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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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dort gemacht. Es waren sehr friedliche Baschi Bojuts, ungeachtet ihrer Be¬
waffnung bis zu den Zähnen.


Das Defilee oder der Paß von Zaribrod.

Es war schon hell geworden im tief eingeschnittenen Thale, aber die Sonne
hatte im raschen Aufsteigen die Gipfel der Balkankette zu unsrer Linken noch
nicht erklommen und wars erst einzelne, zuckende Flammenstrahlen zwischen den
Kuppen hindurch, als wir vor dem Eingange des Passes, welcher hier recht
eigentlich die Markscheide zwischen Süden und Norden macht, und die große
Centralsenke von Sofia von den serbischen Bergen trennt, anlangten. Das
Defilee mündet auf der Thalsohle wie eine Schlucht; wendet man von Norden
kommend, wie es bei uns der Fall war, dem'Ausgange die Fronte zu, so hat
man zur linken Hand die große Heerstraße nach Widdin, die man einige
tausend Schritt weit mit den Augen verfolgen kann, wo sie sich alsdann in
den Bergen verliert. Es sind das die Ketten von Stara Planina, wie sie in
der slawischen Mundart heißen; der Türke nennt, ohne wesentlichen Unterschied,
alles Balkan. Zur rechten Hand oder nach dem oberen Albanien gab es
feine Straße, auch scheinbar keinen Pfad; vor uns hatten wir den Paß,
und hinter uns das Thal, durch welches wir gekommen, an dessen nörd¬
lichem Eingange Scharkoj, und nicht weit von dessen südlichem Ausgange
Zaribrod gelegen ist. Diese Umstände sind es im Wesentlichen, welche dem
Punkt die ganz außerordentliche militärische Bedeutung verleihen, die er an¬
sprechen kann. Man steht hier im Rücken und in beiden Flanken wohl ge¬
deckt, Fronte gegen Norden, um einem von dort aus vorgegangenen Angriff,
je nachdem er seinen Ausgangspunkt bei Widdin oder Belgrad hat, entgegen¬
zutreten. Wenn erstere Richtung die Gegend bezeichnet, in der eine west-
russtschc Operationslinie aus der kleinen Walachei ihren Anfang nehmen
könnte, und der andere die Ausgangsstelle einer centralen östreichischen, so ist
es klar, daß am Defilee von Zaribrod diesem Doppelangriff Schach geboten
werden kann selbst wenn er gleichzeitig erfolgen sollte.

Die Frage über die zweckmäßige Vertheidigung der Desileen (Pässe, Hohl¬
wege, Engwege, Brücken, Dammlinien) ist eine der hauptsächlichsten, mir denen
die Befestigungskunst und die Taktik sich beschäftigen, und sie ist eine offene,
noch unentschiedene, bis auf den heutigen Tag. Die Entscheidung, um die eS
sich dabei dreht, betrifft die Stellung, welche die Defensive in Hinsicht auf daS
zu vertheidigende Object und den Angreifenden zu nehmen hat. An und für
sich ist es klar, daß hier drei Fälle möglich sind: entweder kann man sich vor
dem Defilee aufstellen und zwar so, daß man den Gegner in Fronte und den
Engweg im Rücken hat oder man kann eine Stellung hinter dem Defilee neh¬
men, wo dann beide sich vor uns befinden würden und schließlich wäre es


dort gemacht. Es waren sehr friedliche Baschi Bojuts, ungeachtet ihrer Be¬
waffnung bis zu den Zähnen.


Das Defilee oder der Paß von Zaribrod.

Es war schon hell geworden im tief eingeschnittenen Thale, aber die Sonne
hatte im raschen Aufsteigen die Gipfel der Balkankette zu unsrer Linken noch
nicht erklommen und wars erst einzelne, zuckende Flammenstrahlen zwischen den
Kuppen hindurch, als wir vor dem Eingange des Passes, welcher hier recht
eigentlich die Markscheide zwischen Süden und Norden macht, und die große
Centralsenke von Sofia von den serbischen Bergen trennt, anlangten. Das
Defilee mündet auf der Thalsohle wie eine Schlucht; wendet man von Norden
kommend, wie es bei uns der Fall war, dem'Ausgange die Fronte zu, so hat
man zur linken Hand die große Heerstraße nach Widdin, die man einige
tausend Schritt weit mit den Augen verfolgen kann, wo sie sich alsdann in
den Bergen verliert. Es sind das die Ketten von Stara Planina, wie sie in
der slawischen Mundart heißen; der Türke nennt, ohne wesentlichen Unterschied,
alles Balkan. Zur rechten Hand oder nach dem oberen Albanien gab es
feine Straße, auch scheinbar keinen Pfad; vor uns hatten wir den Paß,
und hinter uns das Thal, durch welches wir gekommen, an dessen nörd¬
lichem Eingange Scharkoj, und nicht weit von dessen südlichem Ausgange
Zaribrod gelegen ist. Diese Umstände sind es im Wesentlichen, welche dem
Punkt die ganz außerordentliche militärische Bedeutung verleihen, die er an¬
sprechen kann. Man steht hier im Rücken und in beiden Flanken wohl ge¬
deckt, Fronte gegen Norden, um einem von dort aus vorgegangenen Angriff,
je nachdem er seinen Ausgangspunkt bei Widdin oder Belgrad hat, entgegen¬
zutreten. Wenn erstere Richtung die Gegend bezeichnet, in der eine west-
russtschc Operationslinie aus der kleinen Walachei ihren Anfang nehmen
könnte, und der andere die Ausgangsstelle einer centralen östreichischen, so ist
es klar, daß am Defilee von Zaribrod diesem Doppelangriff Schach geboten
werden kann selbst wenn er gleichzeitig erfolgen sollte.

