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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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den Adel ging in den Zeiten der Aufregung zu weit, denn man wollte ideelle
Güter zerstören, die sich auf materielle Weise nicht zerstören lassen; man ver¬
kannte ferner die Vorzüge des Adels im Staatsleben, die darin bestehen, daß
neben dem Interesse auch der Begriff der Ehre festgehalten wird. Seine volle
ideelle Geltung soll also der Adel behalten, aber der herrschende Stand darf
er nicht wieder werden. In der Wirklichkeit ists auch unmöglich, da gegen
die Natur der Dinge auf die Länge keine Partei und keine Doctrin aufkommt.
Aber auch die Versuche können verhängnißvoll werden, und diese Versuche
rechtzeitig abzuwenden, ist die Aufgabe der konservativen Opposition. Dem
Adel soll es unverwehrt sein, seine Interessen und Ideen innerhalb der be¬
stehenden Verhältnisse geltend zu machen, aber die Mittel dazu muß er inner¬
halb der bürgerlichen Bedingungen suchen, weil sie die allein realen sind.
Jeder einsichtsvolle Edelmann wird darin auf Seite des Bürgerthums stehen,
weil er begreift, daß gewaltsam gesteigerte Ansprüche, wo doch die Kraft aus
die Dauer nicht ausreicht, zu den allergefährlichsten Rückschlägen führen müssen.




Zur Geschichte der preußischen, östreichischen und deutschen
Politik.")
i.
1795--1797.Z

Mit dem Feinde des deutschen Reiches, mit der Republik Frankreich,
schloß Preußen 1793 den Separatfrieden von Basel. Es wurde eine Demar-
cationslinie gezogen und Preußen verbürgte sich für die strenge Neutralität der
innerhalb der Linie gelegenen Regierungen. Oestreich dagegen schloß mit Eng¬
land ein neues Schutz- und Trutzbündniß, dem beizutreten auch Rußland ein¬
geladen wurde, um zur Herstellung und Erhaltung des Friedens in Europa
eine Tripelallianz zu gründen. Deutschland war somit in ein östreichisches und
preußisches Lager getheilt.

Ein solches Ende nahm die östreichisch-preußische Coalition. Dieser Bund,
der einen Kreuzzug für Thron und Altar angekündigt hatte, war in einen selbst¬
süchtigen Kampf um Sonderinteressen umgeschlagen. Weder die östreichische
noch die preußische Politik hatten irgendein Verständniß für die Zeit und für
ihre eigne Aufgabe. Der östreichische Minister, Graf Thugut, ohne Glauben
an eine sittliche Weltordnung, ohne Achtung und Vertrauen für die Menschen,



-) L. Hauffer. Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des
deutschen Bundes. Zweiter Theil. Berlin. -I8so.

den Adel ging in den Zeiten der Aufregung zu weit, denn man wollte ideelle
Güter zerstören, die sich auf materielle Weise nicht zerstören lassen; man ver¬
kannte ferner die Vorzüge des Adels im Staatsleben, die darin bestehen, daß
neben dem Interesse auch der Begriff der Ehre festgehalten wird. Seine volle
ideelle Geltung soll also der Adel behalten, aber der herrschende Stand darf
er nicht wieder werden. In der Wirklichkeit ists auch unmöglich, da gegen
die Natur der Dinge auf die Länge keine Partei und keine Doctrin aufkommt.
Aber auch die Versuche können verhängnißvoll werden, und diese Versuche
rechtzeitig abzuwenden, ist die Aufgabe der konservativen Opposition. Dem
Adel soll es unverwehrt sein, seine Interessen und Ideen innerhalb der be¬
stehenden Verhältnisse geltend zu machen, aber die Mittel dazu muß er inner¬
halb der bürgerlichen Bedingungen suchen, weil sie die allein realen sind.
Jeder einsichtsvolle Edelmann wird darin auf Seite des Bürgerthums stehen,
weil er begreift, daß gewaltsam gesteigerte Ansprüche, wo doch die Kraft aus
die Dauer nicht ausreicht, zu den allergefährlichsten Rückschlägen führen müssen.




