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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Trotz alledem steht die Russificirung Finnlands noch in ihren ersten An¬
fängen. Erst seitdem der Admiral Menschikoff zum Generalgouvemeur des
Großfürstenthums berufen ward, streckt die officielle Russificirung von Zeit zu
Zeit ihre Krallen zu scharfen Griffen aus den vorsichtig streichelnden Tatzen.
Wahrlich, es wäre eine wunderbare Nemesis der Geschichte, wenn die Gänge
des europäischen Kampfes gegen Rußlands Uebergriffe, in Konstantinopel durch
Menschikoffs Auftreten herausgefordert, auch für Finnlands Stellung zu Ru߬
land in derselben Art entscheidend werden sollten, wie im Süden des Reichs.
Nach dem Falle SebastvpolS und dem Verlust der Flotte des schwarzen Meeres
bleibt Rußland noch immer eine auf Mitteleuropa drückende Seemacht. Fallen
aber Finnlands Küsten in die Hände eines kräftigen Siegers, dann ist Peters¬
burg mit Kronstäbe wieder blos ein Fenster, durch welches der Zar nach Europa
hinaussieht.




Georges Sand
vom Pariser Korrespondenten der Grenzboten.

Kein Schriftsteller des modernen Frankreichs hat soviel Aufsehen durch
seine Schriften und pures seine Persönlichkeit erregt als d.as Frauengenie, das
unter dem Namen George Sand seit zwanzig Jahren die Welt mit ihren
Schöpfungen in Erstaunen setzt. Ueber keine Persönlichkeit sind soviele Lügen
und so abgeschmackte Fabeln in Umlauf gesetzt worden, als über die berühmte
Chatelaine von Nohaut.

In Paris, ist das erklärlich, denn es gibt wenige große Städte, wo so¬
viel nach dem Hörensagen geurtheilt wird. Man hat nicht Zeit und ist auch
zu träge, sich über die Personen und Dinge, die uns doch so warm interesstren,
gründlich zu unterrichten. Wenn nur eine äußerlich annehmbare Version ge¬
sunden wird, ist alles zufrieden und die wenigen gut Unterrichteten finden es
selten der Mühe werth, dem Publicum die allgemein gewordenen Irrthümer
zu benehmen. Oft kommt Böswilligkeit und Parteihaß mit ins Spiel und
was man im Auslande für getreu nach der Natur gezeichnete Porträts hält,
sind in der Regel lächerliche Verzerrungen ohne alle Aehnlichkeit, oftmals
sogar ohne die beiläufige Aehnlichkeit der künstlerischen Erfindung.

Georges Sand, mehr als andere Berühmtheiten, hat die Pamphletisten
und Lebensbeschreiber beschäftigt. Seit sie durch'Jndiana und später durch
ihren unglücklichen Proceß gegen ihren Mann die literarischen und gesellschaft¬
lichen Kreise erfüllt hatte, wurde die berühmte Frau ein Gegenstand der neu¬
gierigsten Verfolgung -- und kein Mittel galt den Unbescheidenen für zu
schlecht, in ihre Nähe zu kommen und wäre, es auch nur für einen Augenblick.


Trotz alledem steht die Russificirung Finnlands noch in ihren ersten An¬
fängen. Erst seitdem der Admiral Menschikoff zum Generalgouvemeur des
Großfürstenthums berufen ward, streckt die officielle Russificirung von Zeit zu
Zeit ihre Krallen zu scharfen Griffen aus den vorsichtig streichelnden Tatzen.
Wahrlich, es wäre eine wunderbare Nemesis der Geschichte, wenn die Gänge
des europäischen Kampfes gegen Rußlands Uebergriffe, in Konstantinopel durch
Menschikoffs Auftreten herausgefordert, auch für Finnlands Stellung zu Ru߬
land in derselben Art entscheidend werden sollten, wie im Süden des Reichs.
Nach dem Falle SebastvpolS und dem Verlust der Flotte des schwarzen Meeres
bleibt Rußland noch immer eine auf Mitteleuropa drückende Seemacht. Fallen
aber Finnlands Küsten in die Hände eines kräftigen Siegers, dann ist Peters¬
burg mit Kronstäbe wieder blos ein Fenster, durch welches der Zar nach Europa
hinaussieht.




Georges Sand
vom Pariser Korrespondenten der Grenzboten.

Kein Schriftsteller des modernen Frankreichs hat soviel Aufsehen durch
seine Schriften und pures seine Persönlichkeit erregt als d.as Frauengenie, das
unter dem Namen George Sand seit zwanzig Jahren die Welt mit ihren
Schöpfungen in Erstaunen setzt. Ueber keine Persönlichkeit sind soviele Lügen
und so abgeschmackte Fabeln in Umlauf gesetzt worden, als über die berühmte
Chatelaine von Nohaut.

