Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite
Die politische Situation.

Es hilft wenig, die Frage zu erörtern, ob die bevorstehenden Friedens¬
conferenzen zu einem Frieden führen werden oder nicht. Um dieselbe mit eini¬
ger Sicherheit beantworten zu können, müßte man nicht nur die finanziellen
und militärischen Verhältnisse der betheiligten Staaten und vorzüglich Ru߬
lands, sondern zugleich die Gedanken und Empfindungen ihrer Herrscher genau
kennen. Indeß lassen sich einige Seiten der bevorstehenden Friedcnsconferen-
zen doch auch schon jetzt einer Betrachtung unterwerfen.

Die Friedensconferenzen werden für Rußland nur eine natürliche Fort¬
setzung derjenigen diplomatischen Bestrebungen sein, die unausgesetzt den Krieg
begleitet haben. Rußland kämpft gegen eine Koalition. Sein beständiges Be¬
streben ging dahin, die Allianz von Frankreich und England zu sprengen, den
Hinzutritt Oestreichs zu dieser Allianz zu verhindern. Es nahm im Jahre
1864 die erste Formulirung der vier Punkte nur an, weil es sich Hoffnung
machte, daß sich bei der nähern Erörterung derselben ein Zwiespalt zwischen
Oestreich und seinen Decemberalliirten ergeben werde. Das Bestreben Ru߬
lands auf den vorjährigen Friedensconferenzen war, diesen Zwiespalt hervor-,
zubringen und zu constatiren. Es gelang ihm. Indeß der Feldzug des vori¬
gen Jahres, wenn auch für die Verbündeten an reellen Folgen arm, war für
Rußland an Verlusten reich. Die russische Armee ist schwerlich stark genug,
um einem östreichischen Jnvasionscvrps noch eine besondere Armee entgegen¬
setzen zu können. Eine Folge der Verwerfung der östreichischen Vorschläge
war unzweifelhaft, daß Oestreich aus der sonderbaren Rolle eines theoretischen
Alliirten von Frankreich und England in die eines praktischen übergegangen
wäre. Rußland nahm jene Vorschläge an, um diese Allianz zu verhindern.
Der Schluß scheint sehr gerechtfertigt, daß Rußlands ganzes Bestreben auf
den Friedensconferenzen dahin gehen wird, Interpretation der Präliminarien
auszustellen, für welche es die Zustimmung Oestreichs gewinnt.

Nußland darf sich auch dies Mal eine entfernte Hoffnung machen, basi es
ihm damit gelinge. Die Einigung zwischen Oestreich und den Westmächten ist
dies Mal freilich stärker, als im Jahre 1864, aber sie ist keineswegs vollkommen.
Auch dies Mal gibt es einen Punkt zwischen den drei Mächten, der nicht genau
festgesetzt ist. Es sind das die bekannten: ooiMUous parUouliörss. Diese
weitbauschige Generalclausel, sehr bestimmt formulirten Friedenspräliminarien an¬
gehängt , erklärt sich nur daraus', daß die darunter befaßten Bedingungen nicht
in die vier Punkte eingereiht werden können und daß Oestreich erklärte, an
den vier Punkten festhalten zu wollen. Als bei den Vorverhandlungen Frank-


Die politische Situation.

Es hilft wenig, die Frage zu erörtern, ob die bevorstehenden Friedens¬
conferenzen zu einem Frieden führen werden oder nicht. Um dieselbe mit eini¬
ger Sicherheit beantworten zu können, müßte man nicht nur die finanziellen
und militärischen Verhältnisse der betheiligten Staaten und vorzüglich Ru߬
lands, sondern zugleich die Gedanken und Empfindungen ihrer Herrscher genau
kennen. Indeß lassen sich einige Seiten der bevorstehenden Friedcnsconferen-
zen doch auch schon jetzt einer Betrachtung unterwerfen.

