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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Lebens Gelegenheit gehabt, mit den bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen
Literatur auf eine vertraute Weise bekannt zu werden und seine Denkwürdig¬
keiten bieten daher viel interessantes Material, Er wurde in der Stuttgarter
Karlsakademie erzogen bis 1793, studirte dann in Göttingen und machte in
den Jahren 1793--97 eine Neise durch Italien. Nach seiner Rückkehr lernte
er Schelling, Jacobi, Stolberg kennen und wurde auch mit den norddeutschen
Kreisen, auf deren Wichtigkeit wir vor kurzem aufmerksam gemacht haben, mit
Berger, Rist u, s. w. vertraut. Abgesehen von der Einsicht in die literarischen
Zustände, die wir aus diesen Denkwürdigkeiten gewinnen, werden uns auch
einzelne Aufschlüsse über die politischen Beziehungen Deutschlands zu Däne¬
mark zu Theil. Etwas Weitschweifigkeit wird man dem allen Herrn, der sich
um die Medicin und Naturwissenschaft große Verdienste erworben hat, gern
nachsehen. --


Geschichte des Volkes Israel von Vollendung des zweiten Tempels bis zur
Einsetzung des Mackabaers Schimon zum hohen Priester und Fürsten. Von
Ur. L. Herzfeld, braunschweigischen Landcsrabbiner. Erster Band. Nord¬
hausen, Büchting. --

Der Versasser erzählt die Geschichte seines Volks aus einer sehr dunkeln
Periode mit einer Genauigkeit, die fast ängstlich zu nennen ist und die eine
sehr dankenswerthe kritische Grundlage bilden würde, wenn wir nur mit der
Methode der Kritik überall einverstanden sein könnten. Das ist aber keines¬
wegs der Fall. Am lebhaftesten wird man das Ungenügende derselben em¬
pfinden, wenn man die ziemlich ausführliche Kritik über das Buch Esther, welche
an den Schluß dieses Bandes gestellt ist, ins Auge faßt. Der Verfasser findet
selbst bei der Betrachtung der Geschichte, daß sie an vielfachen innern Unwahr-
scheinlichkeiten leivet und sich selbst häufig widerspricht. Er findet ferner, in¬
dem er die Localität und das Costüm, in weiches sie verlegt ist, ins Auge
saßt, daß sie gegen alle Voraussetzungen der wirklichen Geschichte streitet, kurz,
daß die ganze Erzählung einen sagenhaften, oder bestimmter ausgedrückt, da
die Absicht und Reflexion zu deutlich hervortritt, einen romanhaften Charakter
an sich trägt. Nun ist es immer möglich, daß solchen Romanen irgendein
historischer Zug zu Grunde liegt, aber wenn gar kein positiver Halt vorliegt,
an dem man diese Begebenheit in die wirkliche Geschichte einreihen kann, so
pflegt doch sonst der Geschichtschreiber sich damit zu begnügen, daß er er¬
klärt, er wisse den Zusammenhang nicht. Herr Herzfeld aber, in der Ueber¬
zeugung, der Sage müsse ein bestimmtes historisches Factum zu Grunde liegen,
und zwar müsse dasselbe am persischen Hofe stattgefunden haben, geht die Reihe
der persischen Könige durch und sucht denjenigen auf, dessen uns bekanntes
Leben am wenigsten den Voraussetzungen des Buchs Esther widerspricht. Als


Lebens Gelegenheit gehabt, mit den bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen
Literatur auf eine vertraute Weise bekannt zu werden und seine Denkwürdig¬
keiten bieten daher viel interessantes Material, Er wurde in der Stuttgarter
Karlsakademie erzogen bis 1793, studirte dann in Göttingen und machte in
den Jahren 1793—97 eine Neise durch Italien. Nach seiner Rückkehr lernte
er Schelling, Jacobi, Stolberg kennen und wurde auch mit den norddeutschen
Kreisen, auf deren Wichtigkeit wir vor kurzem aufmerksam gemacht haben, mit
Berger, Rist u, s. w. vertraut. Abgesehen von der Einsicht in die literarischen
Zustände, die wir aus diesen Denkwürdigkeiten gewinnen, werden uns auch
einzelne Aufschlüsse über die politischen Beziehungen Deutschlands zu Däne¬
mark zu Theil. Etwas Weitschweifigkeit wird man dem allen Herrn, der sich
um die Medicin und Naturwissenschaft große Verdienste erworben hat, gern
nachsehen. —


Geschichte des Volkes Israel von Vollendung des zweiten Tempels bis zur
Einsetzung des Mackabaers Schimon zum hohen Priester und Fürsten. Von
Ur. L. Herzfeld, braunschweigischen Landcsrabbiner. Erster Band. Nord¬
hausen, Büchting. —

