Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Kunst als ein ideales Spiel betrachtet, so wird sie nur dann gedeihen,
wenn man sie auf dem festen Boden der Wirklichkeit aufrichtet.

Aber die Kritik hat nie oder nur in seltenen Fällen, in Fällen einer ver¬
zeihlichen Aufwallung verkannt, daß Heinrich Heine das größte Talent ist,
welches während der letzten Generation sich in der deutschen Poesie entfaltet
hat; ja, er überragt seine Nebenbuhler so sehr, daß, wenn man die kleinen
persönlichen Beziehungen vergessen' haben wird, die ganze Periode von ihm
den Namen empfangen wird.

Wir haben den Ausdruck "Talent" gebraucht, ohne damit auf den Ge¬
gensatz zum Genie hindeuten zu wollen; ein Gegensatz, der sich überhaupt nicht
immer scharf feststellen lassen wird. Vieles von dem, was Heine geschaffen,
ist gewiß genial, so genial, daß es zu den ersten Leistungen unserer leichtern
Poesie gehört; aber seinem poetischen Charakter fehlte die innere Harmonie,
und darum fehlt seinen poetischen Werken die Größe. Die übermüthige Laune
seiner Phantasie, sein glänzender Witz wurde zwar in vielen Fällen durch ei¬
nen sehr gesunden Menschenverstand regulirt, aber nicht durch das Gewissen,
und seinem scharfen Auge fehlte jene warme Liebe zur Natur, aus der allein
Reichthum und Fülle der Anschauung hervorgehen.

Er ist der Erste in seiner Gattung; möchte er auch der Letzte sein! Seine
Bilder sind von einem verführerischen Schimmer, aber es ist das Phosphoresciren
der Fäulniß, von der seine ganze Zeit angesteckt war, und der wir uns durch
mühsame Arbeit allmälig zu entwinden streben.

Voraussichtlich wird sein Tod die schon beabsichtigte Herausgabe seiner
Werke beschleunigen. Es liegt nahe, bei einer solchen Ausgabe die Spreu vom
Weizen sondern zu wollen, denn bei keinem Dichter liegt Gutes und Schlech¬
tes, Edles und Gemeines so hart aneinander, als bei Heine; aber wir glau¬
ben im Interesse deö ganzen Publicums zu sprechen, wenn wir wünschen, baß
dieser Versuch nicht gemacht werde. Heine gehört zu den Dichtern, auf deren
Werke das Publicum ein Recht hat, und die Gesammtausgabe muß alles ent¬
halten, was er geschrieben. Auf junge Damen kann bei dieser Ausgabe keine
Rücksicht genommen werden; für diese kann später eine kleine Cabinetsausgabe
sorgen. Der Herausgeber wird weiter nichts zu thun haben, als das Zusam¬
mengehörige zusammenzubringen, was freilich zuweilen auch feine Schwierig¬
keiten haben wird.




Planeten- und Mondmenschen.

Wir haben es im Vorigen absichtlich vermieden, von der Bewohnbarkeit
des Mondes zu sprechen, um zum Schlüsse einen deutschen Forscher neben


die Kunst als ein ideales Spiel betrachtet, so wird sie nur dann gedeihen,
wenn man sie auf dem festen Boden der Wirklichkeit aufrichtet.

Aber die Kritik hat nie oder nur in seltenen Fällen, in Fällen einer ver¬
zeihlichen Aufwallung verkannt, daß Heinrich Heine das größte Talent ist,
welches während der letzten Generation sich in der deutschen Poesie entfaltet
hat; ja, er überragt seine Nebenbuhler so sehr, daß, wenn man die kleinen
persönlichen Beziehungen vergessen' haben wird, die ganze Periode von ihm
den Namen empfangen wird.

Wir haben den Ausdruck „Talent" gebraucht, ohne damit auf den Ge¬
gensatz zum Genie hindeuten zu wollen; ein Gegensatz, der sich überhaupt nicht
immer scharf feststellen lassen wird. Vieles von dem, was Heine geschaffen,
ist gewiß genial, so genial, daß es zu den ersten Leistungen unserer leichtern
Poesie gehört; aber seinem poetischen Charakter fehlte die innere Harmonie,
und darum fehlt seinen poetischen Werken die Größe. Die übermüthige Laune
seiner Phantasie, sein glänzender Witz wurde zwar in vielen Fällen durch ei¬
nen sehr gesunden Menschenverstand regulirt, aber nicht durch das Gewissen,
und seinem scharfen Auge fehlte jene warme Liebe zur Natur, aus der allein
Reichthum und Fülle der Anschauung hervorgehen.

