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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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tugendhaft und will sie daher entfernen. In der Kleidung eines Pagen kehrt
sie heimlich zurück, wirft sich ihm zu Füßen, voll Mitleid nimmt er sie in
seine Arme, aber es geht ihm wie Pickwick, in dem Augenblick tritt das Publi-
cum ein. Er erinnert sich an den Propheten und erklärt, sie ist wahnsinnig. --
Das Stück ist unzweifelhaft mißlungen, denn die Handlung fällt vollständig
auseinander. Es ist eine Uebermasse Genremalerei darin, von der man nicht
begreift, wozu sie nöthig ist, und die selbst in ihren Formen dem Charakter der
Zeit nicht entspricht. In der Sprache, die häufig aus realistischer Natur¬
malerei in sentimentale Wendungen übergeht, wird man an Zacharias Werner
erinnert. In einzelnen Anläufen, namentlich in der Schilderung des Lilhauer-
fürstcn (bei dem freilich der heidnische Bekehrungseifer unhistorisch ist), zeigt
sich Talent. Ob dieses aber ausreichen wird, das mangelnde Kunstgefühl zu
ersetzen, läßt sich aus dem gegenwärtigen Versuch noch nicht entnehmen. --


Waldmüllers Margret. Melodrama in zwei Acten von Julius von Roden¬
de rg. Hannover, Rümpler. --

Ein niedliches Singspiel, musikalisch gedacht, aber für den sehr kleinen Um¬
fang des Stoffs zu weitschweifig ausgeführt. Bekanntlich hat es Marschner in
Musik gesetzt. --


Die Blume Eines Tages. Schauspiel i" einem Vorspiele und drei Acten von
Don Francisco Camvrvdon. Aus dem Spanischen übertragen von
G. G. de Wilde. Leipzig, Brockhaus. --

Der Uebersetzer gibt dieses Stück, wie den früher von ihm übertragenen
Don Juan von Zorrilla, als einen Beleg dafür, daß es mit dem Sinken der
spanischen Bühne noch keineswegs so arg sei. Das Stück ist in Madrid wie
in Mexico mit großem Beifall aufgeführt und auch ins Englische übersetzt
worden. Auch für uns ist es, abgesehen von dem wirklichen Talent, das sich
darin ausspricht, insofern interessant, als es zeigt, in einen wie wunderlichen
Conflict die altspanischen überlieferten Ehrbegriffe mit der modernen Gefühls¬
weichheit kommen. -- Im Vorspiel wird uns ein glückliches Brautpaar gezeigt,
Don Diego und Donna Lota. Er ist das vollständige Ideal aller ritterlichen
Tugenden, sie liebt ihn innig. In einer Unterredung mit ihrem Vater be¬
hauptet sie, die Liebe sei ihrem Wesen nach unvergänglich ; er bestreitet es, er¬
klärt aber dabei, es sei wünschenswert!). Die beiden Liebenden sind im Be¬
griff einander zu heirathen, da wird Don Diego nach Südamerika abberufen,
um seinen kranken Vater zu pflegen. Er will seine Braut sogleich heirathen,
um sie mitzunehmen; auf die Bitte ihres Vaters aber entschließt er sich, die
Hochzeit bis zu seiner Rückkehr aufzuschieben. -- Kurz vorher hat ein Mar¬
quis von Montero seine Visite gemacht. -- Zwischen dem Vorspiel und dem


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tugendhaft und will sie daher entfernen. In der Kleidung eines Pagen kehrt
sie heimlich zurück, wirft sich ihm zu Füßen, voll Mitleid nimmt er sie in
seine Arme, aber es geht ihm wie Pickwick, in dem Augenblick tritt das Publi-
cum ein. Er erinnert sich an den Propheten und erklärt, sie ist wahnsinnig. —
Das Stück ist unzweifelhaft mißlungen, denn die Handlung fällt vollständig
auseinander. Es ist eine Uebermasse Genremalerei darin, von der man nicht
begreift, wozu sie nöthig ist, und die selbst in ihren Formen dem Charakter der
Zeit nicht entspricht. In der Sprache, die häufig aus realistischer Natur¬
malerei in sentimentale Wendungen übergeht, wird man an Zacharias Werner
erinnert. In einzelnen Anläufen, namentlich in der Schilderung des Lilhauer-
fürstcn (bei dem freilich der heidnische Bekehrungseifer unhistorisch ist), zeigt
sich Talent. Ob dieses aber ausreichen wird, das mangelnde Kunstgefühl zu
ersetzen, läßt sich aus dem gegenwärtigen Versuch noch nicht entnehmen. —


Waldmüllers Margret. Melodrama in zwei Acten von Julius von Roden¬
de rg. Hannover, Rümpler. —

Ein niedliches Singspiel, musikalisch gedacht, aber für den sehr kleinen Um¬
fang des Stoffs zu weitschweifig ausgeführt. Bekanntlich hat es Marschner in
Musik gesetzt. —


Die Blume Eines Tages. Schauspiel i» einem Vorspiele und drei Acten von
Don Francisco Camvrvdon. Aus dem Spanischen übertragen von
G. G. de Wilde. Leipzig, Brockhaus. —

Der Uebersetzer gibt dieses Stück, wie den früher von ihm übertragenen
Don Juan von Zorrilla, als einen Beleg dafür, daß es mit dem Sinken der
spanischen Bühne noch keineswegs so arg sei. Das Stück ist in Madrid wie
in Mexico mit großem Beifall aufgeführt und auch ins Englische übersetzt
worden. Auch für uns ist es, abgesehen von dem wirklichen Talent, das sich
darin ausspricht, insofern interessant, als es zeigt, in einen wie wunderlichen
Conflict die altspanischen überlieferten Ehrbegriffe mit der modernen Gefühls¬
weichheit kommen. — Im Vorspiel wird uns ein glückliches Brautpaar gezeigt,
Don Diego und Donna Lota. Er ist das vollständige Ideal aller ritterlichen
Tugenden, sie liebt ihn innig. In einer Unterredung mit ihrem Vater be¬
hauptet sie, die Liebe sei ihrem Wesen nach unvergänglich ; er bestreitet es, er¬
klärt aber dabei, es sei wünschenswert!). Die beiden Liebenden sind im Be¬
griff einander zu heirathen, da wird Don Diego nach Südamerika abberufen,
um seinen kranken Vater zu pflegen. Er will seine Braut sogleich heirathen,
um sie mitzunehmen; auf die Bitte ihres Vaters aber entschließt er sich, die
Hochzeit bis zu seiner Rückkehr aufzuschieben. — Kurz vorher hat ein Mar¬
quis von Montero seine Visite gemacht. — Zwischen dem Vorspiel und dem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/465>, abgerufen am 06.05.2024.