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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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wärtig begnügt man sich, bei bedeutender" Häusern rohe Schutzdächer anzu¬
bringen, bei unbedeutendem werden die Gemälde bald durch den Zutritt der
Lust zerstört oder gehen durch Einsturz der Mauern zu Grunde. Maver in
seinem vortrefflichen Buch "Neapel und die Neapolitaner" erzählt, daß ein
Engländer sich von der Regierung die Erlaubniß erwirkt habe, ein pompeja-
nischeö Haus vierzehn Tage lang nacb Belieben einrichten und bewohnen zu
können. Er ließ es so gut wie in der Eile möglich wohnlich machen, möblirte
es mit Möbeln und Hausrath nach antiken Mustern, kleidete sich und seine
Dienerschaft in die altrömische Tracht und verbrachte die vierzehn Tage mit
der Lectüre von Livius und Cicero.

Weil noch immer Viele erwarten in Pompeji ein vollständiges Bild einer
antiken Stadt zu sehen, hört man so häusig von getäuschten Erwartungen. Es
scheint Goethe so ergangen zu sein, der "von dieser mumisirten Stadt einen
halb wunderlichen, halb unangenehmen Eindruck" bekam. "Das Ganze," sagt
er, "macht überwiegend den Eindruck einer überaus reinlich aufgeräumten
Brandstätte, nur daß alle Spuren schwärzenden Rauchs fehlen. Das Ruinen-
Hafte ist vorherrschend; was die Reisebeschreiber von der Illusion einer an¬
tiken Stadt fabeln, aus der die Bewohner ausgewandert, mögen sie selbst ver¬
antworte"^ Nichts macht den Eindruck des Unversehrten, ausgenommen die
Gräberstraße und pas herculanische Thor. Sind doch alle Häuser dachlos
und nirgend ein Plafonv oder sonstiges Holzwerk erhalten. Es stehen eben
nur Wände und selbst von diesen trifft man neben der alten die Spuren neuer
Zerstörung in den zahllosen Lücken, aus denen man die Wandgemälde aus-
gebrochen hat." Das Titelbild des Overbeckschen Buchs. Pompeji von der
Vogelperspektive aus gesehen, ist recht geeignet, diesen Eindruck zu veranschau¬
lichen.




Neue Dramen.

Wenn man unjrer Zeit ein Sinken der dramatischen Kunst zuschreibt, so be¬
darf das einer nähern Begriffsbestimmung. Vergleichen wir unsre Zeit etwa seit
-I8i0 mir der Glanzperiode Goethes und Schillers und ihrer unmittelbaren
Nachfolger, also etwa bis 181 ö ober mit der dazwischen liegenden Restaurations-
zeit, so fällt zunächst auf, daß die Fruchtbarkeit eine viel größre geworden ist;
nicht blos daß die Zahl der Dramen, die alljährlich erscheinen, ins Ungeheure
angeschwollen ist, man kann auch ohne Uebertreibung sagen, die Summe der da¬
rin aufgewandten Bildung und des Geschicks überwiegt bei weitem die der
frühern Perioden. Von den Schöpfungen der Meister muß man absehen, denn


wärtig begnügt man sich, bei bedeutender» Häusern rohe Schutzdächer anzu¬
bringen, bei unbedeutendem werden die Gemälde bald durch den Zutritt der
Lust zerstört oder gehen durch Einsturz der Mauern zu Grunde. Maver in
seinem vortrefflichen Buch „Neapel und die Neapolitaner" erzählt, daß ein
Engländer sich von der Regierung die Erlaubniß erwirkt habe, ein pompeja-
nischeö Haus vierzehn Tage lang nacb Belieben einrichten und bewohnen zu
können. Er ließ es so gut wie in der Eile möglich wohnlich machen, möblirte
es mit Möbeln und Hausrath nach antiken Mustern, kleidete sich und seine
Dienerschaft in die altrömische Tracht und verbrachte die vierzehn Tage mit
der Lectüre von Livius und Cicero.

