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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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London verschärften Gestalt jetzt von Rußland angenommen worden sind. Statt
Frankreich zu gewinnen, hatte Rußland nur Oestreich fester an Frankreich
geknüpft. Rußland merkte, was vorging und suchte sich Oestreich zu nähern.
Mit, den Worten: "nun, mein lieber Graf, ich bringe Ihnen den Frieden,"
trat Fürst Gortschakoff in das Zimmer des Grafen Buol. Er brachte die Vor¬
schläge, welche schon in Paris gewesen waren und welche später das Gewand
des Circulars vom 22. Decbr. erhielten. Er mußte aber als Antwort hören,
daß jede russische Proposition zu spät komme, weil Oestreich schon selbst Pro¬
Positionen aufgesetzt und sie Frankreich und England vorgelegt habe. Das
Weitere ist bekannt.

So endete dieser letzte russische Versuch, die westliche Allianz zu sprengen,
in eine vollkommene Niederlage, in eine Niederlage, die von nachtheiligeren
Folgen gewesen ist, als es eine Schlacht hätte sein können, die Rußland an
seinen Grenzen verloren hätte.

Aus diesen Vorgängen darf man aber zugleich den Schluß ziehen, daß
eS Rußland schwerlich gelingen wird, auf den jetzt bevorstehenden Conferenzen
die Allianz der beiden Westmächte zu sprengen.

Kann es obendrein das Hinzutreten Oestreichs zu derselben nicht ver¬
hindern, so darf man versichert sein, daß Rußland sich jeder Auslegung unter¬
werfen wird, welche die drei Mächte für gut finden werden, den fünf Punkten
zu geben.

Ich möchte indeß noch auf ein Factum, dessen ich erwähnte, zurückkommen,
weil dasselbe für uns Deutsche ein besonderes Interesse hat. Es ist eine
deutsche Regierung, welche einen Separatfrieden zwischen Rußland und
Frankreich zu Stande zu bringen gesucht hat. Da dieser Separat-
sriede gleichbedeutend mit einer französisch-russischen Allianz ist, da dieselbe nur
gegen Deutschland, d. h. gegen eine der deutschen Großmächte gerichtet sein
kann, so zeigt uns dies Factum, daß wir'Deutsche noch ganz und gar auf
dem Standpunkt von 1803 bis 1813 stehen. Es lehrt uns, was es in Wirk¬
lichkeit mit jenen Ideen von deutscher Einheit, deutscher Einigkeit, Vereini¬
gung der Nation u. s. w. auf sich hat, mit denen sich unsere Ideologen tragen
und die zu der obligaten Phraseologie officieller Reden gehören.




Rußlands Filllmznoth.

Welches auch die Gründe sind, welche Rußland zur Annahme der Friedens-
vrovosition bewogen, wahrscheinlich ist, daß die finanzielle Verlegenheit des
Staates keinen unbedeutenden Antheil daran hatte. Deshalb sei hier zunächst
auf einen mit vieler Sachkenntniß geschriebenen Aufsatz von Aug. Picard, in
der Revue des deux Mondes aufmerksam gemacht. Im folgenden, Artikel benutzte


London verschärften Gestalt jetzt von Rußland angenommen worden sind. Statt
Frankreich zu gewinnen, hatte Rußland nur Oestreich fester an Frankreich
geknüpft. Rußland merkte, was vorging und suchte sich Oestreich zu nähern.
Mit, den Worten: „nun, mein lieber Graf, ich bringe Ihnen den Frieden,"
trat Fürst Gortschakoff in das Zimmer des Grafen Buol. Er brachte die Vor¬
schläge, welche schon in Paris gewesen waren und welche später das Gewand
des Circulars vom 22. Decbr. erhielten. Er mußte aber als Antwort hören,
daß jede russische Proposition zu spät komme, weil Oestreich schon selbst Pro¬
Positionen aufgesetzt und sie Frankreich und England vorgelegt habe. Das
Weitere ist bekannt.

So endete dieser letzte russische Versuch, die westliche Allianz zu sprengen,
in eine vollkommene Niederlage, in eine Niederlage, die von nachtheiligeren
Folgen gewesen ist, als es eine Schlacht hätte sein können, die Rußland an
seinen Grenzen verloren hätte.

Aus diesen Vorgängen darf man aber zugleich den Schluß ziehen, daß
eS Rußland schwerlich gelingen wird, auf den jetzt bevorstehenden Conferenzen
die Allianz der beiden Westmächte zu sprengen.

Kann es obendrein das Hinzutreten Oestreichs zu derselben nicht ver¬
hindern, so darf man versichert sein, daß Rußland sich jeder Auslegung unter¬
werfen wird, welche die drei Mächte für gut finden werden, den fünf Punkten
zu geben.

