Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

populäre Geschichtschreibung ist es der angemessenste Standpunkt, denn wenn
ein Buch aus die Masse des' Publicums wirken soll, so muß es wenigstens
ungefähr von den Voraussetzungen ausgehen, welche die Masse bereits aner¬
kennt. In dieser Beziehung haben auch solche Zeitungen, wie die voßische und
Spenersche, ihren bedeutenden Werth, den man in der Hitze des Streits leicht
verkennt. Sie sind zwar nicht im Stande, in ernsten kritischen Fällen einen
Rath zugeben, der eine verwickelte Frage erledigt, aber sie halten die öffentliche
Meinung, die doch immer ein beachtenswerther Factor der Ereignisse ist, davon
ab, im Eifer des Streits die Tramontane zu verlieren, wozu sie in aufgeregten
Zeiten nur zu geneigt ist. Denn grade der Spießbürger, der in ruhigen Zeilen
jedes Extrem verabscheut, ist geneigt, für Augenblicke, wo seine Furcht lebhaft
angeregt ist, dem wildesten Fanatiker zu folgen, wenn er sich.unter seinem Schutz
am sichersten fühlt.

In der Form der Darstellung ist die alte Methode der beckerschen Welt¬
geschichte, die sich als praktisch bewährt hat, beibehalten. Die Geschichte ist
so viel als möglich in die einzelnen Begebenheiten zerlegt, diese sind deutlich
und anschaulich erzählt, die Uebergänge dagegen -nur leicht skizzirt. DaS ist
die richtige Methode für die Fassungskraft der Menge. Weder in der Dar¬
stellung, noch in den Reflexionen finden wir etwas Glänzendes, darin liegt
aber kein Nachtheil, denn allzu geistreiche Formen würden grade die Be¬
stimmung dieses Buches beeinträchtigen. Die Erzählung ist klar, bestimmt,
lebhaft und so vollständig, als der gedrängte Raum erlaubt. Wenn wir also
dem Buch einen sehr günstigen Erfolg voraussagen, so können wir diese Voraus-^
sagung nur mit unsern lebhaftesten Wünschen begleiten.




Korrespondenzen.
Pariser Brief.

-- Man hat mit Unrecht geglaubt,
daß die Kunst des Einlcnkcns zur gehörigen Zeit von Talleyrand allein mit Vir¬
tuosität ausgeübt wurde. Gras Molü, aus dessen Grab unsre Journale ohne Unter¬
schied der Farbe Blumen streuen, weil er das Verdienst hat todt zu sein, hat durch
seine Wirksamkeit, die wir in kurzen Zügen hier resumiren wollen, gezeigt, daß er
ein gelehriger Schüler in des Meisters Schule gewesen.

Louis Mathieu Molo wurde im Jahre 1780 geboren. Seine Jugend
rettete ihn, als er im Jahre 1793 mit seinem Vater nach kurzer Emigration,wieder
"ach Frankreich zurückgekehrt war. Er wurde aus dem Gefängniß entlassen und
lebte bis nach Robespierres Falle mit seiner Mutter, im Auslande. Im Jahre
1806 debütirte er mit einem sehr schwachen Machwerke zur Verherrlichung des
Autoritätsprincips, nachdem er einige Jahre früher vom Consul die Wiedererstattung


populäre Geschichtschreibung ist es der angemessenste Standpunkt, denn wenn
ein Buch aus die Masse des' Publicums wirken soll, so muß es wenigstens
ungefähr von den Voraussetzungen ausgehen, welche die Masse bereits aner¬
kennt. In dieser Beziehung haben auch solche Zeitungen, wie die voßische und
Spenersche, ihren bedeutenden Werth, den man in der Hitze des Streits leicht
verkennt. Sie sind zwar nicht im Stande, in ernsten kritischen Fällen einen
Rath zugeben, der eine verwickelte Frage erledigt, aber sie halten die öffentliche
Meinung, die doch immer ein beachtenswerther Factor der Ereignisse ist, davon
ab, im Eifer des Streits die Tramontane zu verlieren, wozu sie in aufgeregten
Zeiten nur zu geneigt ist. Denn grade der Spießbürger, der in ruhigen Zeilen
jedes Extrem verabscheut, ist geneigt, für Augenblicke, wo seine Furcht lebhaft
angeregt ist, dem wildesten Fanatiker zu folgen, wenn er sich.unter seinem Schutz
am sichersten fühlt.