Weil noch immer Viele erwarten in Pompeji ein vollständiges Bild einer
antiken Stadt zu sehen, hört man so häusig von getäuschten Erwartungen. Es
scheint Goethe so ergangen zu sein, der „von dieser mumisirten Stadt einen
halb wunderlichen, halb unangenehmen Eindruck" bekam. „Das Ganze," sagt
er, „macht überwiegend den Eindruck einer überaus reinlich aufgeräumten
Brandstätte, nur daß alle Spuren schwärzenden Rauchs fehlen. Das Ruinen-
Hafte ist vorherrschend; was die Reisebeschreiber von der Illusion einer an¬
tiken Stadt fabeln, aus der die Bewohner ausgewandert, mögen sie selbst ver¬
antworte»^ Nichts macht den Eindruck des Unversehrten, ausgenommen die
Gräberstraße und pas herculanische Thor. Sind doch alle Häuser dachlos
und nirgend ein Plafonv oder sonstiges Holzwerk erhalten. Es stehen eben
nur Wände und selbst von diesen trifft man neben der alten die Spuren neuer
Zerstörung in den zahllosen Lücken, aus denen man die Wandgemälde aus-
gebrochen hat." Das Titelbild des Overbeckschen Buchs. Pompeji von der
Vogelperspektive aus gesehen, ist recht geeignet, diesen Eindruck zu veranschau¬
lichen.




Neue Dramen.

Wenn man unjrer Zeit ein Sinken der dramatischen Kunst zuschreibt, so be¬
darf das einer nähern Begriffsbestimmung. Vergleichen wir unsre Zeit etwa seit
-I8i0 mir der Glanzperiode Goethes und Schillers und ihrer unmittelbaren
Nachfolger, also etwa bis 181 ö ober mit der dazwischen liegenden Restaurations-
zeit, so fällt zunächst auf, daß die Fruchtbarkeit eine viel größre geworden ist;
nicht blos daß die Zahl der Dramen, die alljährlich erscheinen, ins Ungeheure
angeschwollen ist, man kann auch ohne Uebertreibung sagen, die Summe der da¬
rin aufgewandten Bildung und des Geschicks überwiegt bei weitem die der
frühern Perioden. Von den Schöpfungen der Meister muß man absehen, denn


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[0456] wärtig begnügt man sich, bei bedeutender» Häusern rohe Schutzdächer anzu¬ bringen, bei unbedeutendem werden die Gemälde bald durch den Zutritt der Lust zerstört oder gehen durch Einsturz der Mauern zu Grunde. Maver in seinem vortrefflichen Buch „Neapel und die Neapolitaner" erzählt, daß ein Engländer sich von der Regierung die Erlaubniß erwirkt habe, ein pompeja- nischeö Haus vierzehn Tage lang nacb Belieben einrichten und bewohnen zu können. Er ließ es so gut wie in der Eile möglich wohnlich machen, möblirte es mit Möbeln und Hausrath nach antiken Mustern, kleidete sich und seine Dienerschaft in die altrömische Tracht und verbrachte die vierzehn Tage mit der Lectüre von Livius und Cicero. Weil noch immer Viele erwarten in Pompeji ein vollständiges Bild einer antiken Stadt zu sehen, hört man so häusig von getäuschten Erwartungen. Es scheint Goethe so ergangen zu sein, der „von dieser mumisirten Stadt einen halb wunderlichen, halb unangenehmen Eindruck" bekam. „Das Ganze," sagt er, „macht überwiegend den Eindruck einer überaus reinlich aufgeräumten Brandstätte, nur daß alle Spuren schwärzenden Rauchs fehlen. Das Ruinen- Hafte ist vorherrschend; was die Reisebeschreiber von der Illusion einer an¬ tiken Stadt fabeln, aus der die Bewohner ausgewandert, mögen sie selbst ver¬ antworte»^ Nichts macht den Eindruck des Unversehrten, ausgenommen die Gräberstraße und pas herculanische Thor. Sind doch alle Häuser dachlos und nirgend ein Plafonv oder sonstiges Holzwerk erhalten. Es stehen eben nur Wände und selbst von diesen trifft man neben der alten die Spuren neuer Zerstörung in den zahllosen Lücken, aus denen man die Wandgemälde aus- gebrochen hat." Das Titelbild des Overbeckschen Buchs. Pompeji von der Vogelperspektive aus gesehen, ist recht geeignet, diesen Eindruck zu veranschau¬ lichen. Neue Dramen. Wenn man unjrer Zeit ein Sinken der dramatischen Kunst zuschreibt, so be¬ darf das einer nähern Begriffsbestimmung. Vergleichen wir unsre Zeit etwa seit -I8i0 mir der Glanzperiode Goethes und Schillers und ihrer unmittelbaren Nachfolger, also etwa bis 181 ö ober mit der dazwischen liegenden Restaurations- zeit, so fällt zunächst auf, daß die Fruchtbarkeit eine viel größre geworden ist; nicht blos daß die Zahl der Dramen, die alljährlich erscheinen, ins Ungeheure angeschwollen ist, man kann auch ohne Uebertreibung sagen, die Summe der da¬ rin aufgewandten Bildung und des Geschicks überwiegt bei weitem die der frühern Perioden. Von den Schöpfungen der Meister muß man absehen, denn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/456>, abgerufen am 06.05.2024.