Der Versasser erzählt die Geschichte seines Volks aus einer sehr dunkeln
Periode mit einer Genauigkeit, die fast ängstlich zu nennen ist und die eine
sehr dankenswerthe kritische Grundlage bilden würde, wenn wir nur mit der
Methode der Kritik überall einverstanden sein könnten. Das ist aber keines¬
wegs der Fall. Am lebhaftesten wird man das Ungenügende derselben em¬
pfinden, wenn man die ziemlich ausführliche Kritik über das Buch Esther, welche
an den Schluß dieses Bandes gestellt ist, ins Auge faßt. Der Verfasser findet
selbst bei der Betrachtung der Geschichte, daß sie an vielfachen innern Unwahr-
scheinlichkeiten leivet und sich selbst häufig widerspricht. Er findet ferner, in¬
dem er die Localität und das Costüm, in weiches sie verlegt ist, ins Auge
saßt, daß sie gegen alle Voraussetzungen der wirklichen Geschichte streitet, kurz,
daß die ganze Erzählung einen sagenhaften, oder bestimmter ausgedrückt, da
die Absicht und Reflexion zu deutlich hervortritt, einen romanhaften Charakter
an sich trägt. Nun ist es immer möglich, daß solchen Romanen irgendein
historischer Zug zu Grunde liegt, aber wenn gar kein positiver Halt vorliegt,
an dem man diese Begebenheit in die wirkliche Geschichte einreihen kann, so
pflegt doch sonst der Geschichtschreiber sich damit zu begnügen, daß er er¬
klärt, er wisse den Zusammenhang nicht. Herr Herzfeld aber, in der Ueber¬
zeugung, der Sage müsse ein bestimmtes historisches Factum zu Grunde liegen,
und zwar müsse dasselbe am persischen Hofe stattgefunden haben, geht die Reihe
der persischen Könige durch und sucht denjenigen auf, dessen uns bekanntes
Leben am wenigsten den Voraussetzungen des Buchs Esther widerspricht. Als


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[0218] Lebens Gelegenheit gehabt, mit den bedeutendsten Persönlichkeiten der deutschen Literatur auf eine vertraute Weise bekannt zu werden und seine Denkwürdig¬ keiten bieten daher viel interessantes Material, Er wurde in der Stuttgarter Karlsakademie erzogen bis 1793, studirte dann in Göttingen und machte in den Jahren 1793—97 eine Neise durch Italien. Nach seiner Rückkehr lernte er Schelling, Jacobi, Stolberg kennen und wurde auch mit den norddeutschen Kreisen, auf deren Wichtigkeit wir vor kurzem aufmerksam gemacht haben, mit Berger, Rist u, s. w. vertraut. Abgesehen von der Einsicht in die literarischen Zustände, die wir aus diesen Denkwürdigkeiten gewinnen, werden uns auch einzelne Aufschlüsse über die politischen Beziehungen Deutschlands zu Däne¬ mark zu Theil. Etwas Weitschweifigkeit wird man dem allen Herrn, der sich um die Medicin und Naturwissenschaft große Verdienste erworben hat, gern nachsehen. — Geschichte des Volkes Israel von Vollendung des zweiten Tempels bis zur Einsetzung des Mackabaers Schimon zum hohen Priester und Fürsten. Von Ur. L. Herzfeld, braunschweigischen Landcsrabbiner. Erster Band. Nord¬ hausen, Büchting. — Der Versasser erzählt die Geschichte seines Volks aus einer sehr dunkeln Periode mit einer Genauigkeit, die fast ängstlich zu nennen ist und die eine sehr dankenswerthe kritische Grundlage bilden würde, wenn wir nur mit der Methode der Kritik überall einverstanden sein könnten. Das ist aber keines¬ wegs der Fall. Am lebhaftesten wird man das Ungenügende derselben em¬ pfinden, wenn man die ziemlich ausführliche Kritik über das Buch Esther, welche an den Schluß dieses Bandes gestellt ist, ins Auge faßt. Der Verfasser findet selbst bei der Betrachtung der Geschichte, daß sie an vielfachen innern Unwahr- scheinlichkeiten leivet und sich selbst häufig widerspricht. Er findet ferner, in¬ dem er die Localität und das Costüm, in weiches sie verlegt ist, ins Auge saßt, daß sie gegen alle Voraussetzungen der wirklichen Geschichte streitet, kurz, daß die ganze Erzählung einen sagenhaften, oder bestimmter ausgedrückt, da die Absicht und Reflexion zu deutlich hervortritt, einen romanhaften Charakter an sich trägt. Nun ist es immer möglich, daß solchen Romanen irgendein historischer Zug zu Grunde liegt, aber wenn gar kein positiver Halt vorliegt, an dem man diese Begebenheit in die wirkliche Geschichte einreihen kann, so pflegt doch sonst der Geschichtschreiber sich damit zu begnügen, daß er er¬ klärt, er wisse den Zusammenhang nicht. Herr Herzfeld aber, in der Ueber¬ zeugung, der Sage müsse ein bestimmtes historisches Factum zu Grunde liegen, und zwar müsse dasselbe am persischen Hofe stattgefunden haben, geht die Reihe der persischen Könige durch und sucht denjenigen auf, dessen uns bekanntes Leben am wenigsten den Voraussetzungen des Buchs Esther widerspricht. Als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/218>, abgerufen am 01.05.2024.