Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Zukunft des deutschen Handwerks.

Allerdings läßt sich an unsren deutschen Handwerksmeistern, bei der
immermehr um sich greifenden Verarmung unter einem großen Theile derselben
sehr vieles tadeln: die Forderung an den Staat, daß er sie gegen sogenannte
unbefugte Concurrenz, welche oft die überwiegende Geschicklichkeir ist, schützen
solle, das Streben nach Unterdrückung der Gesellenrechte, die Meinung, daß
sie "der wichtigste Stand im Staate" seien, das Verlangen nach besonderen
Handwerkerbanken u. s. w.; allein man darf einestheils die sich ihnen dar¬
bietende, wenn auch nichts beweisende Analogie der Nechtsanwcilte, der Apo¬
theker, der Aerzte, welche aus Grund der erworbenen Rechte Unberechtigte
von ihrem Felde fernhalten, anderentheils die ganz eigenthümliche Lage nicht
übersehen, in welche das deutsche Handwerk mehr und mehr hineingeräth,
und deren schwankende Haltung auf der Schwelle der Vergangenheit und Zukunft
in der Noth zu Maßregeln greifen läßt, an welche ein gesicherter und zukunft¬
reicher Stand nicht denkt.

Kein Stand befindet sich gegenwärtig in so precären und für
die Zukunft zweifelhaften Erwerbsverhältnissen als der Hand¬
werkerstand. Der Bauernstand schreitet feit Jahrzehnten in der durch
günstige Conjuncturen und Sparsamkeit bedingten Wohlhabenheit sichtlich und
sicher vorwärts. Die großen Grundbesitzer mußten zwar Privilegien her¬
geben, haben sie aber jetzt zum großen Theil wiedererobert und sind auf dem Wege,
besonders gegenüber der städtischen Industrie, noch größere Eroberungen zu
machen, zudem sind diese Privilegien, mit Ausnahme der Steuerfreiheit, keine
Geldquellen, und sollte auch die Steuerbevorzugung fallen, so wissen sie als die
gegenwärtigen Gesetzgeber durch die Entschädigung den Ausfall zu decken,
während die Pfandbriefinstitutc eine mächtige, vom Staate garantirte und
gehegte Solidarität herstellen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter sehen
ihren, freilich immer noch knappen Lohn mindestens sich nicht verringern ; die Zu¬
kunft der Bodencultur verspricht ihnen erhöhte Einnahmen, während die Be¬
dürfnisse einer starken Steigerung nicht entgegengehen. Die'städtischen
Handarbeiter haben in den letzten Jahren eine immer stärkere Nachfrage


Grenzboten. I. -I8SL.
Die Zukunft des deutschen Handwerks.

Allerdings läßt sich an unsren deutschen Handwerksmeistern, bei der
immermehr um sich greifenden Verarmung unter einem großen Theile derselben
sehr vieles tadeln: die Forderung an den Staat, daß er sie gegen sogenannte
unbefugte Concurrenz, welche oft die überwiegende Geschicklichkeir ist, schützen
solle, das Streben nach Unterdrückung der Gesellenrechte, die Meinung, daß
sie „der wichtigste Stand im Staate" seien, das Verlangen nach besonderen
Handwerkerbanken u. s. w.; allein man darf einestheils die sich ihnen dar¬
bietende, wenn auch nichts beweisende Analogie der Nechtsanwcilte, der Apo¬
theker, der Aerzte, welche aus Grund der erworbenen Rechte Unberechtigte
von ihrem Felde fernhalten, anderentheils die ganz eigenthümliche Lage nicht
übersehen, in welche das deutsche Handwerk mehr und mehr hineingeräth,
und deren schwankende Haltung auf der Schwelle der Vergangenheit und Zukunft
in der Noth zu Maßregeln greifen läßt, an welche ein gesicherter und zukunft¬
reicher Stand nicht denkt.

Kein Stand befindet sich gegenwärtig in so precären und für
die Zukunft zweifelhaften Erwerbsverhältnissen als der Hand¬
werkerstand. Der Bauernstand schreitet feit Jahrzehnten in der durch
günstige Conjuncturen und Sparsamkeit bedingten Wohlhabenheit sichtlich und
sicher vorwärts. Die großen Grundbesitzer mußten zwar Privilegien her¬
geben, haben sie aber jetzt zum großen Theil wiedererobert und sind auf dem Wege,
besonders gegenüber der städtischen Industrie, noch größere Eroberungen zu
machen, zudem sind diese Privilegien, mit Ausnahme der Steuerfreiheit, keine
Geldquellen, und sollte auch die Steuerbevorzugung fallen, so wissen sie als die
gegenwärtigen Gesetzgeber durch die Entschädigung den Ausfall zu decken,
während die Pfandbriefinstitutc eine mächtige, vom Staate garantirte und
gehegte Solidarität herstellen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter sehen
ihren, freilich immer noch knappen Lohn mindestens sich nicht verringern ; die Zu¬
kunft der Bodencultur verspricht ihnen erhöhte Einnahmen, während die Be¬
dürfnisse einer starken Steigerung nicht entgegengehen. Die'städtischen
Handarbeiter haben in den letzten Jahren eine immer stärkere Nachfrage


