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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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Schleswig-Holsteinische Briefe.
Zweiter Brief.

Ich hatte meinen gestrigen Brief mit Schilderungen von der Schattenseite
des kieler Lebens geschlossen. Heute will ich zuerst wieder erfreulichere Bilder
an Ihnen vorübergehen lassen. Düsternbrook habe ich Ihnen bereits mit
einigen Strichen gezeichnet. Es ist ein ungemein schöner Spaziergang, der
Weg vom Schloßgarten durch die Allee von Linden und Rüstern, die schnur¬
gerade wie die Säulenhalle eines gothischen Münsters und halbdunkel wie ein
solcher nach dieser reizenden Niederlassung sührt und sich dann in verschiedenen
Biegungen durch sie hindurch windet. Zur Rechten bieten sich Durchblicke aus
die blaue, svnnenbeglänzte Bai und ihre weißen Segel, zur Linken eine überaus
anmuthige Abwechslung von Rasenplätzen, blühenden Büschen und sanften
Hügeln. Von hier streicht die frische Seeluft herein, von dort haucht der Wald
seinen balsamischen Odem her; da in dem Gezweig der Buchen läßt sich die
Nachtigall hören, da drüben plätschern leise die Meereswellen, die Küste kosend.
Von oben fällt durch die Wölbung der Wipfel das Tageslicht, in einen grün¬
lichen Duft verwandelt. Unten auf dem Boden gaukeln hellere Sonnenblicke
vor den Füßen des Lustwandelnden wie Schmetterlinge. Rechts in der Tiefe
stehen in sorgsam gepflegten, blumenreichen Gärten elegante Landhäuser, um¬
pflanzt mit Ziersträuchern, wahrend von dem grasbewachsenen AbHange links
von der Straße andere kleinere, halb in Baumgruppen verborgen, auf den
bunten Strom von Spaziergängern herniederschauen, der besonders an Sonn¬
tagen, aber auch in der Woche -- denn die Kieler sind ein vergnügenliebendes
Geschlecht -- nach dem Tivoli flutet. So wird der Freund des Idyllischen
von Genuß zu Genuß geführt, bis er endlich aus den Schatten dieses kleinen
Paradieses auftauchend nach dem Schweizerhause von Bellevue emporsteigt,
welches, auf einem waldigen Landvorsprunge hart über dem Wasser gelegen,
durch eine weite Aussicht über die ganze äußere Rhede bis zum offnen Meere
der Schönheit von Düsternbrook die Krone aufsetzt.

In der That, die Kieler haben Recht, diesem entzückenden Weg fleißig die
Ehre anzuthun. Sollte es aber begründet sein, wenn man ihnen nachsagt, sie


Grenzboien. IV. I86ö. K
Schleswig-Holsteinische Briefe.
Zweiter Brief.

Ich hatte meinen gestrigen Brief mit Schilderungen von der Schattenseite
des kieler Lebens geschlossen. Heute will ich zuerst wieder erfreulichere Bilder
an Ihnen vorübergehen lassen. Düsternbrook habe ich Ihnen bereits mit
einigen Strichen gezeichnet. Es ist ein ungemein schöner Spaziergang, der
Weg vom Schloßgarten durch die Allee von Linden und Rüstern, die schnur¬
gerade wie die Säulenhalle eines gothischen Münsters und halbdunkel wie ein
solcher nach dieser reizenden Niederlassung sührt und sich dann in verschiedenen
Biegungen durch sie hindurch windet. Zur Rechten bieten sich Durchblicke aus
die blaue, svnnenbeglänzte Bai und ihre weißen Segel, zur Linken eine überaus
anmuthige Abwechslung von Rasenplätzen, blühenden Büschen und sanften
Hügeln. Von hier streicht die frische Seeluft herein, von dort haucht der Wald
seinen balsamischen Odem her; da in dem Gezweig der Buchen läßt sich die
Nachtigall hören, da drüben plätschern leise die Meereswellen, die Küste kosend.
Von oben fällt durch die Wölbung der Wipfel das Tageslicht, in einen grün¬
lichen Duft verwandelt. Unten auf dem Boden gaukeln hellere Sonnenblicke
vor den Füßen des Lustwandelnden wie Schmetterlinge. Rechts in der Tiefe
stehen in sorgsam gepflegten, blumenreichen Gärten elegante Landhäuser, um¬
pflanzt mit Ziersträuchern, wahrend von dem grasbewachsenen AbHange links
von der Straße andere kleinere, halb in Baumgruppen verborgen, auf den
bunten Strom von Spaziergängern herniederschauen, der besonders an Sonn¬
tagen, aber auch in der Woche — denn die Kieler sind ein vergnügenliebendes
Geschlecht — nach dem Tivoli flutet. So wird der Freund des Idyllischen
von Genuß zu Genuß geführt, bis er endlich aus den Schatten dieses kleinen
Paradieses auftauchend nach dem Schweizerhause von Bellevue emporsteigt,
welches, auf einem waldigen Landvorsprunge hart über dem Wasser gelegen,
durch eine weite Aussicht über die ganze äußere Rhede bis zum offnen Meere
der Schönheit von Düsternbrook die Krone aufsetzt.

