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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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philosophischen Periode von Kant bis Hegel zusammengenommen. Wir konn¬
ten uns näherem Eingehen nicht entziehen, da die Richtung, der es dient,
einen weitgreifenden Einfluß gewonnen hat.




Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Fahrende Schüler im Anfänge des 16. Jahrhunderts.

Das Treiben auf den deutschen Landstraßen zur Zeit des Mittelalters
würde auch andern, als Polizeibeamten unsrer Zeit befremdend erscheinen.
Auf den breiten Wegen und aufgefahrenen Gleisen, welche nur selten durch
Gräben von dem Ackerfeld getrennt waren, war vor i00 Jahren eine weite
Reise ehrlichen Leuten ein gefährliches Stück Arbeit, denn die zweifelhaften
Gesichter, denen sie begegneten, waren häusig und mannigfaltig. Wer es ver¬
mochte, schloß sich mit andern in eine Gesellschaft zusammen; die Kaufleute
zogen mit ihren Waaren in kleinen Karavanen unter dem Geleit von Reisigen;
wer einzeln die Straße wanderte und nicht zu Pferde war, der mußte ein
muthiger Mann sein oder einer, der nichts zu verlieren hatte. Die Hand¬
werksburschen und andere ehrliche Fußgänger suchten sich an Gelegenheiten an¬
zuschließen und warteten in unsichern Gegenden liebe" tagelang, ehe sie allein
die Reise wagten. Und doch waren die Straßen nicht leer, denn es gab viele
mit zweideutigem Ruf und leichtem Beutel, welche ihr Glück in der Fremde
suchten, und nicht wenige, welche aus der Straße selbst und in deren Nähe
ihren Lebensunterhalt zu erobern bemüht waren. Denn seit dem Ende der
Kreuzzüge war eine Unruhe und Wanderlust in die niedern Classen des Volkes
gekommen, welche durch das ganze -Is. Jahrhundert fortdauerte. Im Anfange
des töten waren es außer den zahlreichen heimathloser Bettlern und Gaunern,
welche überall ihre Spießgesellen fanden, noch die letzten verkommenen Mit¬
glieder von dem alten Geschlecht der Bänkelsänger und Possenreißer, welche im
ganzen Mittelalter bei den Festlichkeiten der Fürsten wie der Bauern ihre Rolle
gespielt hatten und als eine besondere Classe von Rechtlosen sogar in den Ge¬
setzbüchern des Mittelalters aufgeführt werden. Einst waren sie die Träger
des deutschen Volksgesanges gewesen, Tänzer, Springer und Lustigmacher der
vornehmen Herren und der Geistlichkeit, sie und ihre Dirnen, und sie hatten
bei allen feierlichen Gelegenheiten ein traditionelles Anrecht gehabt- an die
Gastfreundschaft der Großen. Aber von ihrem alten beliebten Handwerk war
der Segen gewichen seit der Zeit, wo in den Ringmauern der Städte sich
bessere Sitte und neue Formen auch für Scherz und Belustigung entwickelt


philosophischen Periode von Kant bis Hegel zusammengenommen. Wir konn¬
ten uns näherem Eingehen nicht entziehen, da die Richtung, der es dient,
einen weitgreifenden Einfluß gewonnen hat.




Bilder aus der deutschen Vergangenheit.
Fahrende Schüler im Anfänge des 16. Jahrhunderts.

