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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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eine Zeit, wo es keine Menschen, überhaupt kein organisches Leben auf der¬
selben gab. Wie nun aus diesem chaotischen Uebergangszustand organisches
Leben entstanden sei, darüber hat man allerlei sonderbare Hypothesen gewagt;
die einzig wahre Antwort der Wissenschaft kann aber nur die sein: ich weiß
es nicht. Herr Czolbe sucht nun diese Annahme, die, soviel uns bekannt ist,
von sämmtlichen Gelehrten getheilt wird, zu widerlegen und dagegen nachzu¬
weisen, daß die Erde in aller Ewigkeit ausgesehen habe wie heute, daß es
namentlich zu allen Zeiten lebende Wesen, zu allen Zeiten Menschen gegeben
habe. Er widerlegt die angeblichen Entdeckungen der Geologie auf ein paar
Seiten, hauptsächlich folgendermaßen: Es ist uns nur Europa, ein Theil von
Nordamerika, einige Küstenlinien der andern Welttheile und einige Inseln,
was einen verhältnißmäßig sehr kleinen Theil der Erde bildet, geognostisch
ziemlich genau bekannt, während nicht nur aller Meeresboden, der allein zwei
Drittheil der Erdoberfläche bildet, sondern auch das Innere der großen Conti¬
nente von Asten, Afrika, Südamerika, Neuholland und Grönland fast ganz un¬
bekannt sind. Aus dem Mangel menschlicher Ueberreste in jenem sehr kleinen
Theil der Erde den Mangel derselben in den ältern Schichten der ganzen
Erde zu folgern, dürfte also eine leichtsinnige Induction sein. Es wäre
ferner möglich, daß durch die vulkanischen Erscheinungen, sowie die voraus¬
gehenden neptunischen Erscheinungen alle Spuren organischer Reste fast ver¬
wischt sind. "Wenn aber in einem ewigen Kreislaufe aus den geschmolzenen
Mineralien die wässerigen Niederschläge und aus diesen wiederum geschmolzene
Massen entstehen, dürfte die Vorstellung, daß die Neste heutiger Organismen
und auch des Menschen in ihren Elementen Theile der uns bekannten pluto-
nischen Gesteine bilden, nicht ganz abzuweisen sein." -- Das sind nun aller¬
dings Deductionen, auf welche zu antworten nicht der Logik, sondern der
Geologie zukommt. Wie wir glauben, wird sie einige Oberflächlichkeit darin
entdecken. -- Das Buch, welches wir zunächst anführen, hat insofern eine
verwandte Richtung, als es auch den Gegensatz der naturwissenschaftlichen
Forschungen gegen die theologischen Vorstellungen hervorhebt; es ist jedoch für
ein anderes Publicum berechnet. ^


Kirchenglaube und Erfahrung. Ergebnisse der Alterthumskunde, der Sit¬
tengeschichte, der Astronomie, Geologie und Naturgeschichte. Stuttgart,
Göpel. --

Gewiß enthält der Kirchenglaube sehr vieles, was die Wissenschaft wider¬
legt, und es ist daher sehr zweckmäßig, auch dem größern Publicum gegenüber
stets von neuem daraus aufmerksam zu machen, da wissenschaftliche Untersuchun¬
gen leicht in Vergessenheit gerathen. Nur ist es im Interesse der guten Sache
wünschenswert!), daß in solchen Fällen der herausfordernde Ton vermieden


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eine Zeit, wo es keine Menschen, überhaupt kein organisches Leben auf der¬
selben gab. Wie nun aus diesem chaotischen Uebergangszustand organisches
Leben entstanden sei, darüber hat man allerlei sonderbare Hypothesen gewagt;
die einzig wahre Antwort der Wissenschaft kann aber nur die sein: ich weiß
es nicht. Herr Czolbe sucht nun diese Annahme, die, soviel uns bekannt ist,
von sämmtlichen Gelehrten getheilt wird, zu widerlegen und dagegen nachzu¬
weisen, daß die Erde in aller Ewigkeit ausgesehen habe wie heute, daß es
namentlich zu allen Zeiten lebende Wesen, zu allen Zeiten Menschen gegeben
habe. Er widerlegt die angeblichen Entdeckungen der Geologie auf ein paar
Seiten, hauptsächlich folgendermaßen: Es ist uns nur Europa, ein Theil von
Nordamerika, einige Küstenlinien der andern Welttheile und einige Inseln,
was einen verhältnißmäßig sehr kleinen Theil der Erde bildet, geognostisch
ziemlich genau bekannt, während nicht nur aller Meeresboden, der allein zwei
Drittheil der Erdoberfläche bildet, sondern auch das Innere der großen Conti¬
nente von Asten, Afrika, Südamerika, Neuholland und Grönland fast ganz un¬
bekannt sind. Aus dem Mangel menschlicher Ueberreste in jenem sehr kleinen
Theil der Erde den Mangel derselben in den ältern Schichten der ganzen
Erde zu folgern, dürfte also eine leichtsinnige Induction sein. Es wäre
ferner möglich, daß durch die vulkanischen Erscheinungen, sowie die voraus¬
gehenden neptunischen Erscheinungen alle Spuren organischer Reste fast ver¬
wischt sind. „Wenn aber in einem ewigen Kreislaufe aus den geschmolzenen
Mineralien die wässerigen Niederschläge und aus diesen wiederum geschmolzene
Massen entstehen, dürfte die Vorstellung, daß die Neste heutiger Organismen
und auch des Menschen in ihren Elementen Theile der uns bekannten pluto-
nischen Gesteine bilden, nicht ganz abzuweisen sein." — Das sind nun aller¬
dings Deductionen, auf welche zu antworten nicht der Logik, sondern der
Geologie zukommt. Wie wir glauben, wird sie einige Oberflächlichkeit darin
entdecken. — Das Buch, welches wir zunächst anführen, hat insofern eine
verwandte Richtung, als es auch den Gegensatz der naturwissenschaftlichen
Forschungen gegen die theologischen Vorstellungen hervorhebt; es ist jedoch für
ein anderes Publicum berechnet. ^