Die Friedensconferenzen werden für Rußland nur eine natürliche Fort¬
setzung derjenigen diplomatischen Bestrebungen sein, die unausgesetzt den Krieg
begleitet haben. Rußland kämpft gegen eine Koalition. Sein beständiges Be¬
streben ging dahin, die Allianz von Frankreich und England zu sprengen, den
Hinzutritt Oestreichs zu dieser Allianz zu verhindern. Es nahm im Jahre
1864 die erste Formulirung der vier Punkte nur an, weil es sich Hoffnung
machte, daß sich bei der nähern Erörterung derselben ein Zwiespalt zwischen
Oestreich und seinen Decemberalliirten ergeben werde. Das Bestreben Ru߬
lands auf den vorjährigen Friedensconferenzen war, diesen Zwiespalt hervor-,
zubringen und zu constatiren. Es gelang ihm. Indeß der Feldzug des vori¬
gen Jahres, wenn auch für die Verbündeten an reellen Folgen arm, war für
Rußland an Verlusten reich. Die russische Armee ist schwerlich stark genug,
um einem östreichischen Jnvasionscvrps noch eine besondere Armee entgegen¬
setzen zu können. Eine Folge der Verwerfung der östreichischen Vorschläge
war unzweifelhaft, daß Oestreich aus der sonderbaren Rolle eines theoretischen
Alliirten von Frankreich und England in die eines praktischen übergegangen
wäre. Rußland nahm jene Vorschläge an, um diese Allianz zu verhindern.
Der Schluß scheint sehr gerechtfertigt, daß Rußlands ganzes Bestreben auf
den Friedensconferenzen dahin gehen wird, Interpretation der Präliminarien
auszustellen, für welche es die Zustimmung Oestreichs gewinnt.

