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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band.

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mit Hinterlassung von Schulden plötzlich von seinem Dienste entlaufen und
vagabondirend im Lande herumgezogen war, ist gegenwärtig -- virtutl ooronsi!
mit einer der fettesten Stellen im Herzogthume bedacht.

Von dem durch die originelle Grobkörnigkeit seiner Bauern weit und breit
berühmten Brekendorf, wo es unter achthundert Einwohnern nur drei oder
vier Familiennamen gibt, von einigen andern Kuriositäten der hüttner Berge
und von unserer Mondscheinschwelgerei während einer Kahnfahrt auf dem
Wittensee, in dessen Nähe wir übernachteten, erzähle ich Ihnen einmal münd¬
lich. Was von Rendsburg zu sagen ist, soll der Anfang meines nächsten
Schreibens mittheilen. Für heute muß ich Ihnen Lebewohl sagen; denn
schon wieder ist die Datumsangabe der ersten Zeile nur für den ersten Bogen
noch richtig. Adieu denn, in einigen Stunden fliege ich nach Schleswig, wo
eine reichere Blumenlese bevorsteht.




Der Odenwald gewährt eine Fülle reicher Naturgenusse. Enge Thäler,
von raschen Bergwassern durchströmt, mit' kleinen, aber originellen Städt¬
chen erfüllt und mit Schlössern und Burgen geschmückt, öffnen sich hier
und dort, und wenn auch den Scenen eigentliche Großartigkeit abgeht, so
bieten doch die Gruppirungen von Fels, Wald und Gewässer einen überaus
malerischen Anblick. Auch gewährt dieser kleine Gebirgszug ein eigenthümliches
Interesse noch durch seine Bewohner. Das Volk hier ist in seinem unver¬
fälschten Wesen eine wahre Fundgrube für Studien. Die Bauern des Oden-
waldes gehören in der Abgeschlossenheit ihrer Sitten und Gebräuche und ihrer
ganzen Natur nach zum wahren Volke. Auch ihre Sprache, obwol etwas
rauh, enthält viel Originelles. Eine der reizendsten Partien dieses kleinen
Gebirges bildet daS Mimlingthal, wo in einem mehre Stunden langen
und mit dem Sammet des frischesten Wiesenteppichs bekleideten Thale, durch
das der Fluß sich schlängelt, fünf Städtchen hintereinander folgen, mit zer¬
streuten Mühlen, Eisenschmelzen und Hammerwerken abwechselnd und in einem
Kranze ftuchtreicher Gärten belegen. Das erste Städtchen, welches ich, von
Beerfelden ins Thal hinabstcigenv, begrüßte, war Erbach, früher eine der
kleinen Residenzen, von Venen Deutschland wimmelte, Hauptort der 11 Quadrat¬
meilen großen Grafschaft Erbach. Die Grafen von Erbach hatten am Hofe
von Kurpfalz einst das Schenkenamt und hießen daher die Schenken von Erbach,
und das gräfliche Schloß ist seiner Kunstschätze aus Italien und dem deutschen
Mittelalter wegen sehenswerth. Der 80 Fuß hohe Thurm, malerisch mit Epheu


mit Hinterlassung von Schulden plötzlich von seinem Dienste entlaufen und
vagabondirend im Lande herumgezogen war, ist gegenwärtig — virtutl ooronsi!
mit einer der fettesten Stellen im Herzogthume bedacht.

Von dem durch die originelle Grobkörnigkeit seiner Bauern weit und breit
berühmten Brekendorf, wo es unter achthundert Einwohnern nur drei oder
vier Familiennamen gibt, von einigen andern Kuriositäten der hüttner Berge
und von unserer Mondscheinschwelgerei während einer Kahnfahrt auf dem
Wittensee, in dessen Nähe wir übernachteten, erzähle ich Ihnen einmal münd¬
lich. Was von Rendsburg zu sagen ist, soll der Anfang meines nächsten
Schreibens mittheilen. Für heute muß ich Ihnen Lebewohl sagen; denn
schon wieder ist die Datumsangabe der ersten Zeile nur für den ersten Bogen
noch richtig. Adieu denn, in einigen Stunden fliege ich nach Schleswig, wo
eine reichere Blumenlese bevorsteht.




Der Odenwald gewährt eine Fülle reicher Naturgenusse. Enge Thäler,
von raschen Bergwassern durchströmt, mit' kleinen, aber originellen Städt¬
chen erfüllt und mit Schlössern und Burgen geschmückt, öffnen sich hier
und dort, und wenn auch den Scenen eigentliche Großartigkeit abgeht, so
bieten doch die Gruppirungen von Fels, Wald und Gewässer einen überaus
malerischen Anblick. Auch gewährt dieser kleine Gebirgszug ein eigenthümliches
Interesse noch durch seine Bewohner. Das Volk hier ist in seinem unver¬
fälschten Wesen eine wahre Fundgrube für Studien. Die Bauern des Oden-
waldes gehören in der Abgeschlossenheit ihrer Sitten und Gebräuche und ihrer
ganzen Natur nach zum wahren Volke. Auch ihre Sprache, obwol etwas
rauh, enthält viel Originelles. Eine der reizendsten Partien dieses kleinen
Gebirges bildet daS Mimlingthal, wo in einem mehre Stunden langen
und mit dem Sammet des frischesten Wiesenteppichs bekleideten Thale, durch
das der Fluß sich schlängelt, fünf Städtchen hintereinander folgen, mit zer¬
streuten Mühlen, Eisenschmelzen und Hammerwerken abwechselnd und in einem
Kranze ftuchtreicher Gärten belegen. Das erste Städtchen, welches ich, von
Beerfelden ins Thal hinabstcigenv, begrüßte, war Erbach, früher eine der
kleinen Residenzen, von Venen Deutschland wimmelte, Hauptort der 11 Quadrat¬
meilen großen Grafschaft Erbach. Die Grafen von Erbach hatten am Hofe
von Kurpfalz einst das Schenkenamt und hießen daher die Schenken von Erbach,
und das gräfliche Schloß ist seiner Kunstschätze aus Italien und dem deutschen
Mittelalter wegen sehenswerth. Der 80 Fuß hohe Thurm, malerisch mit Epheu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_100453/71>, abgerufen am 27.04.2024.