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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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gemäßigter Liberalen, honnetter und unabhängiger Liberalen, womit
sie das Wörterbuch der Organe der klerikalen Presse beehrt hatte, beibehalten
zu können. Sie haben sich getäuscht. Heute stehen sie allein, isolirt; fünf
oder sechs sind es; die einen haben Stellen erhallen, die andern warten noch
darauf. Noch kurz vor der Abstimmung erweckten sie, von der Txibüne herab,
Neue und Leid, kamen um Gnade flehen für ihre politischen Sünden von so
vielen Jahren. Es war ein klägliches Schauspiel. Und als Antwort erhebt
sich die mächtige Stimme der Linken, mit dem Nachdruck der Einstimmigkeit,
um ihnen zu sagen: "Ihr gebs't nicht mehr zu uns, Ihr seid Ueberläufer!"
Keine Fraction der Linken war es, die so energisch gegen die Deserteure auf¬
stand; nein, alle, zu welcher Schattirung sie auch gehörten, alle, selbst die¬
jenigen, welche in den letzten Debatten den Wunsch nach Versöhnung am wei¬
testen getrieben, alle vereinigten sich unter der noch stolz flatternden Fahne der
politischen Moralität, des politischen Bewußtseins, um öffentlich zu erklären,
daß sie keine Apostaten sein wollen. Die Klerikalen glaubten, die politische
Moralität sei vorläufig verschwunden aus dem Lande; sie täuschten sich. In
der Kammer der Repräsentanten ist die Macht und die Kraft einer Opposition
lebendig, die den von der Reaction hingeworfenen Handschuh aufhebt, und
laut proclamirt, daß sie den Principien, den Traditionen, den Interessen des
Liberalismus getreu bleibt." Und nnn wollen wir abwarten, ob das Mini¬
sterium, mit seiner zweideutigen Majorität von fünf Stimmen, den Versuch
noch wagen wird, die Pläne seiner Partei zur Ausführung zu bringen.




Das neutrale Deutschland.

, Als im Jahre 1848 die schleöwigcholstcinischc Frage in der französischen
Nationalversammlung verhandelt wurde, brachte der General Cavaignac eine
Landkarte zur Sprache, die man ihm gezeigt habe und auf der Elsaß und
Loilmugen zu Deutschland gezogen seien. Dieselbe sei vor kurzem in Deutsch¬
land erschienen und zeige von einem Eroberungstriebe der Deutschen, der unter
dem Vorwande der Nationalität sich jetzt gegen Dänemark wende und vielleicht
später gegen Frankreich sich wende" werde.

Man hatte den General Cavaignac hintergangen. Man hatte ihm eine
im Jahre -1848 erschienene Sprachkarre gezeigt und ihn glauben gemacht, daß
dieselbe eine zukünftige polnische Grenze angebe. Auf einer Sprachkarte ge¬
hört der Elsaß und der größte Theil Lothringens zum deutschen Sprachgebiet,
wie ein Theil Belgiens und Savoyens zum französischen.

Anders ist es aber mit einem "^Aas special 6s la xeo-
ssiapiiis pnz?sique,
poliUciue et disloriciue nie Ihr t'runee (liesse eonkormewent, aux nouveaux


gemäßigter Liberalen, honnetter und unabhängiger Liberalen, womit
sie das Wörterbuch der Organe der klerikalen Presse beehrt hatte, beibehalten
zu können. Sie haben sich getäuscht. Heute stehen sie allein, isolirt; fünf
oder sechs sind es; die einen haben Stellen erhallen, die andern warten noch
darauf. Noch kurz vor der Abstimmung erweckten sie, von der Txibüne herab,
Neue und Leid, kamen um Gnade flehen für ihre politischen Sünden von so
vielen Jahren. Es war ein klägliches Schauspiel. Und als Antwort erhebt
sich die mächtige Stimme der Linken, mit dem Nachdruck der Einstimmigkeit,
um ihnen zu sagen: „Ihr gebs't nicht mehr zu uns, Ihr seid Ueberläufer!"
Keine Fraction der Linken war es, die so energisch gegen die Deserteure auf¬
stand; nein, alle, zu welcher Schattirung sie auch gehörten, alle, selbst die¬
jenigen, welche in den letzten Debatten den Wunsch nach Versöhnung am wei¬
testen getrieben, alle vereinigten sich unter der noch stolz flatternden Fahne der
politischen Moralität, des politischen Bewußtseins, um öffentlich zu erklären,
daß sie keine Apostaten sein wollen. Die Klerikalen glaubten, die politische
Moralität sei vorläufig verschwunden aus dem Lande; sie täuschten sich. In
der Kammer der Repräsentanten ist die Macht und die Kraft einer Opposition
lebendig, die den von der Reaction hingeworfenen Handschuh aufhebt, und
laut proclamirt, daß sie den Principien, den Traditionen, den Interessen des
Liberalismus getreu bleibt.» Und nnn wollen wir abwarten, ob das Mini¬
sterium, mit seiner zweideutigen Majorität von fünf Stimmen, den Versuch
noch wagen wird, die Pläne seiner Partei zur Ausführung zu bringen.




