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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Kaiser Napoleon in. und sein Schicksnl.

Als vor fünf Jahren in der deutschen'Presse Schrecken, Abscheu und
sogar Bewunderung über die That des zweiten Decembers laut wurden, die
öffentliche Meinung aber fast einmüthig den Sieger verurtheilte, da mochte sich die
Tagespresse mit Recht erinnern, daß ihre Aufgabe nicht ist, Werth und Bedeu¬
tung einer ungesetzlichen That nach willkürlichen Combinationen, welche in die
Zukunft hinein gemacht werden, zu schätzen, sondern >dech sie die Thatsachen
nach dem sittlichen Inhalte ihrer Zeit pflichlvoll und gewissenhaft zu beurthei¬
len hat. Man durfte damals zugeben, daß eine entfernte Zukunft das Recht
erhalten könne, die gewaltsame Zerstörung des constitutionellen Lebens für
einen nothwendigen, ja möglicherweise großen Entschluß zu halten, wenn es
dem Eroberer gelang, durch seine Regierung den Beweis zu führen, daß sein
Recht höher war, als das Recht des gewaltsam gebrochenen Staatslebens.
Aber der Gegenwart ziemte.n solche Voraussetzungen nicht.

Seitdem sind Jahre vergangen und die Stellung des Kaisers und Frank¬
reichs hat sich sehr verändert. Frankreich, damals durch die Stürme ,der
Revolution, durch wüste Theorie" und.intriguante Factionen geschwächt, biete
jetzt das Bild eines. Einheitsstaates, in welchem aller innerer. Hader zur Ruhe
gebracht ist und eine gewaltige Kraftentwicklung in der Industrie, wie in der
Politik, die Nachbarn mit Erstaunen und Sorge erfüllt; der Kaiser, aber,
damals als rücksichtsloser Abenteurer von Cabineten und Völkern verurtheilt,
ist jetzt der mächtigste Monarch Europas, ein Mann, auf welchen die Blicke
Aller erwartungsvoll gerichtet sind. Er hat sich die Courtoisie, ja die Freund¬
schaft der stolzesten Fürstenhäuser zu erwerben gewußt, steht an der Spitze
einer riesigen Staatencoalition, welche die Macht seines Gegners, Rußland,
gebrochen hat, er ist Kriegsherr der ersten Armee der Welt, der unbeschränkte
Alleinherrscher zwischen Pyrenäen und Rhein, ein Souverän,, dessen Worte
und persönliche Willensäußerungen > in ganz Europa die höchste Geltung
haben.


Grenzboten. IV. t8so. Hg
Kaiser Napoleon in. und sein Schicksnl.

Als vor fünf Jahren in der deutschen'Presse Schrecken, Abscheu und
sogar Bewunderung über die That des zweiten Decembers laut wurden, die
öffentliche Meinung aber fast einmüthig den Sieger verurtheilte, da mochte sich die
Tagespresse mit Recht erinnern, daß ihre Aufgabe nicht ist, Werth und Bedeu¬
tung einer ungesetzlichen That nach willkürlichen Combinationen, welche in die
Zukunft hinein gemacht werden, zu schätzen, sondern >dech sie die Thatsachen
nach dem sittlichen Inhalte ihrer Zeit pflichlvoll und gewissenhaft zu beurthei¬
len hat. Man durfte damals zugeben, daß eine entfernte Zukunft das Recht
erhalten könne, die gewaltsame Zerstörung des constitutionellen Lebens für
einen nothwendigen, ja möglicherweise großen Entschluß zu halten, wenn es
dem Eroberer gelang, durch seine Regierung den Beweis zu führen, daß sein
Recht höher war, als das Recht des gewaltsam gebrochenen Staatslebens.
Aber der Gegenwart ziemte.n solche Voraussetzungen nicht.

Seitdem sind Jahre vergangen und die Stellung des Kaisers und Frank¬
reichs hat sich sehr verändert. Frankreich, damals durch die Stürme ,der
Revolution, durch wüste Theorie» und.intriguante Factionen geschwächt, biete
jetzt das Bild eines. Einheitsstaates, in welchem aller innerer. Hader zur Ruhe
gebracht ist und eine gewaltige Kraftentwicklung in der Industrie, wie in der
Politik, die Nachbarn mit Erstaunen und Sorge erfüllt; der Kaiser, aber,
damals als rücksichtsloser Abenteurer von Cabineten und Völkern verurtheilt,
ist jetzt der mächtigste Monarch Europas, ein Mann, auf welchen die Blicke
Aller erwartungsvoll gerichtet sind. Er hat sich die Courtoisie, ja die Freund¬
schaft der stolzesten Fürstenhäuser zu erwerben gewußt, steht an der Spitze
einer riesigen Staatencoalition, welche die Macht seines Gegners, Rußland,
gebrochen hat, er ist Kriegsherr der ersten Armee der Welt, der unbeschränkte
Alleinherrscher zwischen Pyrenäen und Rhein, ein Souverän,, dessen Worte
und persönliche Willensäußerungen > in ganz Europa die höchste Geltung
haben.


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[0449] Kaiser Napoleon in. und sein Schicksnl. Als vor fünf Jahren in der deutschen'Presse Schrecken, Abscheu und sogar Bewunderung über die That des zweiten Decembers laut wurden, die öffentliche Meinung aber fast einmüthig den Sieger verurtheilte, da mochte sich die Tagespresse mit Recht erinnern, daß ihre Aufgabe nicht ist, Werth und Bedeu¬ tung einer ungesetzlichen That nach willkürlichen Combinationen, welche in die Zukunft hinein gemacht werden, zu schätzen, sondern >dech sie die Thatsachen nach dem sittlichen Inhalte ihrer Zeit pflichlvoll und gewissenhaft zu beurthei¬ len hat. Man durfte damals zugeben, daß eine entfernte Zukunft das Recht erhalten könne, die gewaltsame Zerstörung des constitutionellen Lebens für einen nothwendigen, ja möglicherweise großen Entschluß zu halten, wenn es dem Eroberer gelang, durch seine Regierung den Beweis zu führen, daß sein Recht höher war, als das Recht des gewaltsam gebrochenen Staatslebens. Aber der Gegenwart ziemte.n solche Voraussetzungen nicht. Seitdem sind Jahre vergangen und die Stellung des Kaisers und Frank¬ reichs hat sich sehr verändert. Frankreich, damals durch die Stürme ,der Revolution, durch wüste Theorie» und.intriguante Factionen geschwächt, biete jetzt das Bild eines. Einheitsstaates, in welchem aller innerer. Hader zur Ruhe gebracht ist und eine gewaltige Kraftentwicklung in der Industrie, wie in der Politik, die Nachbarn mit Erstaunen und Sorge erfüllt; der Kaiser, aber, damals als rücksichtsloser Abenteurer von Cabineten und Völkern verurtheilt, ist jetzt der mächtigste Monarch Europas, ein Mann, auf welchen die Blicke Aller erwartungsvoll gerichtet sind. Er hat sich die Courtoisie, ja die Freund¬ schaft der stolzesten Fürstenhäuser zu erwerben gewußt, steht an der Spitze einer riesigen Staatencoalition, welche die Macht seines Gegners, Rußland, gebrochen hat, er ist Kriegsherr der ersten Armee der Welt, der unbeschränkte Alleinherrscher zwischen Pyrenäen und Rhein, ein Souverän,, dessen Worte und persönliche Willensäußerungen > in ganz Europa die höchste Geltung haben. Grenzboten. IV. t8so. Hg

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/449>, abgerufen am 28.04.2024.