In Paris, ist das erklärlich, denn es gibt wenige große Städte, wo so¬
viel nach dem Hörensagen geurtheilt wird. Man hat nicht Zeit und ist auch
zu träge, sich über die Personen und Dinge, die uns doch so warm interesstren,
gründlich zu unterrichten. Wenn nur eine äußerlich annehmbare Version ge¬
sunden wird, ist alles zufrieden und die wenigen gut Unterrichteten finden es
selten der Mühe werth, dem Publicum die allgemein gewordenen Irrthümer
zu benehmen. Oft kommt Böswilligkeit und Parteihaß mit ins Spiel und
was man im Auslande für getreu nach der Natur gezeichnete Porträts hält,
sind in der Regel lächerliche Verzerrungen ohne alle Aehnlichkeit, oftmals
sogar ohne die beiläufige Aehnlichkeit der künstlerischen Erfindung.

Georges Sand, mehr als andere Berühmtheiten, hat die Pamphletisten
und Lebensbeschreiber beschäftigt. Seit sie durch'Jndiana und später durch
ihren unglücklichen Proceß gegen ihren Mann die literarischen und gesellschaft¬
lichen Kreise erfüllt hatte, wurde die berühmte Frau ein Gegenstand der neu¬
gierigsten Verfolgung — und kein Mittel galt den Unbescheidenen für zu
schlecht, in ihre Nähe zu kommen und wäre, es auch nur für einen Augenblick.


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[0218] Trotz alledem steht die Russificirung Finnlands noch in ihren ersten An¬ fängen. Erst seitdem der Admiral Menschikoff zum Generalgouvemeur des Großfürstenthums berufen ward, streckt die officielle Russificirung von Zeit zu Zeit ihre Krallen zu scharfen Griffen aus den vorsichtig streichelnden Tatzen. Wahrlich, es wäre eine wunderbare Nemesis der Geschichte, wenn die Gänge des europäischen Kampfes gegen Rußlands Uebergriffe, in Konstantinopel durch Menschikoffs Auftreten herausgefordert, auch für Finnlands Stellung zu Ru߬ land in derselben Art entscheidend werden sollten, wie im Süden des Reichs. Nach dem Falle SebastvpolS und dem Verlust der Flotte des schwarzen Meeres bleibt Rußland noch immer eine auf Mitteleuropa drückende Seemacht. Fallen aber Finnlands Küsten in die Hände eines kräftigen Siegers, dann ist Peters¬ burg mit Kronstäbe wieder blos ein Fenster, durch welches der Zar nach Europa hinaussieht. Georges Sand vom Pariser Korrespondenten der Grenzboten. Kein Schriftsteller des modernen Frankreichs hat soviel Aufsehen durch seine Schriften und pures seine Persönlichkeit erregt als d.as Frauengenie, das unter dem Namen George Sand seit zwanzig Jahren die Welt mit ihren Schöpfungen in Erstaunen setzt. Ueber keine Persönlichkeit sind soviele Lügen und so abgeschmackte Fabeln in Umlauf gesetzt worden, als über die berühmte Chatelaine von Nohaut. In Paris, ist das erklärlich, denn es gibt wenige große Städte, wo so¬ viel nach dem Hörensagen geurtheilt wird. Man hat nicht Zeit und ist auch zu träge, sich über die Personen und Dinge, die uns doch so warm interesstren, gründlich zu unterrichten. Wenn nur eine äußerlich annehmbare Version ge¬ sunden wird, ist alles zufrieden und die wenigen gut Unterrichteten finden es selten der Mühe werth, dem Publicum die allgemein gewordenen Irrthümer zu benehmen. Oft kommt Böswilligkeit und Parteihaß mit ins Spiel und was man im Auslande für getreu nach der Natur gezeichnete Porträts hält, sind in der Regel lächerliche Verzerrungen ohne alle Aehnlichkeit, oftmals sogar ohne die beiläufige Aehnlichkeit der künstlerischen Erfindung. Georges Sand, mehr als andere Berühmtheiten, hat die Pamphletisten und Lebensbeschreiber beschäftigt. Seit sie durch'Jndiana und später durch ihren unglücklichen Proceß gegen ihren Mann die literarischen und gesellschaft¬ lichen Kreise erfüllt hatte, wurde die berühmte Frau ein Gegenstand der neu¬ gierigsten Verfolgung — und kein Mittel galt den Unbescheidenen für zu schlecht, in ihre Nähe zu kommen und wäre, es auch nur für einen Augenblick.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/218>, abgerufen am 05.05.2024.