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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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heute Abend hier zu erwartenden Nachrichten aus dem Hauptquartier der Alliirten
müssen uns darüber die volle Gewißheit geben.

Vorgestern schon kam ein Transport Verwundeter hier an. Demselben folgte
am gestrigen Tage ein stärkerer am Bord eines französischen Linienschlffes und
heute hat man während des ganzen Tages die Ausschiffung von Blessirten fortge¬
setzt. Es sollen sich, nach den umlaufenden Gerüchten zu schließen, acht weniger
wie dreizehn Generale darunter befinden. Eine Feststellung des Gesammtverlustes
war bis jetzt noch nicht möglich gewesen, man schätzt denselben aus Sette der Ver¬
bündeten, allein was die Todten angeht, ans 4000 Mann. Die Einbuße der
Russen wird sich muthmaßlich auf das Dreifache belaufen. Darüber kann kein
Zweifel bestehen, daß der 8. und 9. September in den Annalen des Krieges euiz:g
und unvergleichbar dastehen. In dem Maßstabe wie in diesem Tagen ist noch me
gegen Befestigungen agirt worden, und nie zuvor hat man ähnlich große Kräfte zu
deren Vertheidigung verwendet. Was insonders beispiellos erscheint, das ist der
unermeßliche Aufwand an Artillerie aus beiden Seiten. Die Russen hatten aus
der Südseite muthmaßlich nicht weniger als 9--1100 Rohrgeschütze in Batterie,
denen auf Seite der Verbündeten etwa 800, ungerechnet die Mörser, entgegenstan¬
den. Dennoch gebührt den letzteren Geschützen der Ruhm, die Entscheidung ge¬
geben zu haben. Des Regens von Bomben wegen waren die Russen nicht im
Stande, während der Beschießung eine ausreichende Truppcnmenge innerhalb der
Werke der Südseite concentrirt zu halten; was man später über die Brücke warf,
soll zu spät gekommen sein. Bei dem allen kann man den Russen nicht absprechen,
ihre Entschließungen und Maßnahmen in logischer Folge und consequent den Um¬
ständen getroffen zu haben. Auch scheint es, daß im Inneren Abschnitte vorbereitet
und in den Händen des Feindes verblieben waren, vermöge welcher derselbe am
9. seinen Rückzug deckte. Andern Falles würde man es sich schwer erklären können,
wie derselbe ungestört (am Tage) vor sich gehen konnte.

Die Dunkelheit, die noch über dem Ganzen der Vorgänge liegt, wird hoffent¬
lich bereits gelichtet sein, wenn ich meinen nächsten Brief an Sie abzusenden
habe.


Literatur.

Wegweiser durch die europäische Türkei und die Donau-
Fürstenthümer. Geographisch-strategische Beschreibung der Wege. Städte. Festun¬
gen und Seehäfen dieses Reichs. Von A. M. Perrot. A. d. Franz. Riga und
Leipzig, von Böttichcrs Verlag. -- Den Zweck der Schrift zeigt schon der Titel
an; die Angaben sind genau und correct, und die Anordnung übersichtlich.

Ungarische Malerrevue. Beiträge zu näherem Verständniß der bildenden
Künste in Ungarn. Herausgegeben und redigirt von K. M. Kertbeny. Erstes
Heft- Pesth. N, Lampel. Die Wahl des Stoffs rechtfertigt sich von selbst; wir
möchten nur den Verfasser ernähren, weniger den patriotischen, als den künstlerischen
Gesichtspunkt im Ange zu behalten, wenn er die "phrasengekräuselten Blödsinns¬
blüten" (Seite 24) seiner Kollegen, der deutsch-ungarischen Journalisten, mit Erfolg
bekämpfen will.


heute Abend hier zu erwartenden Nachrichten aus dem Hauptquartier der Alliirten
müssen uns darüber die volle Gewißheit geben.

Vorgestern schon kam ein Transport Verwundeter hier an. Demselben folgte
am gestrigen Tage ein stärkerer am Bord eines französischen Linienschlffes und
heute hat man während des ganzen Tages die Ausschiffung von Blessirten fortge¬
setzt. Es sollen sich, nach den umlaufenden Gerüchten zu schließen, acht weniger
wie dreizehn Generale darunter befinden. Eine Feststellung des Gesammtverlustes
war bis jetzt noch nicht möglich gewesen, man schätzt denselben aus Sette der Ver¬
bündeten, allein was die Todten angeht, ans 4000 Mann. Die Einbuße der
Russen wird sich muthmaßlich auf das Dreifache belaufen. Darüber kann kein
Zweifel bestehen, daß der 8. und 9. September in den Annalen des Krieges euiz:g
und unvergleichbar dastehen. In dem Maßstabe wie in diesem Tagen ist noch me
gegen Befestigungen agirt worden, und nie zuvor hat man ähnlich große Kräfte zu
deren Vertheidigung verwendet. Was insonders beispiellos erscheint, das ist der
unermeßliche Aufwand an Artillerie aus beiden Seiten. Die Russen hatten aus
der Südseite muthmaßlich nicht weniger als 9—1100 Rohrgeschütze in Batterie,
denen auf Seite der Verbündeten etwa 800, ungerechnet die Mörser, entgegenstan¬
den. Dennoch gebührt den letzteren Geschützen der Ruhm, die Entscheidung ge¬
geben zu haben. Des Regens von Bomben wegen waren die Russen nicht im
Stande, während der Beschießung eine ausreichende Truppcnmenge innerhalb der
Werke der Südseite concentrirt zu halten; was man später über die Brücke warf,
soll zu spät gekommen sein. Bei dem allen kann man den Russen nicht absprechen,
ihre Entschließungen und Maßnahmen in logischer Folge und consequent den Um¬
ständen getroffen zu haben. Auch scheint es, daß im Inneren Abschnitte vorbereitet
und in den Händen des Feindes verblieben waren, vermöge welcher derselbe am
9. seinen Rückzug deckte. Andern Falles würde man es sich schwer erklären können,
wie derselbe ungestört (am Tage) vor sich gehen konnte.

Die Dunkelheit, die noch über dem Ganzen der Vorgänge liegt, wird hoffent¬
lich bereits gelichtet sein, wenn ich meinen nächsten Brief an Sie abzusenden
habe.


Literatur.

Wegweiser durch die europäische Türkei und die Donau-
Fürstenthümer. Geographisch-strategische Beschreibung der Wege. Städte. Festun¬
gen und Seehäfen dieses Reichs. Von A. M. Perrot. A. d. Franz. Riga und
Leipzig, von Böttichcrs Verlag. — Den Zweck der Schrift zeigt schon der Titel
an; die Angaben sind genau und correct, und die Anordnung übersichtlich.

Ungarische Malerrevue. Beiträge zu näherem Verständniß der bildenden
Künste in Ungarn. Herausgegeben und redigirt von K. M. Kertbeny. Erstes
Heft- Pesth. N, Lampel. Die Wahl des Stoffs rechtfertigt sich von selbst; wir
möchten nur den Verfasser ernähren, weniger den patriotischen, als den künstlerischen
Gesichtspunkt im Ange zu behalten, wenn er die „phrasengekräuselten Blödsinns¬
blüten" (Seite 24) seiner Kollegen, der deutsch-ungarischen Journalisten, mit Erfolg
bekämpfen will.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/47>, abgerufen am 28.04.2024.