Nußland darf sich auch dies Mal eine entfernte Hoffnung machen, basi es
ihm damit gelinge. Die Einigung zwischen Oestreich und den Westmächten ist
dies Mal freilich stärker, als im Jahre 1864, aber sie ist keineswegs vollkommen.
Auch dies Mal gibt es einen Punkt zwischen den drei Mächten, der nicht genau
festgesetzt ist. Es sind das die bekannten: ooiMUous parUouliörss. Diese
weitbauschige Generalclausel, sehr bestimmt formulirten Friedenspräliminarien an¬
gehängt , erklärt sich nur daraus', daß die darunter befaßten Bedingungen nicht
in die vier Punkte eingereiht werden können und daß Oestreich erklärte, an
den vier Punkten festhalten zu wollen. Als bei den Vorverhandlungen Frank-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0242" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101235"/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die politische Situation.<lb/></head><lb/>
          <p xml:id="ID_720"> Es hilft wenig, die Frage zu erörtern, ob die bevorstehenden Friedens¬<lb/>
conferenzen zu einem Frieden führen werden oder nicht. Um dieselbe mit eini¬<lb/>
ger Sicherheit beantworten zu können, müßte man nicht nur die finanziellen<lb/>
und militärischen Verhältnisse der betheiligten Staaten und vorzüglich Ru߬<lb/>
lands, sondern zugleich die Gedanken und Empfindungen ihrer Herrscher genau<lb/>
kennen. Indeß lassen sich einige Seiten der bevorstehenden Friedcnsconferen-<lb/>
zen doch auch schon jetzt einer Betrachtung unterwerfen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_721"> Die Friedensconferenzen werden für Rußland nur eine natürliche Fort¬<lb/>
setzung derjenigen diplomatischen Bestrebungen sein, die unausgesetzt den Krieg<lb/>
begleitet haben. Rußland kämpft gegen eine Koalition. Sein beständiges Be¬<lb/>
streben ging dahin, die Allianz von Frankreich und England zu sprengen, den<lb/>
Hinzutritt Oestreichs zu dieser Allianz zu verhindern. Es nahm im Jahre<lb/>
1864 die erste Formulirung der vier Punkte nur an, weil es sich Hoffnung<lb/>
machte, daß sich bei der nähern Erörterung derselben ein Zwiespalt zwischen<lb/>
Oestreich und seinen Decemberalliirten ergeben werde. Das Bestreben Ru߬<lb/>
lands auf den vorjährigen Friedensconferenzen war, diesen Zwiespalt hervor-,<lb/>
zubringen und zu constatiren. Es gelang ihm. Indeß der Feldzug des vori¬<lb/>
gen Jahres, wenn auch für die Verbündeten an reellen Folgen arm, war für<lb/>
Rußland an Verlusten reich. Die russische Armee ist schwerlich stark genug,<lb/>
um einem östreichischen Jnvasionscvrps noch eine besondere Armee entgegen¬<lb/>
setzen zu können. Eine Folge der Verwerfung der östreichischen Vorschläge<lb/>
war unzweifelhaft, daß Oestreich aus der sonderbaren Rolle eines theoretischen<lb/>
Alliirten von Frankreich und England in die eines praktischen übergegangen<lb/>
wäre. Rußland nahm jene Vorschläge an, um diese Allianz zu verhindern.<lb/>
Der Schluß scheint sehr gerechtfertigt, daß Rußlands ganzes Bestreben auf<lb/>
den Friedensconferenzen dahin gehen wird, Interpretation der Präliminarien<lb/>
auszustellen, für welche es die Zustimmung Oestreichs gewinnt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_722" next="#ID_723"> Nußland darf sich auch dies Mal eine entfernte Hoffnung machen, basi es<lb/>
ihm damit gelinge. Die Einigung zwischen Oestreich und den Westmächten ist<lb/>
dies Mal freilich stärker, als im Jahre 1864, aber sie ist keineswegs vollkommen.<lb/>
Auch dies Mal gibt es einen Punkt zwischen den drei Mächten, der nicht genau<lb/>
festgesetzt ist. Es sind das die bekannten: ooiMUous parUouliörss. Diese<lb/>
weitbauschige Generalclausel, sehr bestimmt formulirten Friedenspräliminarien an¬<lb/>
gehängt , erklärt sich nur daraus', daß die darunter befaßten Bedingungen nicht<lb/>
in die vier Punkte eingereiht werden können und daß Oestreich erklärte, an<lb/>
den vier Punkten festhalten zu wollen. Als bei den Vorverhandlungen Frank-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0242] Die politische Situation. Es hilft wenig, die Frage zu erörtern, ob die bevorstehenden Friedens¬ conferenzen zu einem Frieden führen werden oder nicht. Um dieselbe mit eini¬ ger Sicherheit beantworten zu können, müßte man nicht nur die finanziellen und militärischen Verhältnisse der betheiligten Staaten und vorzüglich Ru߬ lands, sondern zugleich die Gedanken und Empfindungen ihrer Herrscher genau kennen. Indeß lassen sich einige Seiten der bevorstehenden Friedcnsconferen- zen doch auch schon jetzt einer Betrachtung unterwerfen. Die Friedensconferenzen werden für Rußland nur eine natürliche Fort¬ setzung derjenigen diplomatischen Bestrebungen sein, die unausgesetzt den Krieg begleitet haben. Rußland kämpft gegen eine Koalition. Sein beständiges Be¬ streben ging dahin, die Allianz von Frankreich und England zu sprengen, den Hinzutritt Oestreichs zu dieser Allianz zu verhindern. Es nahm im Jahre 1864 die erste Formulirung der vier Punkte nur an, weil es sich Hoffnung machte, daß sich bei der nähern Erörterung derselben ein Zwiespalt zwischen Oestreich und seinen Decemberalliirten ergeben werde. Das Bestreben Ru߬ lands auf den vorjährigen Friedensconferenzen war, diesen Zwiespalt hervor-, zubringen und zu constatiren. Es gelang ihm. Indeß der Feldzug des vori¬ gen Jahres, wenn auch für die Verbündeten an reellen Folgen arm, war für Rußland an Verlusten reich. Die russische Armee ist schwerlich stark genug, um einem östreichischen Jnvasionscvrps noch eine besondere Armee entgegen¬ setzen zu können. Eine Folge der Verwerfung der östreichischen Vorschläge war unzweifelhaft, daß Oestreich aus der sonderbaren Rolle eines theoretischen Alliirten von Frankreich und England in die eines praktischen übergegangen wäre. Rußland nahm jene Vorschläge an, um diese Allianz zu verhindern. Der Schluß scheint sehr gerechtfertigt, daß Rußlands ganzes Bestreben auf den Friedensconferenzen dahin gehen wird, Interpretation der Präliminarien auszustellen, für welche es die Zustimmung Oestreichs gewinnt. Nußland darf sich auch dies Mal eine entfernte Hoffnung machen, basi es ihm damit gelinge. Die Einigung zwischen Oestreich und den Westmächten ist dies Mal freilich stärker, als im Jahre 1864, aber sie ist keineswegs vollkommen. Auch dies Mal gibt es einen Punkt zwischen den drei Mächten, der nicht genau festgesetzt ist. Es sind das die bekannten: ooiMUous parUouliörss. Diese weitbauschige Generalclausel, sehr bestimmt formulirten Friedenspräliminarien an¬ gehängt , erklärt sich nur daraus', daß die darunter befaßten Bedingungen nicht in die vier Punkte eingereiht werden können und daß Oestreich erklärte, an den vier Punkten festhalten zu wollen. Als bei den Vorverhandlungen Frank-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/242
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/242>, abgerufen am 06.05.2024.