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Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band.

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Gerard, der Löwenjäger.

In Europa sind die Zeiten vorbei, wo die Bezwinger gefährlicher wilder
Thiere unter die Heroen und Heiligen versetzt wurden, und die Verehrung
ganzer dankbarer Völkerschaften genossen. In andern Welttheilen finden solche
gewaltige Nimrods, welche die Jagdfreude nach Art der mittelalterlichen und
vormittelalterlichen Waidmänner mit dem Reiz beständiger Todesgefahr zu ver¬
einigen lieben, eher einen Schauplatz für ihre Thätigkeit. So erinnern wir uns
vor mehren Jahren die Erlebnisse und Abenteuer eines Engländers gelesen zu
haben, der sich in Ostindien der Tigerjagd widmete und dadurch ein wahrer
Wohlthäter der Eingebornen wurde. Ganz das gleiche Verdienst wird dem
Lieutenant Gerard in den französischen Spahis in Algerien nachgerühmt,
dessen Heldenthaten gegen den herdenverwüstenden König der Thiere ein
stehendes Thema in den französischen Zeitungen bilden, und der jetzt eine
Auswahl seiner Jagdabenteuer und seiner Erfahrungen über den Löwen und
dessen Lebensweise in schlichterzählender Form in einem Werkchen zusammen¬
gestellt hat, dessen sehr gelungene deutsche Uebersetzung als eins der Lorckschen
Eisenbahnbücher unter dem Titel: "Jules Gerard, der Löwenjäger, deutsch
von I>r. A. Dietzmann" vor uns liegt. Wir können uns das Vergnügen nicht
versagen, das in dem Büchelchen, dessen Lectüre wir nicht nur dem Jagdlieb¬
haber, sondern jedem, der gern von Gefahr und Abenteuern liest, angelegentlichst
empfehlen, dargebotene reiche Material zu einer Darstellung des Löwen und
der Löwenjagd im nördlichen Afrika zu benutzen.

Der Löwe ist seinem heldenmäßigen Charakter entsprechend ritterlich
galant und die Löwin, wie sich bei ihrer Verwandtschaft mit dem Katzengeschlecht
erwarten läßt, eine Kokette ersten Ranges, die nicht blos Herzen, sondern auch
Knochen bricht. Da bei dem Zahnen die Sterblichkeit unter den Löwinnen
sehr groß ist, so ist die Zahl der Löwen bei weitem größer und eine Schöne
ist deshalb ein sehr gesuchter Artikel. Häufig wird die Löwin während der
Brunstzeit von drei ober vier Löwen begleitet, die alle um ihre Gunst werben
und sich beständig untereinander raufen. Sind sie zu gleich an Kräften, so
behält keiner die Oberhand und die Löwin, ungeduldig, daß es solange unent¬
schieden bleibt, wer zuletzt ihr Liebhaber bleiben soll, lockt alsdann einen
ältern kräftigen Löwen herbei, der unter den jüngern rasch aufräumt, den einen
mit einem Bisse erwürgt, dem zweiten ein Bein zermalmt und den dritten dann
vielleicht mit Verlust eines Auges in die Flucht jagt. Alsdann streckt sich der
Sieger demüthig bei der Löwin aus, die ihm als erstes Pfand ihrer Zuneigung
mit schmeichelnden Blicken die Wunden leckt, die er im Kampf um sie erhalten
hat. Manchmal freilich fällt der Wettkampf weit tragischer aus, ohne daß sich


Gerard, der Löwenjäger.

In Europa sind die Zeiten vorbei, wo die Bezwinger gefährlicher wilder
Thiere unter die Heroen und Heiligen versetzt wurden, und die Verehrung
ganzer dankbarer Völkerschaften genossen. In andern Welttheilen finden solche
gewaltige Nimrods, welche die Jagdfreude nach Art der mittelalterlichen und
vormittelalterlichen Waidmänner mit dem Reiz beständiger Todesgefahr zu ver¬
einigen lieben, eher einen Schauplatz für ihre Thätigkeit. So erinnern wir uns
vor mehren Jahren die Erlebnisse und Abenteuer eines Engländers gelesen zu
haben, der sich in Ostindien der Tigerjagd widmete und dadurch ein wahrer
Wohlthäter der Eingebornen wurde. Ganz das gleiche Verdienst wird dem
Lieutenant Gerard in den französischen Spahis in Algerien nachgerühmt,
dessen Heldenthaten gegen den herdenverwüstenden König der Thiere ein
stehendes Thema in den französischen Zeitungen bilden, und der jetzt eine
Auswahl seiner Jagdabenteuer und seiner Erfahrungen über den Löwen und
dessen Lebensweise in schlichterzählender Form in einem Werkchen zusammen¬
gestellt hat, dessen sehr gelungene deutsche Uebersetzung als eins der Lorckschen
Eisenbahnbücher unter dem Titel: „Jules Gerard, der Löwenjäger, deutsch
von I>r. A. Dietzmann" vor uns liegt. Wir können uns das Vergnügen nicht
versagen, das in dem Büchelchen, dessen Lectüre wir nicht nur dem Jagdlieb¬
haber, sondern jedem, der gern von Gefahr und Abenteuern liest, angelegentlichst
empfehlen, dargebotene reiche Material zu einer Darstellung des Löwen und
der Löwenjagd im nördlichen Afrika zu benutzen.