Die Frage über die zweckmäßige Vertheidigung der Desileen (Pässe, Hohl¬
wege, Engwege, Brücken, Dammlinien) ist eine der hauptsächlichsten, mir denen
die Befestigungskunst und die Taktik sich beschäftigen, und sie ist eine offene,
noch unentschiedene, bis auf den heutigen Tag. Die Entscheidung, um die eS
sich dabei dreht, betrifft die Stellung, welche die Defensive in Hinsicht auf daS
zu vertheidigende Object und den Angreifenden zu nehmen hat. An und für
sich ist es klar, daß hier drei Fälle möglich sind: entweder kann man sich vor
dem Defilee aufstellen und zwar so, daß man den Gegner in Fronte und den
Engweg im Rücken hat oder man kann eine Stellung hinter dem Defilee neh¬
men, wo dann beide sich vor uns befinden würden und schließlich wäre es


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[0474] dort gemacht. Es waren sehr friedliche Baschi Bojuts, ungeachtet ihrer Be¬ waffnung bis zu den Zähnen. Das Defilee oder der Paß von Zaribrod. Es war schon hell geworden im tief eingeschnittenen Thale, aber die Sonne hatte im raschen Aufsteigen die Gipfel der Balkankette zu unsrer Linken noch nicht erklommen und wars erst einzelne, zuckende Flammenstrahlen zwischen den Kuppen hindurch, als wir vor dem Eingange des Passes, welcher hier recht eigentlich die Markscheide zwischen Süden und Norden macht, und die große Centralsenke von Sofia von den serbischen Bergen trennt, anlangten. Das Defilee mündet auf der Thalsohle wie eine Schlucht; wendet man von Norden kommend, wie es bei uns der Fall war, dem'Ausgange die Fronte zu, so hat man zur linken Hand die große Heerstraße nach Widdin, die man einige tausend Schritt weit mit den Augen verfolgen kann, wo sie sich alsdann in den Bergen verliert. Es sind das die Ketten von Stara Planina, wie sie in der slawischen Mundart heißen; der Türke nennt, ohne wesentlichen Unterschied, alles Balkan. Zur rechten Hand oder nach dem oberen Albanien gab es feine Straße, auch scheinbar keinen Pfad; vor uns hatten wir den Paß, und hinter uns das Thal, durch welches wir gekommen, an dessen nörd¬ lichem Eingange Scharkoj, und nicht weit von dessen südlichem Ausgange Zaribrod gelegen ist. Diese Umstände sind es im Wesentlichen, welche dem Punkt die ganz außerordentliche militärische Bedeutung verleihen, die er an¬ sprechen kann. Man steht hier im Rücken und in beiden Flanken wohl ge¬ deckt, Fronte gegen Norden, um einem von dort aus vorgegangenen Angriff, je nachdem er seinen Ausgangspunkt bei Widdin oder Belgrad hat, entgegen¬ zutreten. Wenn erstere Richtung die Gegend bezeichnet, in der eine west- russtschc Operationslinie aus der kleinen Walachei ihren Anfang nehmen könnte, und der andere die Ausgangsstelle einer centralen östreichischen, so ist es klar, daß am Defilee von Zaribrod diesem Doppelangriff Schach geboten werden kann selbst wenn er gleichzeitig erfolgen sollte. Die Frage über die zweckmäßige Vertheidigung der Desileen (Pässe, Hohl¬ wege, Engwege, Brücken, Dammlinien) ist eine der hauptsächlichsten, mir denen die Befestigungskunst und die Taktik sich beschäftigen, und sie ist eine offene, noch unentschiedene, bis auf den heutigen Tag. Die Entscheidung, um die eS sich dabei dreht, betrifft die Stellung, welche die Defensive in Hinsicht auf daS zu vertheidigende Object und den Angreifenden zu nehmen hat. An und für sich ist es klar, daß hier drei Fälle möglich sind: entweder kann man sich vor dem Defilee aufstellen und zwar so, daß man den Gegner in Fronte und den Engweg im Rücken hat oder man kann eine Stellung hinter dem Defilee neh¬ men, wo dann beide sich vor uns befinden würden und schließlich wäre es

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/474>, abgerufen am 27.04.2024.