Das Treiben auf den deutschen Landstraßen zur Zeit des Mittelalters
würde auch andern, als Polizeibeamten unsrer Zeit befremdend erscheinen.
Auf den breiten Wegen und aufgefahrenen Gleisen, welche nur selten durch
Gräben von dem Ackerfeld getrennt waren, war vor i00 Jahren eine weite
Reise ehrlichen Leuten ein gefährliches Stück Arbeit, denn die zweifelhaften
Gesichter, denen sie begegneten, waren häusig und mannigfaltig. Wer es ver¬
mochte, schloß sich mit andern in eine Gesellschaft zusammen; die Kaufleute
zogen mit ihren Waaren in kleinen Karavanen unter dem Geleit von Reisigen;
wer einzeln die Straße wanderte und nicht zu Pferde war, der mußte ein
muthiger Mann sein oder einer, der nichts zu verlieren hatte. Die Hand¬
werksburschen und andere ehrliche Fußgänger suchten sich an Gelegenheiten an¬
zuschließen und warteten in unsichern Gegenden liebe« tagelang, ehe sie allein
die Reise wagten. Und doch waren die Straßen nicht leer, denn es gab viele
mit zweideutigem Ruf und leichtem Beutel, welche ihr Glück in der Fremde
suchten, und nicht wenige, welche aus der Straße selbst und in deren Nähe
ihren Lebensunterhalt zu erobern bemüht waren. Denn seit dem Ende der
Kreuzzüge war eine Unruhe und Wanderlust in die niedern Classen des Volkes
gekommen, welche durch das ganze -Is. Jahrhundert fortdauerte. Im Anfange
des töten waren es außer den zahlreichen heimathloser Bettlern und Gaunern,
welche überall ihre Spießgesellen fanden, noch die letzten verkommenen Mit¬
glieder von dem alten Geschlecht der Bänkelsänger und Possenreißer, welche im
ganzen Mittelalter bei den Festlichkeiten der Fürsten wie der Bauern ihre Rolle
gespielt hatten und als eine besondere Classe von Rechtlosen sogar in den Ge¬
setzbüchern des Mittelalters aufgeführt werden. Einst waren sie die Träger
des deutschen Volksgesanges gewesen, Tänzer, Springer und Lustigmacher der
vornehmen Herren und der Geistlichkeit, sie und ihre Dirnen, und sie hatten
bei allen feierlichen Gelegenheiten ein traditionelles Anrecht gehabt- an die
Gastfreundschaft der Großen. Aber von ihrem alten beliebten Handwerk war
der Segen gewichen seit der Zeit, wo in den Ringmauern der Städte sich
bessere Sitte und neue Formen auch für Scherz und Belustigung entwickelt


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[0428] philosophischen Periode von Kant bis Hegel zusammengenommen. Wir konn¬ ten uns näherem Eingehen nicht entziehen, da die Richtung, der es dient, einen weitgreifenden Einfluß gewonnen hat. Bilder aus der deutschen Vergangenheit. Fahrende Schüler im Anfänge des 16. Jahrhunderts. Das Treiben auf den deutschen Landstraßen zur Zeit des Mittelalters würde auch andern, als Polizeibeamten unsrer Zeit befremdend erscheinen. Auf den breiten Wegen und aufgefahrenen Gleisen, welche nur selten durch Gräben von dem Ackerfeld getrennt waren, war vor i00 Jahren eine weite Reise ehrlichen Leuten ein gefährliches Stück Arbeit, denn die zweifelhaften Gesichter, denen sie begegneten, waren häusig und mannigfaltig. Wer es ver¬ mochte, schloß sich mit andern in eine Gesellschaft zusammen; die Kaufleute zogen mit ihren Waaren in kleinen Karavanen unter dem Geleit von Reisigen; wer einzeln die Straße wanderte und nicht zu Pferde war, der mußte ein muthiger Mann sein oder einer, der nichts zu verlieren hatte. Die Hand¬ werksburschen und andere ehrliche Fußgänger suchten sich an Gelegenheiten an¬ zuschließen und warteten in unsichern Gegenden liebe« tagelang, ehe sie allein die Reise wagten. Und doch waren die Straßen nicht leer, denn es gab viele mit zweideutigem Ruf und leichtem Beutel, welche ihr Glück in der Fremde suchten, und nicht wenige, welche aus der Straße selbst und in deren Nähe ihren Lebensunterhalt zu erobern bemüht waren. Denn seit dem Ende der Kreuzzüge war eine Unruhe und Wanderlust in die niedern Classen des Volkes gekommen, welche durch das ganze -Is. Jahrhundert fortdauerte. Im Anfange des töten waren es außer den zahlreichen heimathloser Bettlern und Gaunern, welche überall ihre Spießgesellen fanden, noch die letzten verkommenen Mit¬ glieder von dem alten Geschlecht der Bänkelsänger und Possenreißer, welche im ganzen Mittelalter bei den Festlichkeiten der Fürsten wie der Bauern ihre Rolle gespielt hatten und als eine besondere Classe von Rechtlosen sogar in den Ge¬ setzbüchern des Mittelalters aufgeführt werden. Einst waren sie die Träger des deutschen Volksgesanges gewesen, Tänzer, Springer und Lustigmacher der vornehmen Herren und der Geistlichkeit, sie und ihre Dirnen, und sie hatten bei allen feierlichen Gelegenheiten ein traditionelles Anrecht gehabt- an die Gastfreundschaft der Großen. Aber von ihrem alten beliebten Handwerk war der Segen gewichen seit der Zeit, wo in den Ringmauern der Städte sich bessere Sitte und neue Formen auch für Scherz und Belustigung entwickelt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/428>, abgerufen am 27.04.2024.