Der Löwe ist seinem heldenmäßigen Charakter entsprechend ritterlich
galant und die Löwin, wie sich bei ihrer Verwandtschaft mit dem Katzengeschlecht
erwarten läßt, eine Kokette ersten Ranges, die nicht blos Herzen, sondern auch
Knochen bricht. Da bei dem Zahnen die Sterblichkeit unter den Löwinnen
sehr groß ist, so ist die Zahl der Löwen bei weitem größer und eine Schöne
ist deshalb ein sehr gesuchter Artikel. Häufig wird die Löwin während der
Brunstzeit von drei ober vier Löwen begleitet, die alle um ihre Gunst werben
und sich beständig untereinander raufen. Sind sie zu gleich an Kräften, so
behält keiner die Oberhand und die Löwin, ungeduldig, daß es solange unent¬
schieden bleibt, wer zuletzt ihr Liebhaber bleiben soll, lockt alsdann einen
ältern kräftigen Löwen herbei, der unter den jüngern rasch aufräumt, den einen
mit einem Bisse erwürgt, dem zweiten ein Bein zermalmt und den dritten dann
vielleicht mit Verlust eines Auges in die Flucht jagt. Alsdann streckt sich der
Sieger demüthig bei der Löwin aus, die ihm als erstes Pfand ihrer Zuneigung
mit schmeichelnden Blicken die Wunden leckt, die er im Kampf um sie erhalten
hat. Manchmal freilich fällt der Wettkampf weit tragischer aus, ohne daß sich


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[0420] Gerard, der Löwenjäger. In Europa sind die Zeiten vorbei, wo die Bezwinger gefährlicher wilder Thiere unter die Heroen und Heiligen versetzt wurden, und die Verehrung ganzer dankbarer Völkerschaften genossen. In andern Welttheilen finden solche gewaltige Nimrods, welche die Jagdfreude nach Art der mittelalterlichen und vormittelalterlichen Waidmänner mit dem Reiz beständiger Todesgefahr zu ver¬ einigen lieben, eher einen Schauplatz für ihre Thätigkeit. So erinnern wir uns vor mehren Jahren die Erlebnisse und Abenteuer eines Engländers gelesen zu haben, der sich in Ostindien der Tigerjagd widmete und dadurch ein wahrer Wohlthäter der Eingebornen wurde. Ganz das gleiche Verdienst wird dem Lieutenant Gerard in den französischen Spahis in Algerien nachgerühmt, dessen Heldenthaten gegen den herdenverwüstenden König der Thiere ein stehendes Thema in den französischen Zeitungen bilden, und der jetzt eine Auswahl seiner Jagdabenteuer und seiner Erfahrungen über den Löwen und dessen Lebensweise in schlichterzählender Form in einem Werkchen zusammen¬ gestellt hat, dessen sehr gelungene deutsche Uebersetzung als eins der Lorckschen Eisenbahnbücher unter dem Titel: „Jules Gerard, der Löwenjäger, deutsch von I>r. A. Dietzmann" vor uns liegt. Wir können uns das Vergnügen nicht versagen, das in dem Büchelchen, dessen Lectüre wir nicht nur dem Jagdlieb¬ haber, sondern jedem, der gern von Gefahr und Abenteuern liest, angelegentlichst empfehlen, dargebotene reiche Material zu einer Darstellung des Löwen und der Löwenjagd im nördlichen Afrika zu benutzen. Der Löwe ist seinem heldenmäßigen Charakter entsprechend ritterlich galant und die Löwin, wie sich bei ihrer Verwandtschaft mit dem Katzengeschlecht erwarten läßt, eine Kokette ersten Ranges, die nicht blos Herzen, sondern auch Knochen bricht. Da bei dem Zahnen die Sterblichkeit unter den Löwinnen sehr groß ist, so ist die Zahl der Löwen bei weitem größer und eine Schöne ist deshalb ein sehr gesuchter Artikel. Häufig wird die Löwin während der Brunstzeit von drei ober vier Löwen begleitet, die alle um ihre Gunst werben und sich beständig untereinander raufen. Sind sie zu gleich an Kräften, so behält keiner die Oberhand und die Löwin, ungeduldig, daß es solange unent¬ schieden bleibt, wer zuletzt ihr Liebhaber bleiben soll, lockt alsdann einen ältern kräftigen Löwen herbei, der unter den jüngern rasch aufräumt, den einen mit einem Bisse erwürgt, dem zweiten ein Bein zermalmt und den dritten dann vielleicht mit Verlust eines Auges in die Flucht jagt. Alsdann streckt sich der Sieger demüthig bei der Löwin aus, die ihm als erstes Pfand ihrer Zuneigung mit schmeichelnden Blicken die Wunden leckt, die er im Kampf um sie erhalten hat. Manchmal freilich fällt der Wettkampf weit tragischer aus, ohne daß sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 14, 1855, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341580_99919/420>, abgerufen am 01.05.2024.