In der Form der Darstellung ist die alte Methode der beckerschen Welt¬
geschichte, die sich als praktisch bewährt hat, beibehalten. Die Geschichte ist
so viel als möglich in die einzelnen Begebenheiten zerlegt, diese sind deutlich
und anschaulich erzählt, die Uebergänge dagegen -nur leicht skizzirt. DaS ist
die richtige Methode für die Fassungskraft der Menge. Weder in der Dar¬
stellung, noch in den Reflexionen finden wir etwas Glänzendes, darin liegt
aber kein Nachtheil, denn allzu geistreiche Formen würden grade die Be¬
stimmung dieses Buches beeinträchtigen. Die Erzählung ist klar, bestimmt,
lebhaft und so vollständig, als der gedrängte Raum erlaubt. Wenn wir also
dem Buch einen sehr günstigen Erfolg voraussagen, so können wir diese Voraus-^
sagung nur mit unsern lebhaftesten Wünschen begleiten.




Korrespondenzen.
Pariser Brief.

— Man hat mit Unrecht geglaubt,
daß die Kunst des Einlcnkcns zur gehörigen Zeit von Talleyrand allein mit Vir¬
tuosität ausgeübt wurde. Gras Molü, aus dessen Grab unsre Journale ohne Unter¬
schied der Farbe Blumen streuen, weil er das Verdienst hat todt zu sein, hat durch
seine Wirksamkeit, die wir in kurzen Zügen hier resumiren wollen, gezeigt, daß er
ein gelehriger Schüler in des Meisters Schule gewesen.

Louis Mathieu Molo wurde im Jahre 1780 geboren. Seine Jugend
rettete ihn, als er im Jahre 1793 mit seinem Vater nach kurzer Emigration,wieder
»ach Frankreich zurückgekehrt war. Er wurde aus dem Gefängniß entlassen und
lebte bis nach Robespierres Falle mit seiner Mutter, im Auslande. Im Jahre
1806 debütirte er mit einem sehr schwachen Machwerke zur Verherrlichung des
Autoritätsprincips, nachdem er einige Jahre früher vom Consul die Wiedererstattung


