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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Würde und Maß zu verlieren, zu düsterer, tragischer Leidenschaft wächtig
emporhebt. Beide Composttionen wurden mit Beifall ausgenommen.




Deutsche Einflüsse in Amerika.

Theodor Parlers sämmtliche Werke. Deutsch von Johannes Ziethen.
Band 1. 3 und i. Leipzig, Voigt K Günther. --

Nach den Brutalitäten, welche neuerdings in Louisville und andern
amerikanischen Orten gegen die deutschen Einwanderer ausgeübt sind, ist eS
eine erfreuliche Wahrnehmung, daß unter den gebildeten Classen Amerikas die
Kenntniß der deutschen Literatur und das Interesse für dieselbe immer mehr
Boden gewinnt. Zwar sind es immer nur noch vereinzelte Bestrebungen,
welche die Resultate der deutschen Philosophie dem widerstrebenden Geist der
Amerikaner einzuprägen suchen und sie leiden selbst zum Theil an dem allge¬
meinen Uebelstand einer Reaction gegen den herrschenden Nationalgeist, sie
sind sich nämlich noch nicht ganz klar: aber sie erweitern sich doch zusehends
und gewinnen an Verständniß wie an Ausdehnung.

Theodor Parker ist von der Sekte der Congregationisten ausgegangen,
welche sich gegen das Ende des 16. Jahrhunderts der Herrschaft der angli¬
kanischen Kirche entzogen und im Anfang des folgenden Jahrhunderts nach
Amerika auswanderten. Sie gehörten niemals zu jenen wilden, fanatischen
Sekten, die in das religiöse Leben Neuenglands eine so wunderliche Färbung
einführen, sie waren praktisch in ihrer Kirchenzucht und in ihren gesellschaft¬
lichen Zuständen und gemäßigt, wenn auch rechtgläubig in ihren theologischen
Ueberzeugungen. Von dieser Sekte wurde Parker kurz nach seinem Abgang
von der Universität zum Prediger einer Gemeinde in Boston berufen, erregte
durch seine Beredtsamkeit eine allgemeine Theilnahme, sah sich aber doch zuletzt
genöthigt, den Anfechtungen seiner Kollegen von strengerer Richtung zu weichen
und begab sich, da er mittlerweile durch Heirath ein wohlhabender Mann ge¬
worden war, zur weitern Ausbildung nach Europa, wo er im Lauf von zwei
Jahren England, Frankreich, Italien und Deutschland bereiste und sich mit
der Literatur dieser Länder völlig vertraut machte. Nach seiner Rückkehr er¬
hielt er I8i5 einen neuen Ruf und hat seitdem in Boston acht Jahre lang
vor einem Publicum von 3000 Zuhörern religiöse Vorträge gehalten, die auf
die Stimmung seiner Mitbürger einen großen Einfluß ausüben werden,'
die aber auch hei uns bekannt zu werden verdienen. Es sind manche
Ansichten darin, die über die Grenze des Möglichen und Zweckmäßiger hin¬
ausgehen, z. B. die Idee der Frauenemancipation, aber das Wesentliche


Würde und Maß zu verlieren, zu düsterer, tragischer Leidenschaft wächtig
emporhebt. Beide Composttionen wurden mit Beifall ausgenommen.




Deutsche Einflüsse in Amerika.

Theodor Parlers sämmtliche Werke. Deutsch von Johannes Ziethen.
Band 1. 3 und i. Leipzig, Voigt K Günther. —

Nach den Brutalitäten, welche neuerdings in Louisville und andern
amerikanischen Orten gegen die deutschen Einwanderer ausgeübt sind, ist eS
eine erfreuliche Wahrnehmung, daß unter den gebildeten Classen Amerikas die
Kenntniß der deutschen Literatur und das Interesse für dieselbe immer mehr
Boden gewinnt. Zwar sind es immer nur noch vereinzelte Bestrebungen,
welche die Resultate der deutschen Philosophie dem widerstrebenden Geist der
Amerikaner einzuprägen suchen und sie leiden selbst zum Theil an dem allge¬
meinen Uebelstand einer Reaction gegen den herrschenden Nationalgeist, sie
sind sich nämlich noch nicht ganz klar: aber sie erweitern sich doch zusehends
und gewinnen an Verständniß wie an Ausdehnung.