Grenzboten. I. -I8SL.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0329" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/99181"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Zukunft des deutschen Handwerks.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1141"> Allerdings läßt sich an unsren deutschen Handwerksmeistern, bei der<lb/>
immermehr um sich greifenden Verarmung unter einem großen Theile derselben<lb/>
sehr vieles tadeln: die Forderung an den Staat, daß er sie gegen sogenannte<lb/>
unbefugte Concurrenz, welche oft die überwiegende Geschicklichkeir ist, schützen<lb/>
solle, das Streben nach Unterdrückung der Gesellenrechte, die Meinung, daß<lb/>
sie &#x201E;der wichtigste Stand im Staate" seien, das Verlangen nach besonderen<lb/>
Handwerkerbanken u. s. w.; allein man darf einestheils die sich ihnen dar¬<lb/>
bietende, wenn auch nichts beweisende Analogie der Nechtsanwcilte, der Apo¬<lb/>
theker, der Aerzte, welche aus Grund der erworbenen Rechte Unberechtigte<lb/>
von ihrem Felde fernhalten, anderentheils die ganz eigenthümliche Lage nicht<lb/>
übersehen, in welche das deutsche Handwerk mehr und mehr hineingeräth,<lb/>
und deren schwankende Haltung auf der Schwelle der Vergangenheit und Zukunft<lb/>
in der Noth zu Maßregeln greifen läßt, an welche ein gesicherter und zukunft¬<lb/>
reicher Stand nicht denkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1142" next="#ID_1143"> Kein Stand befindet sich gegenwärtig in so precären und für<lb/>
die Zukunft zweifelhaften Erwerbsverhältnissen als der Hand¬<lb/>
werkerstand. Der Bauernstand schreitet feit Jahrzehnten in der durch<lb/>
günstige Conjuncturen und Sparsamkeit bedingten Wohlhabenheit sichtlich und<lb/>
sicher vorwärts. Die großen Grundbesitzer mußten zwar Privilegien her¬<lb/>
geben, haben sie aber jetzt zum großen Theil wiedererobert und sind auf dem Wege,<lb/>
besonders gegenüber der städtischen Industrie, noch größere Eroberungen zu<lb/>
machen, zudem sind diese Privilegien, mit Ausnahme der Steuerfreiheit, keine<lb/>
Geldquellen, und sollte auch die Steuerbevorzugung fallen, so wissen sie als die<lb/>
gegenwärtigen Gesetzgeber durch die Entschädigung den Ausfall zu decken,<lb/>
während die Pfandbriefinstitutc eine mächtige, vom Staate garantirte und<lb/>
gehegte Solidarität herstellen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter sehen<lb/>
ihren, freilich immer noch knappen Lohn mindestens sich nicht verringern ; die Zu¬<lb/>
kunft der Bodencultur verspricht ihnen erhöhte Einnahmen, während die Be¬<lb/>
dürfnisse einer starken Steigerung nicht entgegengehen. Die'städtischen<lb/>
Handarbeiter haben in den letzten Jahren eine immer stärkere Nachfrage</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. I. -I8SL.</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0329] Die Zukunft des deutschen Handwerks. Allerdings läßt sich an unsren deutschen Handwerksmeistern, bei der immermehr um sich greifenden Verarmung unter einem großen Theile derselben sehr vieles tadeln: die Forderung an den Staat, daß er sie gegen sogenannte unbefugte Concurrenz, welche oft die überwiegende Geschicklichkeir ist, schützen solle, das Streben nach Unterdrückung der Gesellenrechte, die Meinung, daß sie „der wichtigste Stand im Staate" seien, das Verlangen nach besonderen Handwerkerbanken u. s. w.; allein man darf einestheils die sich ihnen dar¬ bietende, wenn auch nichts beweisende Analogie der Nechtsanwcilte, der Apo¬ theker, der Aerzte, welche aus Grund der erworbenen Rechte Unberechtigte von ihrem Felde fernhalten, anderentheils die ganz eigenthümliche Lage nicht übersehen, in welche das deutsche Handwerk mehr und mehr hineingeräth, und deren schwankende Haltung auf der Schwelle der Vergangenheit und Zukunft in der Noth zu Maßregeln greifen läßt, an welche ein gesicherter und zukunft¬ reicher Stand nicht denkt. Kein Stand befindet sich gegenwärtig in so precären und für die Zukunft zweifelhaften Erwerbsverhältnissen als der Hand¬ werkerstand. Der Bauernstand schreitet feit Jahrzehnten in der durch günstige Conjuncturen und Sparsamkeit bedingten Wohlhabenheit sichtlich und sicher vorwärts. Die großen Grundbesitzer mußten zwar Privilegien her¬ geben, haben sie aber jetzt zum großen Theil wiedererobert und sind auf dem Wege, besonders gegenüber der städtischen Industrie, noch größere Eroberungen zu machen, zudem sind diese Privilegien, mit Ausnahme der Steuerfreiheit, keine Geldquellen, und sollte auch die Steuerbevorzugung fallen, so wissen sie als die gegenwärtigen Gesetzgeber durch die Entschädigung den Ausfall zu decken, während die Pfandbriefinstitutc eine mächtige, vom Staate garantirte und gehegte Solidarität herstellen. Die besitzlosen ländlichen Arbeiter sehen ihren, freilich immer noch knappen Lohn mindestens sich nicht verringern ; die Zu¬ kunft der Bodencultur verspricht ihnen erhöhte Einnahmen, während die Be¬ dürfnisse einer starken Steigerung nicht entgegengehen. Die'städtischen Handarbeiter haben in den letzten Jahren eine immer stärkere Nachfrage Grenzboten. I. -I8SL.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/329
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/329>, abgerufen am 06.05.2024.