Das neutrale Deutschland.

, Als im Jahre 1848 die schleöwigcholstcinischc Frage in der französischen
Nationalversammlung verhandelt wurde, brachte der General Cavaignac eine
Landkarte zur Sprache, die man ihm gezeigt habe und auf der Elsaß und
Loilmugen zu Deutschland gezogen seien. Dieselbe sei vor kurzem in Deutsch¬
land erschienen und zeige von einem Eroberungstriebe der Deutschen, der unter
dem Vorwande der Nationalität sich jetzt gegen Dänemark wende und vielleicht
später gegen Frankreich sich wende» werde.

Man hatte den General Cavaignac hintergangen. Man hatte ihm eine
im Jahre -1848 erschienene Sprachkarre gezeigt und ihn glauben gemacht, daß
dieselbe eine zukünftige polnische Grenze angebe. Auf einer Sprachkarte ge¬
hört der Elsaß und der größte Theil Lothringens zum deutschen Sprachgebiet,
wie ein Theil Belgiens und Savoyens zum französischen.

Anders ist es aber mit einem „^Aas special 6s la xeo-
ssiapiiis pnz?sique,
poliUciue et disloriciue nie Ihr t'runee (liesse eonkormewent, aux nouveaux


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[0164] gemäßigter Liberalen, honnetter und unabhängiger Liberalen, womit sie das Wörterbuch der Organe der klerikalen Presse beehrt hatte, beibehalten zu können. Sie haben sich getäuscht. Heute stehen sie allein, isolirt; fünf oder sechs sind es; die einen haben Stellen erhallen, die andern warten noch darauf. Noch kurz vor der Abstimmung erweckten sie, von der Txibüne herab, Neue und Leid, kamen um Gnade flehen für ihre politischen Sünden von so vielen Jahren. Es war ein klägliches Schauspiel. Und als Antwort erhebt sich die mächtige Stimme der Linken, mit dem Nachdruck der Einstimmigkeit, um ihnen zu sagen: „Ihr gebs't nicht mehr zu uns, Ihr seid Ueberläufer!" Keine Fraction der Linken war es, die so energisch gegen die Deserteure auf¬ stand; nein, alle, zu welcher Schattirung sie auch gehörten, alle, selbst die¬ jenigen, welche in den letzten Debatten den Wunsch nach Versöhnung am wei¬ testen getrieben, alle vereinigten sich unter der noch stolz flatternden Fahne der politischen Moralität, des politischen Bewußtseins, um öffentlich zu erklären, daß sie keine Apostaten sein wollen. Die Klerikalen glaubten, die politische Moralität sei vorläufig verschwunden aus dem Lande; sie täuschten sich. In der Kammer der Repräsentanten ist die Macht und die Kraft einer Opposition lebendig, die den von der Reaction hingeworfenen Handschuh aufhebt, und laut proclamirt, daß sie den Principien, den Traditionen, den Interessen des Liberalismus getreu bleibt.» Und nnn wollen wir abwarten, ob das Mini¬ sterium, mit seiner zweideutigen Majorität von fünf Stimmen, den Versuch noch wagen wird, die Pläne seiner Partei zur Ausführung zu bringen. Das neutrale Deutschland. , Als im Jahre 1848 die schleöwigcholstcinischc Frage in der französischen Nationalversammlung verhandelt wurde, brachte der General Cavaignac eine Landkarte zur Sprache, die man ihm gezeigt habe und auf der Elsaß und Loilmugen zu Deutschland gezogen seien. Dieselbe sei vor kurzem in Deutsch¬ land erschienen und zeige von einem Eroberungstriebe der Deutschen, der unter dem Vorwande der Nationalität sich jetzt gegen Dänemark wende und vielleicht später gegen Frankreich sich wende» werde. Man hatte den General Cavaignac hintergangen. Man hatte ihm eine im Jahre -1848 erschienene Sprachkarre gezeigt und ihn glauben gemacht, daß dieselbe eine zukünftige polnische Grenze angebe. Auf einer Sprachkarte ge¬ hört der Elsaß und der größte Theil Lothringens zum deutschen Sprachgebiet, wie ein Theil Belgiens und Savoyens zum französischen. Anders ist es aber mit einem „^Aas special 6s la xeo- ssiapiiis pnz?sique, poliUciue et disloriciue nie Ihr t'runee (liesse eonkormewent, aux nouveaux

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/164>, abgerufen am 06.05.2024.