Er ist der Erste in seiner Gattung; möchte er auch der Letzte sein! Seine
Bilder sind von einem verführerischen Schimmer, aber es ist das Phosphoresciren
der Fäulniß, von der seine ganze Zeit angesteckt war, und der wir uns durch
mühsame Arbeit allmälig zu entwinden streben.

Voraussichtlich wird sein Tod die schon beabsichtigte Herausgabe seiner
Werke beschleunigen. Es liegt nahe, bei einer solchen Ausgabe die Spreu vom
Weizen sondern zu wollen, denn bei keinem Dichter liegt Gutes und Schlech¬
tes, Edles und Gemeines so hart aneinander, als bei Heine; aber wir glau¬
ben im Interesse deö ganzen Publicums zu sprechen, wenn wir wünschen, baß
dieser Versuch nicht gemacht werde. Heine gehört zu den Dichtern, auf deren
Werke das Publicum ein Recht hat, und die Gesammtausgabe muß alles ent¬
halten, was er geschrieben. Auf junge Damen kann bei dieser Ausgabe keine
Rücksicht genommen werden; für diese kann später eine kleine Cabinetsausgabe
sorgen. Der Herausgeber wird weiter nichts zu thun haben, als das Zusam¬
mengehörige zusammenzubringen, was freilich zuweilen auch feine Schwierig¬
keiten haben wird.




Planeten- und Mondmenschen.

Wir haben es im Vorigen absichtlich vermieden, von der Bewohnbarkeit
des Mondes zu sprechen, um zum Schlüsse einen deutschen Forscher neben


