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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band.

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Goethes Prometheus. Ein Drama. Zur Vollständigkeit ergänzt aus deS
Dichters Werken durch.....

Will der Verleger dann meinen Namen dazu haben, so steht er zu
Ottomar Föhrau. Diensten.




Naturwissenschaft.

Rud. Wagner, über Wissen und Glauben. Göttingen, WigMd. -- I. Johnson,
Chemische Bilder. 2 Bde. Leipzig, Lorck. --

Angeregt durch das rasche Vergreifen seiner Broschüre "Menschenschöpfung
und Seelensubstanz" hat Rud. Wagner abermals das Verhältniß seiner reli¬
giösen und physiologischen Ansichten zum Gegenstande der Besprechung ge¬
macht. Es ist ihm aber nicht gelungen, sie zu rechtfertigen oder, nur die von
ihm selbst citirten Angriffe verschiedener Gegner zu widerlegen. Namentlich
bemüht er sich vergebens den ungünstigen Eindruck zu verwischen, welchen ein
früherer Ausspruch "daß er seinen Glauben und seine Wissenschaft nebenein¬
ander ablaufen lasse" wol allgemein hervorgebracht hat. Wenn das ein Gegner
(Lotse) eine doppelte Buchhaltung genannt hat, so hat er dadurch den Eindruck
wiedergegeben, obgleich der Vergleich eigentlich gar nicht paßt; denn bei dieser
wird derselbe Posten in verschiedene Bücher eingetragen, Wagner aber trägt
unter Umständen gradezu widersprechende Ansichten in das Buch seiner Wissen¬
schaft und in das seines Glaubens ein. So wenigstens haben Lotse, Virchow,
und Referent ihn verstanden; so sagt er selbst, daß das aus dem Glauben und
das aus der Wissenschaft entstandene Wissen sich bestätigen, aber auch sich
widersprechen könne. Aber er täuscht sich' in der Annahme, daß er innerlich
bei solchen Kontroversen neutral bleibe; solchen groben Widerspruch des Denkens
gegen das Denken läßt die Beschaffenheit der Seele nicht zu; Wagner trägt
vielmehr seine theologischen Ansichten gradezu in seine Physiologie hinein.
Wenn er sagt: "Nicht die Physiologie nöthigt mich zur Annahme einer Seele,
sondern die mir immanente -- Vorstellung einer moralischen Weltordnung",
so pflichten wir ihm bei, aber er darf dann nicht die Existenz derselben als
physiologisch bewiesen ansehen. In dieser Beziehung weiß er nichts Triftigeres
beizubringen, als die Behauptung, daß man, wenn auch vielleicht alles Andere,
doch keinenfalls das Selbstbewußtsein aus physikalischen Kräften erklären könne.
Für diese Ansicht vermögen wir umsoweniger einen Grund einzusehen, da
der Satz "ich bin ich" auf einem weitläufigen Denkprocesse beruht; wenn also
das Denken überhaupt jemals physikalisch erklärt werden sollte, so dürste man
dasselbe wol vom Selbstbewußtsein erwarten.


Goethes Prometheus. Ein Drama. Zur Vollständigkeit ergänzt aus deS
Dichters Werken durch.....

Will der Verleger dann meinen Namen dazu haben, so steht er zu
Ottomar Föhrau. Diensten.




Naturwissenschaft.

Rud. Wagner, über Wissen und Glauben. Göttingen, WigMd. — I. Johnson,
Chemische Bilder. 2 Bde. Leipzig, Lorck. —