In der That, die Kieler haben Recht, diesem entzückenden Weg fleißig die
Ehre anzuthun. Sollte es aber begründet sein, wenn man ihnen nachsagt, sie


Grenzboien. IV. I86ö. K
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[0049] Schleswig-Holsteinische Briefe. Zweiter Brief. Ich hatte meinen gestrigen Brief mit Schilderungen von der Schattenseite des kieler Lebens geschlossen. Heute will ich zuerst wieder erfreulichere Bilder an Ihnen vorübergehen lassen. Düsternbrook habe ich Ihnen bereits mit einigen Strichen gezeichnet. Es ist ein ungemein schöner Spaziergang, der Weg vom Schloßgarten durch die Allee von Linden und Rüstern, die schnur¬ gerade wie die Säulenhalle eines gothischen Münsters und halbdunkel wie ein solcher nach dieser reizenden Niederlassung sührt und sich dann in verschiedenen Biegungen durch sie hindurch windet. Zur Rechten bieten sich Durchblicke aus die blaue, svnnenbeglänzte Bai und ihre weißen Segel, zur Linken eine überaus anmuthige Abwechslung von Rasenplätzen, blühenden Büschen und sanften Hügeln. Von hier streicht die frische Seeluft herein, von dort haucht der Wald seinen balsamischen Odem her; da in dem Gezweig der Buchen läßt sich die Nachtigall hören, da drüben plätschern leise die Meereswellen, die Küste kosend. Von oben fällt durch die Wölbung der Wipfel das Tageslicht, in einen grün¬ lichen Duft verwandelt. Unten auf dem Boden gaukeln hellere Sonnenblicke vor den Füßen des Lustwandelnden wie Schmetterlinge. Rechts in der Tiefe stehen in sorgsam gepflegten, blumenreichen Gärten elegante Landhäuser, um¬ pflanzt mit Ziersträuchern, wahrend von dem grasbewachsenen AbHange links von der Straße andere kleinere, halb in Baumgruppen verborgen, auf den bunten Strom von Spaziergängern herniederschauen, der besonders an Sonn¬ tagen, aber auch in der Woche — denn die Kieler sind ein vergnügenliebendes Geschlecht — nach dem Tivoli flutet. So wird der Freund des Idyllischen von Genuß zu Genuß geführt, bis er endlich aus den Schatten dieses kleinen Paradieses auftauchend nach dem Schweizerhause von Bellevue emporsteigt, welches, auf einem waldigen Landvorsprunge hart über dem Wasser gelegen, durch eine weite Aussicht über die ganze äußere Rhede bis zum offnen Meere der Schönheit von Düsternbrook die Krone aufsetzt. In der That, die Kieler haben Recht, diesem entzückenden Weg fleißig die Ehre anzuthun. Sollte es aber begründet sein, wenn man ihnen nachsagt, sie Grenzboien. IV. I86ö. K

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/49>, abgerufen am 28.04.2024.