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0399" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101392"/>
          <p xml:id="ID_1197" prev="#ID_1196"> die Kunst als ein ideales Spiel betrachtet, so wird sie nur dann gedeihen,<lb/>
wenn man sie auf dem festen Boden der Wirklichkeit aufrichtet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1198"> Aber die Kritik hat nie oder nur in seltenen Fällen, in Fällen einer ver¬<lb/>
zeihlichen Aufwallung verkannt, daß Heinrich Heine das größte Talent ist,<lb/>
welches während der letzten Generation sich in der deutschen Poesie entfaltet<lb/>
hat; ja, er überragt seine Nebenbuhler so sehr, daß, wenn man die kleinen<lb/>
persönlichen Beziehungen vergessen' haben wird, die ganze Periode von ihm<lb/>
den Namen empfangen wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1199"> Wir haben den Ausdruck &#x201E;Talent" gebraucht, ohne damit auf den Ge¬<lb/>
gensatz zum Genie hindeuten zu wollen; ein Gegensatz, der sich überhaupt nicht<lb/>
immer scharf feststellen lassen wird. Vieles von dem, was Heine geschaffen,<lb/>
ist gewiß genial, so genial, daß es zu den ersten Leistungen unserer leichtern<lb/>
Poesie gehört; aber seinem poetischen Charakter fehlte die innere Harmonie,<lb/>
und darum fehlt seinen poetischen Werken die Größe. Die übermüthige Laune<lb/>
seiner Phantasie, sein glänzender Witz wurde zwar in vielen Fällen durch ei¬<lb/>
nen sehr gesunden Menschenverstand regulirt, aber nicht durch das Gewissen,<lb/>
und seinem scharfen Auge fehlte jene warme Liebe zur Natur, aus der allein<lb/>
Reichthum und Fülle der Anschauung hervorgehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1200"> Er ist der Erste in seiner Gattung; möchte er auch der Letzte sein! Seine<lb/>
Bilder sind von einem verführerischen Schimmer, aber es ist das Phosphoresciren<lb/>
der Fäulniß, von der seine ganze Zeit angesteckt war, und der wir uns durch<lb/>
mühsame Arbeit allmälig zu entwinden streben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1201"> Voraussichtlich wird sein Tod die schon beabsichtigte Herausgabe seiner<lb/>
Werke beschleunigen. Es liegt nahe, bei einer solchen Ausgabe die Spreu vom<lb/>
Weizen sondern zu wollen, denn bei keinem Dichter liegt Gutes und Schlech¬<lb/>
tes, Edles und Gemeines so hart aneinander, als bei Heine; aber wir glau¬<lb/>
ben im Interesse deö ganzen Publicums zu sprechen, wenn wir wünschen, baß<lb/>
dieser Versuch nicht gemacht werde. Heine gehört zu den Dichtern, auf deren<lb/>
Werke das Publicum ein Recht hat, und die Gesammtausgabe muß alles ent¬<lb/>
halten, was er geschrieben. Auf junge Damen kann bei dieser Ausgabe keine<lb/>
Rücksicht genommen werden; für diese kann später eine kleine Cabinetsausgabe<lb/>
sorgen. Der Herausgeber wird weiter nichts zu thun haben, als das Zusam¬<lb/>
mengehörige zusammenzubringen, was freilich zuweilen auch feine Schwierig¬<lb/>
keiten haben wird.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Planeten- und Mondmenschen.</head><lb/>
          <div n="2">
            <head/><lb/>
            <p xml:id="ID_1202" next="#ID_1203"> Wir haben es im Vorigen absichtlich vermieden, von der Bewohnbarkeit<lb/>
des Mondes zu sprechen, um zum Schlüsse einen deutschen Forscher neben</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0399] die Kunst als ein ideales Spiel betrachtet, so wird sie nur dann gedeihen, wenn man sie auf dem festen Boden der Wirklichkeit aufrichtet. Aber die Kritik hat nie oder nur in seltenen Fällen, in Fällen einer ver¬ zeihlichen Aufwallung verkannt, daß Heinrich Heine das größte Talent ist, welches während der letzten Generation sich in der deutschen Poesie entfaltet hat; ja, er überragt seine Nebenbuhler so sehr, daß, wenn man die kleinen persönlichen Beziehungen vergessen' haben wird, die ganze Periode von ihm den Namen empfangen wird. Wir haben den Ausdruck „Talent" gebraucht, ohne damit auf den Ge¬ gensatz zum Genie hindeuten zu wollen; ein Gegensatz, der sich überhaupt nicht immer scharf feststellen lassen wird. Vieles von dem, was Heine geschaffen, ist gewiß genial, so genial, daß es zu den ersten Leistungen unserer leichtern Poesie gehört; aber seinem poetischen Charakter fehlte die innere Harmonie, und darum fehlt seinen poetischen Werken die Größe. Die übermüthige Laune seiner Phantasie, sein glänzender Witz wurde zwar in vielen Fällen durch ei¬ nen sehr gesunden Menschenverstand regulirt, aber nicht durch das Gewissen, und seinem scharfen Auge fehlte jene warme Liebe zur Natur, aus der allein Reichthum und Fülle der Anschauung hervorgehen. Er ist der Erste in seiner Gattung; möchte er auch der Letzte sein! Seine Bilder sind von einem verführerischen Schimmer, aber es ist das Phosphoresciren der Fäulniß, von der seine ganze Zeit angesteckt war, und der wir uns durch mühsame Arbeit allmälig zu entwinden streben. Voraussichtlich wird sein Tod die schon beabsichtigte Herausgabe seiner Werke beschleunigen. Es liegt nahe, bei einer solchen Ausgabe die Spreu vom Weizen sondern zu wollen, denn bei keinem Dichter liegt Gutes und Schlech¬ tes, Edles und Gemeines so hart aneinander, als bei Heine; aber wir glau¬ ben im Interesse deö ganzen Publicums zu sprechen, wenn wir wünschen, baß dieser Versuch nicht gemacht werde. Heine gehört zu den Dichtern, auf deren Werke das Publicum ein Recht hat, und die Gesammtausgabe muß alles ent¬ halten, was er geschrieben. Auf junge Damen kann bei dieser Ausgabe keine Rücksicht genommen werden; für diese kann später eine kleine Cabinetsausgabe sorgen. Der Herausgeber wird weiter nichts zu thun haben, als das Zusam¬ mengehörige zusammenzubringen, was freilich zuweilen auch feine Schwierig¬ keiten haben wird. Planeten- und Mondmenschen. Wir haben es im Vorigen absichtlich vermieden, von der Bewohnbarkeit des Mondes zu sprechen, um zum Schlüsse einen deutschen Forscher neben

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/399
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/399>, abgerufen am 07.05.2024.