Angeregt durch das rasche Vergreifen seiner Broschüre „Menschenschöpfung
und Seelensubstanz" hat Rud. Wagner abermals das Verhältniß seiner reli¬
giösen und physiologischen Ansichten zum Gegenstande der Besprechung ge¬
macht. Es ist ihm aber nicht gelungen, sie zu rechtfertigen oder, nur die von
ihm selbst citirten Angriffe verschiedener Gegner zu widerlegen. Namentlich
bemüht er sich vergebens den ungünstigen Eindruck zu verwischen, welchen ein
früherer Ausspruch „daß er seinen Glauben und seine Wissenschaft nebenein¬
ander ablaufen lasse" wol allgemein hervorgebracht hat. Wenn das ein Gegner
(Lotse) eine doppelte Buchhaltung genannt hat, so hat er dadurch den Eindruck
wiedergegeben, obgleich der Vergleich eigentlich gar nicht paßt; denn bei dieser
wird derselbe Posten in verschiedene Bücher eingetragen, Wagner aber trägt
unter Umständen gradezu widersprechende Ansichten in das Buch seiner Wissen¬
schaft und in das seines Glaubens ein. So wenigstens haben Lotse, Virchow,
und Referent ihn verstanden; so sagt er selbst, daß das aus dem Glauben und
das aus der Wissenschaft entstandene Wissen sich bestätigen, aber auch sich
widersprechen könne. Aber er täuscht sich' in der Annahme, daß er innerlich
bei solchen Kontroversen neutral bleibe; solchen groben Widerspruch des Denkens
gegen das Denken läßt die Beschaffenheit der Seele nicht zu; Wagner trägt
vielmehr seine theologischen Ansichten gradezu in seine Physiologie hinein.
Wenn er sagt: „Nicht die Physiologie nöthigt mich zur Annahme einer Seele,
sondern die mir immanente — Vorstellung einer moralischen Weltordnung",
so pflichten wir ihm bei, aber er darf dann nicht die Existenz derselben als
physiologisch bewiesen ansehen. In dieser Beziehung weiß er nichts Triftigeres
beizubringen, als die Behauptung, daß man, wenn auch vielleicht alles Andere,
doch keinenfalls das Selbstbewußtsein aus physikalischen Kräften erklären könne.
Für diese Ansicht vermögen wir umsoweniger einen Grund einzusehen, da
der Satz „ich bin ich" auf einem weitläufigen Denkprocesse beruht; wenn also
das Denken überhaupt jemals physikalisch erklärt werden sollte, so dürste man
dasselbe wol vom Selbstbewußtsein erwarten.


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[0034] Goethes Prometheus. Ein Drama. Zur Vollständigkeit ergänzt aus deS Dichters Werken durch..... Will der Verleger dann meinen Namen dazu haben, so steht er zu Ottomar Föhrau. Diensten. Naturwissenschaft. Rud. Wagner, über Wissen und Glauben. Göttingen, WigMd. — I. Johnson, Chemische Bilder. 2 Bde. Leipzig, Lorck. — Angeregt durch das rasche Vergreifen seiner Broschüre „Menschenschöpfung und Seelensubstanz" hat Rud. Wagner abermals das Verhältniß seiner reli¬ giösen und physiologischen Ansichten zum Gegenstande der Besprechung ge¬ macht. Es ist ihm aber nicht gelungen, sie zu rechtfertigen oder, nur die von ihm selbst citirten Angriffe verschiedener Gegner zu widerlegen. Namentlich bemüht er sich vergebens den ungünstigen Eindruck zu verwischen, welchen ein früherer Ausspruch „daß er seinen Glauben und seine Wissenschaft nebenein¬ ander ablaufen lasse" wol allgemein hervorgebracht hat. Wenn das ein Gegner (Lotse) eine doppelte Buchhaltung genannt hat, so hat er dadurch den Eindruck wiedergegeben, obgleich der Vergleich eigentlich gar nicht paßt; denn bei dieser wird derselbe Posten in verschiedene Bücher eingetragen, Wagner aber trägt unter Umständen gradezu widersprechende Ansichten in das Buch seiner Wissen¬ schaft und in das seines Glaubens ein. So wenigstens haben Lotse, Virchow, und Referent ihn verstanden; so sagt er selbst, daß das aus dem Glauben und das aus der Wissenschaft entstandene Wissen sich bestätigen, aber auch sich widersprechen könne. Aber er täuscht sich' in der Annahme, daß er innerlich bei solchen Kontroversen neutral bleibe; solchen groben Widerspruch des Denkens gegen das Denken läßt die Beschaffenheit der Seele nicht zu; Wagner trägt vielmehr seine theologischen Ansichten gradezu in seine Physiologie hinein. Wenn er sagt: „Nicht die Physiologie nöthigt mich zur Annahme einer Seele, sondern die mir immanente — Vorstellung einer moralischen Weltordnung", so pflichten wir ihm bei, aber er darf dann nicht die Existenz derselben als physiologisch bewiesen ansehen. In dieser Beziehung weiß er nichts Triftigeres beizubringen, als die Behauptung, daß man, wenn auch vielleicht alles Andere, doch keinenfalls das Selbstbewußtsein aus physikalischen Kräften erklären könne. Für diese Ansicht vermögen wir umsoweniger einen Grund einzusehen, da der Satz „ich bin ich" auf einem weitläufigen Denkprocesse beruht; wenn also das Denken überhaupt jemals physikalisch erklärt werden sollte, so dürste man dasselbe wol vom Selbstbewußtsein erwarten.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_98851/34>, abgerufen am 05.05.2024.