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0479" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/100933"/>
          <p xml:id="ID_1414" prev="#ID_1413"> populäre Geschichtschreibung ist es der angemessenste Standpunkt, denn wenn<lb/>
ein Buch aus die Masse des' Publicums wirken soll, so muß es wenigstens<lb/>
ungefähr von den Voraussetzungen ausgehen, welche die Masse bereits aner¬<lb/>
kennt. In dieser Beziehung haben auch solche Zeitungen, wie die voßische und<lb/>
Spenersche, ihren bedeutenden Werth, den man in der Hitze des Streits leicht<lb/>
verkennt. Sie sind zwar nicht im Stande, in ernsten kritischen Fällen einen<lb/>
Rath zugeben, der eine verwickelte Frage erledigt, aber sie halten die öffentliche<lb/>
Meinung, die doch immer ein beachtenswerther Factor der Ereignisse ist, davon<lb/>
ab, im Eifer des Streits die Tramontane zu verlieren, wozu sie in aufgeregten<lb/>
Zeiten nur zu geneigt ist. Denn grade der Spießbürger, der in ruhigen Zeilen<lb/>
jedes Extrem verabscheut, ist geneigt, für Augenblicke, wo seine Furcht lebhaft<lb/>
angeregt ist, dem wildesten Fanatiker zu folgen, wenn er sich.unter seinem Schutz<lb/>
am sichersten fühlt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1415"> In der Form der Darstellung ist die alte Methode der beckerschen Welt¬<lb/>
geschichte, die sich als praktisch bewährt hat, beibehalten. Die Geschichte ist<lb/>
so viel als möglich in die einzelnen Begebenheiten zerlegt, diese sind deutlich<lb/>
und anschaulich erzählt, die Uebergänge dagegen -nur leicht skizzirt. DaS ist<lb/>
die richtige Methode für die Fassungskraft der Menge. Weder in der Dar¬<lb/>
stellung, noch in den Reflexionen finden wir etwas Glänzendes, darin liegt<lb/>
aber kein Nachtheil, denn allzu geistreiche Formen würden grade die Be¬<lb/>
stimmung dieses Buches beeinträchtigen. Die Erzählung ist klar, bestimmt,<lb/>
lebhaft und so vollständig, als der gedrängte Raum erlaubt. Wenn wir also<lb/>
dem Buch einen sehr günstigen Erfolg voraussagen, so können wir diese Voraus-^<lb/>
sagung nur mit unsern lebhaftesten Wünschen begleiten.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Korrespondenzen.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head> Pariser Brief.</head>
            <p xml:id="ID_1416"> &#x2014; Man hat mit Unrecht geglaubt,<lb/>
daß die Kunst des Einlcnkcns zur gehörigen Zeit von Talleyrand allein mit Vir¬<lb/>
tuosität ausgeübt wurde. Gras Molü, aus dessen Grab unsre Journale ohne Unter¬<lb/>
schied der Farbe Blumen streuen, weil er das Verdienst hat todt zu sein, hat durch<lb/>
seine Wirksamkeit, die wir in kurzen Zügen hier resumiren wollen, gezeigt, daß er<lb/>
ein gelehriger Schüler in des Meisters Schule gewesen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1417" next="#ID_1418"> Louis Mathieu Molo wurde im Jahre 1780 geboren. Seine Jugend<lb/>
rettete ihn, als er im Jahre 1793 mit seinem Vater nach kurzer Emigration,wieder<lb/>
»ach Frankreich zurückgekehrt war. Er wurde aus dem Gefängniß entlassen und<lb/>
lebte bis nach Robespierres Falle mit seiner Mutter, im Auslande. Im Jahre<lb/>
1806 debütirte er mit einem sehr schwachen Machwerke zur Verherrlichung des<lb/>
Autoritätsprincips, nachdem er einige Jahre früher vom Consul die Wiedererstattung</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0479] populäre Geschichtschreibung ist es der angemessenste Standpunkt, denn wenn ein Buch aus die Masse des' Publicums wirken soll, so muß es wenigstens ungefähr von den Voraussetzungen ausgehen, welche die Masse bereits aner¬ kennt. In dieser Beziehung haben auch solche Zeitungen, wie die voßische und Spenersche, ihren bedeutenden Werth, den man in der Hitze des Streits leicht verkennt. Sie sind zwar nicht im Stande, in ernsten kritischen Fällen einen Rath zugeben, der eine verwickelte Frage erledigt, aber sie halten die öffentliche Meinung, die doch immer ein beachtenswerther Factor der Ereignisse ist, davon ab, im Eifer des Streits die Tramontane zu verlieren, wozu sie in aufgeregten Zeiten nur zu geneigt ist. Denn grade der Spießbürger, der in ruhigen Zeilen jedes Extrem verabscheut, ist geneigt, für Augenblicke, wo seine Furcht lebhaft angeregt ist, dem wildesten Fanatiker zu folgen, wenn er sich.unter seinem Schutz am sichersten fühlt. In der Form der Darstellung ist die alte Methode der beckerschen Welt¬ geschichte, die sich als praktisch bewährt hat, beibehalten. Die Geschichte ist so viel als möglich in die einzelnen Begebenheiten zerlegt, diese sind deutlich und anschaulich erzählt, die Uebergänge dagegen -nur leicht skizzirt. DaS ist die richtige Methode für die Fassungskraft der Menge. Weder in der Dar¬ stellung, noch in den Reflexionen finden wir etwas Glänzendes, darin liegt aber kein Nachtheil, denn allzu geistreiche Formen würden grade die Be¬ stimmung dieses Buches beeinträchtigen. Die Erzählung ist klar, bestimmt, lebhaft und so vollständig, als der gedrängte Raum erlaubt. Wenn wir also dem Buch einen sehr günstigen Erfolg voraussagen, so können wir diese Voraus-^ sagung nur mit unsern lebhaftesten Wünschen begleiten. Korrespondenzen. Pariser Brief. — Man hat mit Unrecht geglaubt, daß die Kunst des Einlcnkcns zur gehörigen Zeit von Talleyrand allein mit Vir¬ tuosität ausgeübt wurde. Gras Molü, aus dessen Grab unsre Journale ohne Unter¬ schied der Farbe Blumen streuen, weil er das Verdienst hat todt zu sein, hat durch seine Wirksamkeit, die wir in kurzen Zügen hier resumiren wollen, gezeigt, daß er ein gelehriger Schüler in des Meisters Schule gewesen. Louis Mathieu Molo wurde im Jahre 1780 geboren. Seine Jugend rettete ihn, als er im Jahre 1793 mit seinem Vater nach kurzer Emigration,wieder »ach Frankreich zurückgekehrt war. Er wurde aus dem Gefängniß entlassen und lebte bis nach Robespierres Falle mit seiner Mutter, im Auslande. Im Jahre 1806 debütirte er mit einem sehr schwachen Machwerke zur Verherrlichung des Autoritätsprincips, nachdem er einige Jahre früher vom Consul die Wiedererstattung

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/479
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/479>, abgerufen am 28.04.2024.