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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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wunden wurde. Die jüngeren Schüler, Schützen genannt, waren wie die
Lehrlinge der Handwerker de > ältern Kameraden, den Bacchanten, zu er¬
niedrigenden Diensten verpflichtet, sie mußten für ihre Tyrannen betteln, oft
stehlen und genossen dafür den Schutz, welchen die Fäuste der Stärkern ihnen
geben konnten. Für den Bacchanten war es eine Ehrensache und Vortheil,
viele Schützen zu haben, welche ihm die milden Gaben der Einwohner zutragen
mußten. Von diesen lebte er. Bei der mangelhaften Beaufsichtigung der
Schüler wechselten diese eigenmächtig die Schulen, vielen wurde das Lungern
auf der Landstraße die Hauptsache, und die Jugendjahre vergingen ihnen in
einem wüsten Umhertreiben von Schule zu Schule, unter Bettelei und Raub
und roher Liederlichkeit. Wenn wir uns noch jetzt über die Kraft und sichere
Tüchtigkeit einzelner freuen, welche sich damals von unten herauf zu geistiger
Bedeutung emporgearbeitet haben, so müssen wir auch daran denken, daß man¬
ches Mutterkind elend hinter dem Zaune oder in dem Siechhause irgendeiner
fremden Stadt verdorben ist, das in kindlichem Gemüth dasselbe Ziel zu er¬
reichen hoffte.

Von dem Leben der fahrenden Schüler ist uns eine berühmte Beschreibung
durch Thomas Plater erhalten worden, den armen Hirtenknaben aus dem
Visperthale in Wallis, später angesehenen Buchdrucker und Schulrector zu
Basel. Aus seinem Leben ist schon früher in diesem Blatt eine Episode mit¬
getheilt worden. Obgleich seine Selbstbiographie öfter gedruckt worden ist (zu¬
letzt herausgegeben von Dr. D. A. Fechter, Basel 18it).), und obgleich grade
die hier folgenden Züge aus seinem Leben auch außerhalb der Schweiz be¬
reits benutzt worden sind, so wird doch eine getreue Uebertragung den meisten
Lesern noch neu sein. Leides erlaubt der Raum nicht, den ganzen Bericht des
wackern Mannes über sein Schülerleben mitzutheilen.


Um 1310.

Als ich bei dem Bauer war, kommt meiner Basen eine , hieß Franse), die
wollt mich zu meinem Vetter Herrn Antony Plater thun, daß ich sollt die
Schriften lernen. So reden sie, wenn man einen in die Schule thun will.
Der Bauer war damit übel zufrieden, sprach ich würde nichts lernen und
setzte den Zeiger der rechten Hand mitten in die linke Hand und sprach: So
wenig wird der Bub lernen, als ich den Finger da durchstoßen kann. Das
sah ich und hört es. Sprach die Basin: wer weiß, Gott hat ihm seine Gaben
nit versagt, es kann noch ein frommer Priester aus ihm werden. Sie führte
mich also zu dem Herrn, ich war, wenn ichs gedenke, um die neun Jahr oder
zehnthalb alt. Da ging es mir erst, übel, denn der Herr war gar ein zorniger
Mann, ich aber ein ungeschicktes Bauerbüblein. Der schlug mich grausam
übel, nahm mich vielmal bei den Ohren und zog mich vom Herd auf, daß ich


wunden wurde. Die jüngeren Schüler, Schützen genannt, waren wie die
Lehrlinge der Handwerker de > ältern Kameraden, den Bacchanten, zu er¬
niedrigenden Diensten verpflichtet, sie mußten für ihre Tyrannen betteln, oft
stehlen und genossen dafür den Schutz, welchen die Fäuste der Stärkern ihnen
geben konnten. Für den Bacchanten war es eine Ehrensache und Vortheil,
viele Schützen zu haben, welche ihm die milden Gaben der Einwohner zutragen
mußten. Von diesen lebte er. Bei der mangelhaften Beaufsichtigung der
Schüler wechselten diese eigenmächtig die Schulen, vielen wurde das Lungern
auf der Landstraße die Hauptsache, und die Jugendjahre vergingen ihnen in
einem wüsten Umhertreiben von Schule zu Schule, unter Bettelei und Raub
und roher Liederlichkeit. Wenn wir uns noch jetzt über die Kraft und sichere
Tüchtigkeit einzelner freuen, welche sich damals von unten herauf zu geistiger
Bedeutung emporgearbeitet haben, so müssen wir auch daran denken, daß man¬
ches Mutterkind elend hinter dem Zaune oder in dem Siechhause irgendeiner
fremden Stadt verdorben ist, das in kindlichem Gemüth dasselbe Ziel zu er¬
reichen hoffte.

Von dem Leben der fahrenden Schüler ist uns eine berühmte Beschreibung
durch Thomas Plater erhalten worden, den armen Hirtenknaben aus dem
Visperthale in Wallis, später angesehenen Buchdrucker und Schulrector zu
Basel. Aus seinem Leben ist schon früher in diesem Blatt eine Episode mit¬
getheilt worden. Obgleich seine Selbstbiographie öfter gedruckt worden ist (zu¬
letzt herausgegeben von Dr. D. A. Fechter, Basel 18it).), und obgleich grade
die hier folgenden Züge aus seinem Leben auch außerhalb der Schweiz be¬
reits benutzt worden sind, so wird doch eine getreue Uebertragung den meisten
Lesern noch neu sein. Leides erlaubt der Raum nicht, den ganzen Bericht des
wackern Mannes über sein Schülerleben mitzutheilen.


Um 1310.

Als ich bei dem Bauer war, kommt meiner Basen eine , hieß Franse), die
wollt mich zu meinem Vetter Herrn Antony Plater thun, daß ich sollt die
Schriften lernen. So reden sie, wenn man einen in die Schule thun will.
Der Bauer war damit übel zufrieden, sprach ich würde nichts lernen und
setzte den Zeiger der rechten Hand mitten in die linke Hand und sprach: So
wenig wird der Bub lernen, als ich den Finger da durchstoßen kann. Das
sah ich und hört es. Sprach die Basin: wer weiß, Gott hat ihm seine Gaben
nit versagt, es kann noch ein frommer Priester aus ihm werden. Sie führte
mich also zu dem Herrn, ich war, wenn ichs gedenke, um die neun Jahr oder
zehnthalb alt. Da ging es mir erst, übel, denn der Herr war gar ein zorniger
Mann, ich aber ein ungeschicktes Bauerbüblein. Der schlug mich grausam
übel, nahm mich vielmal bei den Ohren und zog mich vom Herd auf, daß ich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/430>, abgerufen am 28.04.2024.