Kirchenglaube und Erfahrung. Ergebnisse der Alterthumskunde, der Sit¬
tengeschichte, der Astronomie, Geologie und Naturgeschichte. Stuttgart,
Göpel. —

Gewiß enthält der Kirchenglaube sehr vieles, was die Wissenschaft wider¬
legt, und es ist daher sehr zweckmäßig, auch dem größern Publicum gegenüber
stets von neuem daraus aufmerksam zu machen, da wissenschaftliche Untersuchun¬
gen leicht in Vergessenheit gerathen. Nur ist es im Interesse der guten Sache
wünschenswert!), daß in solchen Fällen der herausfordernde Ton vermieden


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[0371] eine Zeit, wo es keine Menschen, überhaupt kein organisches Leben auf der¬ selben gab. Wie nun aus diesem chaotischen Uebergangszustand organisches Leben entstanden sei, darüber hat man allerlei sonderbare Hypothesen gewagt; die einzig wahre Antwort der Wissenschaft kann aber nur die sein: ich weiß es nicht. Herr Czolbe sucht nun diese Annahme, die, soviel uns bekannt ist, von sämmtlichen Gelehrten getheilt wird, zu widerlegen und dagegen nachzu¬ weisen, daß die Erde in aller Ewigkeit ausgesehen habe wie heute, daß es namentlich zu allen Zeiten lebende Wesen, zu allen Zeiten Menschen gegeben habe. Er widerlegt die angeblichen Entdeckungen der Geologie auf ein paar Seiten, hauptsächlich folgendermaßen: Es ist uns nur Europa, ein Theil von Nordamerika, einige Küstenlinien der andern Welttheile und einige Inseln, was einen verhältnißmäßig sehr kleinen Theil der Erde bildet, geognostisch ziemlich genau bekannt, während nicht nur aller Meeresboden, der allein zwei Drittheil der Erdoberfläche bildet, sondern auch das Innere der großen Conti¬ nente von Asten, Afrika, Südamerika, Neuholland und Grönland fast ganz un¬ bekannt sind. Aus dem Mangel menschlicher Ueberreste in jenem sehr kleinen Theil der Erde den Mangel derselben in den ältern Schichten der ganzen Erde zu folgern, dürfte also eine leichtsinnige Induction sein. Es wäre ferner möglich, daß durch die vulkanischen Erscheinungen, sowie die voraus¬ gehenden neptunischen Erscheinungen alle Spuren organischer Reste fast ver¬ wischt sind. „Wenn aber in einem ewigen Kreislaufe aus den geschmolzenen Mineralien die wässerigen Niederschläge und aus diesen wiederum geschmolzene Massen entstehen, dürfte die Vorstellung, daß die Neste heutiger Organismen und auch des Menschen in ihren Elementen Theile der uns bekannten pluto- nischen Gesteine bilden, nicht ganz abzuweisen sein." — Das sind nun aller¬ dings Deductionen, auf welche zu antworten nicht der Logik, sondern der Geologie zukommt. Wie wir glauben, wird sie einige Oberflächlichkeit darin entdecken. — Das Buch, welches wir zunächst anführen, hat insofern eine verwandte Richtung, als es auch den Gegensatz der naturwissenschaftlichen Forschungen gegen die theologischen Vorstellungen hervorhebt; es ist jedoch für ein anderes Publicum berechnet. ^ Kirchenglaube und Erfahrung. Ergebnisse der Alterthumskunde, der Sit¬ tengeschichte, der Astronomie, Geologie und Naturgeschichte. Stuttgart, Göpel. — Gewiß enthält der Kirchenglaube sehr vieles, was die Wissenschaft wider¬ legt, und es ist daher sehr zweckmäßig, auch dem größern Publicum gegenüber stets von neuem daraus aufmerksam zu machen, da wissenschaftliche Untersuchun¬ gen leicht in Vergessenheit gerathen. Nur ist es im Interesse der guten Sache wünschenswert!), daß in solchen Fällen der herausfordernde Ton vermieden 46*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/371>, abgerufen am 01.05.2024.