Theodor Parker ist von der Sekte der Congregationisten ausgegangen,
welche sich gegen das Ende des 16. Jahrhunderts der Herrschaft der angli¬
kanischen Kirche entzogen und im Anfang des folgenden Jahrhunderts nach
Amerika auswanderten. Sie gehörten niemals zu jenen wilden, fanatischen
Sekten, die in das religiöse Leben Neuenglands eine so wunderliche Färbung
einführen, sie waren praktisch in ihrer Kirchenzucht und in ihren gesellschaft¬
lichen Zuständen und gemäßigt, wenn auch rechtgläubig in ihren theologischen
Ueberzeugungen. Von dieser Sekte wurde Parker kurz nach seinem Abgang
von der Universität zum Prediger einer Gemeinde in Boston berufen, erregte
durch seine Beredtsamkeit eine allgemeine Theilnahme, sah sich aber doch zuletzt
genöthigt, den Anfechtungen seiner Kollegen von strengerer Richtung zu weichen
und begab sich, da er mittlerweile durch Heirath ein wohlhabender Mann ge¬
worden war, zur weitern Ausbildung nach Europa, wo er im Lauf von zwei
Jahren England, Frankreich, Italien und Deutschland bereiste und sich mit
der Literatur dieser Länder völlig vertraut machte. Nach seiner Rückkehr er¬
hielt er I8i5 einen neuen Ruf und hat seitdem in Boston acht Jahre lang
vor einem Publicum von 3000 Zuhörern religiöse Vorträge gehalten, die auf
die Stimmung seiner Mitbürger einen großen Einfluß ausüben werden,'
die aber auch hei uns bekannt zu werden verdienen. Es sind manche
Ansichten darin, die über die Grenze des Möglichen und Zweckmäßiger hin¬
ausgehen, z. B. die Idee der Frauenemancipation, aber das Wesentliche


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[0039] Würde und Maß zu verlieren, zu düsterer, tragischer Leidenschaft wächtig emporhebt. Beide Composttionen wurden mit Beifall ausgenommen. Deutsche Einflüsse in Amerika. Theodor Parlers sämmtliche Werke. Deutsch von Johannes Ziethen. Band 1. 3 und i. Leipzig, Voigt K Günther. — Nach den Brutalitäten, welche neuerdings in Louisville und andern amerikanischen Orten gegen die deutschen Einwanderer ausgeübt sind, ist eS eine erfreuliche Wahrnehmung, daß unter den gebildeten Classen Amerikas die Kenntniß der deutschen Literatur und das Interesse für dieselbe immer mehr Boden gewinnt. Zwar sind es immer nur noch vereinzelte Bestrebungen, welche die Resultate der deutschen Philosophie dem widerstrebenden Geist der Amerikaner einzuprägen suchen und sie leiden selbst zum Theil an dem allge¬ meinen Uebelstand einer Reaction gegen den herrschenden Nationalgeist, sie sind sich nämlich noch nicht ganz klar: aber sie erweitern sich doch zusehends und gewinnen an Verständniß wie an Ausdehnung. Theodor Parker ist von der Sekte der Congregationisten ausgegangen, welche sich gegen das Ende des 16. Jahrhunderts der Herrschaft der angli¬ kanischen Kirche entzogen und im Anfang des folgenden Jahrhunderts nach Amerika auswanderten. Sie gehörten niemals zu jenen wilden, fanatischen Sekten, die in das religiöse Leben Neuenglands eine so wunderliche Färbung einführen, sie waren praktisch in ihrer Kirchenzucht und in ihren gesellschaft¬ lichen Zuständen und gemäßigt, wenn auch rechtgläubig in ihren theologischen Ueberzeugungen. Von dieser Sekte wurde Parker kurz nach seinem Abgang von der Universität zum Prediger einer Gemeinde in Boston berufen, erregte durch seine Beredtsamkeit eine allgemeine Theilnahme, sah sich aber doch zuletzt genöthigt, den Anfechtungen seiner Kollegen von strengerer Richtung zu weichen und begab sich, da er mittlerweile durch Heirath ein wohlhabender Mann ge¬ worden war, zur weitern Ausbildung nach Europa, wo er im Lauf von zwei Jahren England, Frankreich, Italien und Deutschland bereiste und sich mit der Literatur dieser Länder völlig vertraut machte. Nach seiner Rückkehr er¬ hielt er I8i5 einen neuen Ruf und hat seitdem in Boston acht Jahre lang vor einem Publicum von 3000 Zuhörern religiöse Vorträge gehalten, die auf die Stimmung seiner Mitbürger einen großen Einfluß ausüben werden,' die aber auch hei uns bekannt zu werden verdienen. Es sind manche Ansichten darin, die über die Grenze des Möglichen und Zweckmäßiger hin¬ ausgehen, z. B. die Idee der Frauenemancipation, aber das Wesentliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/39>, abgerufen am 27.04.2024.