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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band.

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Dies zur Erklärung eines Unglücks, welches an die Fürsorge der Regierung,
an die Standhaftigkeit der betroffenen Bevölkerung und an die Theilnahme
deö ganzen deutschen Vaterlandes die ernsteste Mahnung richtet.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel,

-- Wie Sie bereits aus directen Nach,
richten, die über Varna gegangen -- und vielleicht eher wie wir hier -- in
Erfahrung gebracht haben werde", hat das am 9. April begonnene Bombardement
gegen Sebastopvl, welches am 11. fortdauerte, bis jetzt keinen entscheidenden Erfolg
gehabt. Man darf mit Recht fragen : woran dieser neue Versuch scheiterte? Wenn
aus so weiter Entfernung wie die Stambuls von der Krim und ohne Kenntniß
der Oertlichkeit und der übrigen Verhältnisse aus eignem Augenschein ein Urtheil
(dem am ersteren Orte Weilenden) gestattet ist, so mochte ich sagen: es liegt die
Veranlassung des neuen Mißlingens in der immer noch nicht ausreichenden Anzahl
von Geschützen, die man diesseits zur Verwendung gebracht. Es ist nicht anzu¬
nehmen, daß die russischen Kanoniere bedeutend schlechter wie die französischen und
englischen schießen. Wenn indeß ein solcher Unterschied nicht existirt, so kann selbst¬
redend die Hoffnung auf einen siegreichen Ausschlag seitens der Belagerungsartillerie
nur dann rcalistrt werden, wenn dieselbe über eine größere Anzahl von Geschützen
als die Vertheidigung zu disponiren hat. Aber leider ist dies letztere nicht nur
nicht der Fall, sondern es findet sogar das umgekehrte Verhältniß statt, dergestalt,
daß den 400 Geschützen, von denen diesseits das Feuer ausgeht, ans der andern
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Geschützrohren schwersten Kalibers und den dazu gehörigen Laffeten in den Arse¬
nälen von Woolwich sind, daß dort nach einer nichts weniger als unfnndirten
Annahme -16,000 Stück Kanonen gelagert sind, so muß man allerdings erstaunen,
daß England diese reichen und von denen keines andern Staates erreichten Mittel,
die außerdem aus das bequemste zur Hand liegen, um sofort eingeschifft zu wer¬
den, nicht auszubeuten verstanden hat, um auf einem Pnnkte, wo es nicht nur
sich um seine militärische Ehre allein, sondern muthmaßlich um seine Stellung
gegenüber von Europa handelt -- um sich dort inmitten der schwankenden Chancen
des Krieges den Erfolg zu sichern. Selbst wenn man die Hilfsmittel, welche Kon¬
stantinopel, von andern Arsenälen des türkischen Reiches nicht zu reden, bot, richtig
genutzt und richtig zur Verwendung gebracht hätte, würde man eine russische Ueber-
legenheit in Hinsicht auf die in den Belagerungskämpfen entscheidende Waffe nicht
zu fürchten gehabt haben.

Neben dem großen Fehler, dessen man sich in Hinsicht auf die Saumsal beim
Hcranschaffen einer ausreichenden Gcscbützmassc zu Schulden kommen ließ, steht
ein andrer, welcher die Wahl der zur Verwendung gebrachten Geschützgattuug an¬
geht. In dieser Hinsicht machte ich schon darauf aufmerksam, daß die Verbün¬
deten eine überraschend geringfügige Anzahl von Mörsern zur Stelle schafften.


Dies zur Erklärung eines Unglücks, welches an die Fürsorge der Regierung,
an die Standhaftigkeit der betroffenen Bevölkerung und an die Theilnahme
deö ganzen deutschen Vaterlandes die ernsteste Mahnung richtet.




Korrespondenzen.
Aus Konstantinopel,

— Wie Sie bereits aus directen Nach,
richten, die über Varna gegangen — und vielleicht eher wie wir hier — in
Erfahrung gebracht haben werde», hat das am 9. April begonnene Bombardement
gegen Sebastopvl, welches am 11. fortdauerte, bis jetzt keinen entscheidenden Erfolg
gehabt. Man darf mit Recht fragen : woran dieser neue Versuch scheiterte? Wenn
aus so weiter Entfernung wie die Stambuls von der Krim und ohne Kenntniß
der Oertlichkeit und der übrigen Verhältnisse aus eignem Augenschein ein Urtheil
(dem am ersteren Orte Weilenden) gestattet ist, so mochte ich sagen: es liegt die
Veranlassung des neuen Mißlingens in der immer noch nicht ausreichenden Anzahl
von Geschützen, die man diesseits zur Verwendung gebracht. Es ist nicht anzu¬
nehmen, daß die russischen Kanoniere bedeutend schlechter wie die französischen und
englischen schießen. Wenn indeß ein solcher Unterschied nicht existirt, so kann selbst¬
redend die Hoffnung auf einen siegreichen Ausschlag seitens der Belagerungsartillerie
nur dann rcalistrt werden, wenn dieselbe über eine größere Anzahl von Geschützen
als die Vertheidigung zu disponiren hat. Aber leider ist dies letztere nicht nur
nicht der Fall, sondern es findet sogar das umgekehrte Verhältniß statt, dergestalt,
daß den 400 Geschützen, von denen diesseits das Feuer ausgeht, ans der andern
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Geschützrohren schwersten Kalibers und den dazu gehörigen Laffeten in den Arse¬
nälen von Woolwich sind, daß dort nach einer nichts weniger als unfnndirten
Annahme -16,000 Stück Kanonen gelagert sind, so muß man allerdings erstaunen,
daß England diese reichen und von denen keines andern Staates erreichten Mittel,
die außerdem aus das bequemste zur Hand liegen, um sofort eingeschifft zu wer¬
den, nicht auszubeuten verstanden hat, um auf einem Pnnkte, wo es nicht nur
sich um seine militärische Ehre allein, sondern muthmaßlich um seine Stellung
gegenüber von Europa handelt — um sich dort inmitten der schwankenden Chancen
des Krieges den Erfolg zu sichern. Selbst wenn man die Hilfsmittel, welche Kon¬
stantinopel, von andern Arsenälen des türkischen Reiches nicht zu reden, bot, richtig
genutzt und richtig zur Verwendung gebracht hätte, würde man eine russische Ueber-
legenheit in Hinsicht auf die in den Belagerungskämpfen entscheidende Waffe nicht
zu fürchten gehabt haben.

Neben dem großen Fehler, dessen man sich in Hinsicht auf die Saumsal beim
Hcranschaffen einer ausreichenden Gcscbützmassc zu Schulden kommen ließ, steht
ein andrer, welcher die Wahl der zur Verwendung gebrachten Geschützgattuug an¬
geht. In dieser Hinsicht machte ich schon darauf aufmerksam, daß die Verbün¬
deten eine überraschend geringfügige Anzahl von Mörsern zur Stelle schafften.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99385/237>, abgerufen am 06.05.2024.