Ich möchte indeß noch auf ein Factum, dessen ich erwähnte, zurückkommen,
weil dasselbe für uns Deutsche ein besonderes Interesse hat. Es ist eine
deutsche Regierung, welche einen Separatfrieden zwischen Rußland und
Frankreich zu Stande zu bringen gesucht hat. Da dieser Separat-
sriede gleichbedeutend mit einer französisch-russischen Allianz ist, da dieselbe nur
gegen Deutschland, d. h. gegen eine der deutschen Großmächte gerichtet sein
kann, so zeigt uns dies Factum, daß wir'Deutsche noch ganz und gar auf
dem Standpunkt von 1803 bis 1813 stehen. Es lehrt uns, was es in Wirk¬
lichkeit mit jenen Ideen von deutscher Einheit, deutscher Einigkeit, Vereini¬
gung der Nation u. s. w. auf sich hat, mit denen sich unsere Ideologen tragen
und die zu der obligaten Phraseologie officieller Reden gehören.




Rußlands Filllmznoth.

Welches auch die Gründe sind, welche Rußland zur Annahme der Friedens-
vrovosition bewogen, wahrscheinlich ist, daß die finanzielle Verlegenheit des
Staates keinen unbedeutenden Antheil daran hatte. Deshalb sei hier zunächst
auf einen mit vieler Sachkenntniß geschriebenen Aufsatz von Aug. Picard, in
der Revue des deux Mondes aufmerksam gemacht. Im folgenden, Artikel benutzte


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[0245] London verschärften Gestalt jetzt von Rußland angenommen worden sind. Statt Frankreich zu gewinnen, hatte Rußland nur Oestreich fester an Frankreich geknüpft. Rußland merkte, was vorging und suchte sich Oestreich zu nähern. Mit, den Worten: „nun, mein lieber Graf, ich bringe Ihnen den Frieden," trat Fürst Gortschakoff in das Zimmer des Grafen Buol. Er brachte die Vor¬ schläge, welche schon in Paris gewesen waren und welche später das Gewand des Circulars vom 22. Decbr. erhielten. Er mußte aber als Antwort hören, daß jede russische Proposition zu spät komme, weil Oestreich schon selbst Pro¬ Positionen aufgesetzt und sie Frankreich und England vorgelegt habe. Das Weitere ist bekannt. So endete dieser letzte russische Versuch, die westliche Allianz zu sprengen, in eine vollkommene Niederlage, in eine Niederlage, die von nachtheiligeren Folgen gewesen ist, als es eine Schlacht hätte sein können, die Rußland an seinen Grenzen verloren hätte. Aus diesen Vorgängen darf man aber zugleich den Schluß ziehen, daß eS Rußland schwerlich gelingen wird, auf den jetzt bevorstehenden Conferenzen die Allianz der beiden Westmächte zu sprengen. Kann es obendrein das Hinzutreten Oestreichs zu derselben nicht ver¬ hindern, so darf man versichert sein, daß Rußland sich jeder Auslegung unter¬ werfen wird, welche die drei Mächte für gut finden werden, den fünf Punkten zu geben. Ich möchte indeß noch auf ein Factum, dessen ich erwähnte, zurückkommen, weil dasselbe für uns Deutsche ein besonderes Interesse hat. Es ist eine deutsche Regierung, welche einen Separatfrieden zwischen Rußland und Frankreich zu Stande zu bringen gesucht hat. Da dieser Separat- sriede gleichbedeutend mit einer französisch-russischen Allianz ist, da dieselbe nur gegen Deutschland, d. h. gegen eine der deutschen Großmächte gerichtet sein kann, so zeigt uns dies Factum, daß wir'Deutsche noch ganz und gar auf dem Standpunkt von 1803 bis 1813 stehen. Es lehrt uns, was es in Wirk¬ lichkeit mit jenen Ideen von deutscher Einheit, deutscher Einigkeit, Vereini¬ gung der Nation u. s. w. auf sich hat, mit denen sich unsere Ideologen tragen und die zu der obligaten Phraseologie officieller Reden gehören. Rußlands Filllmznoth. Welches auch die Gründe sind, welche Rußland zur Annahme der Friedens- vrovosition bewogen, wahrscheinlich ist, daß die finanzielle Verlegenheit des Staates keinen unbedeutenden Antheil daran hatte. Deshalb sei hier zunächst auf einen mit vieler Sachkenntniß geschriebenen Aufsatz von Aug. Picard, in der Revue des deux Mondes aufmerksam gemacht. Im folgenden, Artikel benutzte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/245>, abgerufen am 06.05.2024.