Zur Geschichte der preußischen, östreichischen und deutschen
Politik.»)
i.
1795—1797.Z

Mit dem Feinde des deutschen Reiches, mit der Republik Frankreich,
schloß Preußen 1793 den Separatfrieden von Basel. Es wurde eine Demar-
cationslinie gezogen und Preußen verbürgte sich für die strenge Neutralität der
innerhalb der Linie gelegenen Regierungen. Oestreich dagegen schloß mit Eng¬
land ein neues Schutz- und Trutzbündniß, dem beizutreten auch Rußland ein¬
geladen wurde, um zur Herstellung und Erhaltung des Friedens in Europa
eine Tripelallianz zu gründen. Deutschland war somit in ein östreichisches und
preußisches Lager getheilt.

Ein solches Ende nahm die östreichisch-preußische Coalition. Dieser Bund,
der einen Kreuzzug für Thron und Altar angekündigt hatte, war in einen selbst¬
süchtigen Kampf um Sonderinteressen umgeschlagen. Weder die östreichische
noch die preußische Politik hatten irgendein Verständniß für die Zeit und für
ihre eigne Aufgabe. Der östreichische Minister, Graf Thugut, ohne Glauben
an eine sittliche Weltordnung, ohne Achtung und Vertrauen für die Menschen,



-) L. Hauffer. Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des
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[0412] den Adel ging in den Zeiten der Aufregung zu weit, denn man wollte ideelle Güter zerstören, die sich auf materielle Weise nicht zerstören lassen; man ver¬ kannte ferner die Vorzüge des Adels im Staatsleben, die darin bestehen, daß neben dem Interesse auch der Begriff der Ehre festgehalten wird. Seine volle ideelle Geltung soll also der Adel behalten, aber der herrschende Stand darf er nicht wieder werden. In der Wirklichkeit ists auch unmöglich, da gegen die Natur der Dinge auf die Länge keine Partei und keine Doctrin aufkommt. Aber auch die Versuche können verhängnißvoll werden, und diese Versuche rechtzeitig abzuwenden, ist die Aufgabe der konservativen Opposition. Dem Adel soll es unverwehrt sein, seine Interessen und Ideen innerhalb der be¬ stehenden Verhältnisse geltend zu machen, aber die Mittel dazu muß er inner¬ halb der bürgerlichen Bedingungen suchen, weil sie die allein realen sind. Jeder einsichtsvolle Edelmann wird darin auf Seite des Bürgerthums stehen, weil er begreift, daß gewaltsam gesteigerte Ansprüche, wo doch die Kraft aus die Dauer nicht ausreicht, zu den allergefährlichsten Rückschlägen führen müssen. Zur Geschichte der preußischen, östreichischen und deutschen Politik.») i. 1795—1797.Z Mit dem Feinde des deutschen Reiches, mit der Republik Frankreich, schloß Preußen 1793 den Separatfrieden von Basel. Es wurde eine Demar- cationslinie gezogen und Preußen verbürgte sich für die strenge Neutralität der innerhalb der Linie gelegenen Regierungen. Oestreich dagegen schloß mit Eng¬ land ein neues Schutz- und Trutzbündniß, dem beizutreten auch Rußland ein¬ geladen wurde, um zur Herstellung und Erhaltung des Friedens in Europa eine Tripelallianz zu gründen. Deutschland war somit in ein östreichisches und preußisches Lager getheilt. Ein solches Ende nahm die östreichisch-preußische Coalition. Dieser Bund, der einen Kreuzzug für Thron und Altar angekündigt hatte, war in einen selbst¬ süchtigen Kampf um Sonderinteressen umgeschlagen. Weder die östreichische noch die preußische Politik hatten irgendein Verständniß für die Zeit und für ihre eigne Aufgabe. Der östreichische Minister, Graf Thugut, ohne Glauben an eine sittliche Weltordnung, ohne Achtung und Vertrauen für die Menschen, -) L. Hauffer. Deutsche Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes. Zweiter Theil. Berlin. -I8so.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/412>, abgerufen am 01.05.2024.