, so ist es doch nicht zu
leugnen, daß, gegenüber dem volksthümlichen Emporwachsen im Mittelalter,
dieses Angeregtwerden von außen sein ernstes politisches Spiegelbild hat. Aber
Thorheit wäre es, unsre Empfänglichkeit für das Fremde darum zu schelten,
Thorheit, zu wähnen, man könne den politischen Sinn durch Unterdrückung
der frei anerkennenden Kunst und Wissenschaft, oder durch Hinlenkung auf
einseitig nationale und unmittelbar praktische Interessen fördern; der Deutsche
ist wol am wenigsten der Mann, auf diesem Wege zu etwas Anderem als
zu einem kleinlichen, schmuzigen Eigennutz zu gelangen. Denn es kommt
für unsre Bildung nicht darauf an, ob fremd oder nicht fremd im Anlaß, aber
wol darauf, daß das Fremde selbst lebensfähig, daß es bedeutender sei, als
das Eigne. Und zweitens darauf, daß es uns nicht völlig übermanne, son¬
dern daß wir uns dasselbe unterwerfen, so weit es uns gleichartig ist.

Die Einwirkung des fremden Geschmacks aber geschieht, (wenn wir
uns zunächst auf die Dichtkunst beschränken, theils dadurch, daß ein
großer Theil der Gebildeten die fremde Sprache lernt, theils dadurch,
daß allen Gebildeten die Erzeugnisse derselben in deutschen Nachbildungen
Zugeführt werden. Fast immer durchdringt sich dieses gegenseitig, so daß
aus dem Sprachstudium die deutsche Nachbildung hervorgeht und diese
wieder auf Belebung und Verallgemeinerung des Sprachstudiums einwirkt.


Greuzbowl. IV. 18so.
Die Kunst des deutschen Uebersetzers.

Mit Recht bat man bemerkt, daß von der mittelalterlichen die neuere Ent¬
faltung und Blüte der Dichtkunst sich dadurch unterscheide, daß sie wesentlich
von fremdem Anstoß ausgegangen sei. Es ist charakteristisch, daß an der
Spitze derselben eine Uebersetzung steht, die einflußreichste, die je gemacht
ist, die luthersche Bibel, Der Kunststil hat in Deutschland, je nach dem Ein¬
treten dieses oder jenes auswärtigen Einflusses gewechselt; seine Phasen sind
die eigentlichen Knoten- und Ausgangspunkte der Literatur; seine Resultate,
seine mit unsern größten Geistern erzeugten Producte unsre größten Schätze
und es sind keineswegs unsre größten Erzeugnisse, mit Ausnahme weniger
Lieder, welche im unmittelbaren Anschluß an die äußern Interessen unsers
Volkes entstanden sind. Obgleich aber sich durch diese immer neuen Elemente
der Gesichtskreis der Nation aufs schönste erweitert hat, so ist es doch nicht zu
leugnen, daß, gegenüber dem volksthümlichen Emporwachsen im Mittelalter,
dieses Angeregtwerden von außen sein ernstes politisches Spiegelbild hat. Aber
Thorheit wäre es, unsre Empfänglichkeit für das Fremde darum zu schelten,
Thorheit, zu wähnen, man könne den politischen Sinn durch Unterdrückung
der frei anerkennenden Kunst und Wissenschaft, oder durch Hinlenkung auf
einseitig nationale und unmittelbar praktische Interessen fördern; der Deutsche
ist wol am wenigsten der Mann, auf diesem Wege zu etwas Anderem als
zu einem kleinlichen, schmuzigen Eigennutz zu gelangen. Denn es kommt
für unsre Bildung nicht darauf an, ob fremd oder nicht fremd im Anlaß, aber
wol darauf, daß das Fremde selbst lebensfähig, daß es bedeutender sei, als
das Eigne. Und zweitens darauf, daß es uns nicht völlig übermanne, son¬
dern daß wir uns dasselbe unterwerfen, so weit es uns gleichartig ist.

Die Einwirkung des fremden Geschmacks aber geschieht, (wenn wir
uns zunächst auf die Dichtkunst beschränken, theils dadurch, daß ein
großer Theil der Gebildeten die fremde Sprache lernt, theils dadurch,
daß allen Gebildeten die Erzeugnisse derselben in deutschen Nachbildungen
Zugeführt werden. Fast immer durchdringt sich dieses gegenseitig, so daß
aus dem Sprachstudium die deutsche Nachbildung hervorgeht und diese
wieder auf Belebung und Verallgemeinerung des Sprachstudiums einwirkt.


Greuzbowl. IV. 18so.
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[0369] Die Kunst des deutschen Uebersetzers. Mit Recht bat man bemerkt, daß von der mittelalterlichen die neuere Ent¬ faltung und Blüte der Dichtkunst sich dadurch unterscheide, daß sie wesentlich von fremdem Anstoß ausgegangen sei. Es ist charakteristisch, daß an der Spitze derselben eine Uebersetzung steht, die einflußreichste, die je gemacht ist, die luthersche Bibel, Der Kunststil hat in Deutschland, je nach dem Ein¬ treten dieses oder jenes auswärtigen Einflusses gewechselt; seine Phasen sind die eigentlichen Knoten- und Ausgangspunkte der Literatur; seine Resultate, seine mit unsern größten Geistern erzeugten Producte unsre größten Schätze und es sind keineswegs unsre größten Erzeugnisse, mit Ausnahme weniger Lieder, welche im unmittelbaren Anschluß an die äußern Interessen unsers Volkes entstanden sind. Obgleich aber sich durch diese immer neuen Elemente der Gesichtskreis der Nation aufs schönste erweitert hat, so ist es doch nicht zu leugnen, daß, gegenüber dem volksthümlichen Emporwachsen im Mittelalter, dieses Angeregtwerden von außen sein ernstes politisches Spiegelbild hat. Aber Thorheit wäre es, unsre Empfänglichkeit für das Fremde darum zu schelten, Thorheit, zu wähnen, man könne den politischen Sinn durch Unterdrückung der frei anerkennenden Kunst und Wissenschaft, oder durch Hinlenkung auf einseitig nationale und unmittelbar praktische Interessen fördern; der Deutsche ist wol am wenigsten der Mann, auf diesem Wege zu etwas Anderem als zu einem kleinlichen, schmuzigen Eigennutz zu gelangen. Denn es kommt für unsre Bildung nicht darauf an, ob fremd oder nicht fremd im Anlaß, aber wol darauf, daß das Fremde selbst lebensfähig, daß es bedeutender sei, als das Eigne. Und zweitens darauf, daß es uns nicht völlig übermanne, son¬ dern daß wir uns dasselbe unterwerfen, so weit es uns gleichartig ist. Die Einwirkung des fremden Geschmacks aber geschieht, (wenn wir uns zunächst auf die Dichtkunst beschränken, theils dadurch, daß ein großer Theil der Gebildeten die fremde Sprache lernt, theils dadurch, daß allen Gebildeten die Erzeugnisse derselben in deutschen Nachbildungen Zugeführt werden. Fast immer durchdringt sich dieses gegenseitig, so daß aus dem Sprachstudium die deutsche Nachbildung hervorgeht und diese wieder auf Belebung und Verallgemeinerung des Sprachstudiums einwirkt. Greuzbowl. IV. 18so.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/369>, abgerufen am 27.04.2024.