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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band.

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Demokratische Studien.
Zehn Jahre in Magdeburg, 184ö---18S5. Von Uhlich. S. Auflage.
Magdeburg, Selbstverlag. --
Aus dem Exil. Von Ludwig Simon. 2 Bde. Gießen, Ricker. --

Die Beziehungen zwischen den beiden Parteien, die 1848 und 1849 im
konservativen Interesse zusammentrafen, sind neuerdings so feindseliger Art ge¬
worden, daß es fast so aussieht, wie vor dem Jahre 1847, wo man zwischen
dem Liberalismus und dem Radikalismus kaum einen Unterschied machte. Wir
haben'bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt, daß in vielen einzelnen Fällen,
wo das Motiv der Parteibildung ein rein locales war, sich eine solche Neu¬
tralisation der Gegensätze auch wol denken läßt, was aber die Principien be¬
trifft, so sind sie seit der Zeit nicht viel näher gekommen und wenn man unter
Demokratie dasselbe versteht, was man 1848 darunter verstand, so sind wir
heute noch ebenso ihre entschiedenen'Gegner, als damals. Wenn freilich die so¬
genannte conservative Partei ausschließlich das Interesse der Aristokratie im
Auge behält, so wird der Liberalismus mehr und mehr demokratisch werden
d. h. er wird sich ebenso ausschließlich auf das Bürgerthum stützen, allein
mit der Massenherrschaft wird er sich ebensowenig befreunden können, als
früher. Wenn er dies im Eiser des Parteikampfs zuweilen vergißt, so ist es
gut, daß ihn Stimmen aus den Reihen der alten Demokratie daran erinnern.
In diesem Sinn machen wir auf die beiden obengenannten Schriften aufmerk¬
sam, die freilich ziemlich weit auseinanderliegen.

Daß die lichtfreundliche Bewegung der 40er Jahre nur in sehr eingeschränk¬
ten Sinn eine religiöse genannt werden kann, darüber wird man kaum mehr
in Zweifel sein. Es nahmen zwar einige Männer daran Theil, die aufrichtig
an dem alten Nationalismus festhielten und im besten Glauben handelten,
durch ihre Agitation das ursprüngliche Christenthum vor den Neuerungen der
jungen Orthodoxie zu retten, allein die Masse der Lichtfreunde ging von einem
entschieden unkirchlichen Standpunkt aus und das war für den Fall entschei¬
dend, da es sich durchaus um eine Massenbewegung handelte. Den Führern
derselben kommt nur insofern eine Bedeutung zu, als sie laut und unbefangen
das Bewußtsein der Masse ausdrückten.


Grenzboten. I. -I86S. 61
Demokratische Studien.
Zehn Jahre in Magdeburg, 184ö—-18S5. Von Uhlich. S. Auflage.
Magdeburg, Selbstverlag. —
Aus dem Exil. Von Ludwig Simon. 2 Bde. Gießen, Ricker. —

Die Beziehungen zwischen den beiden Parteien, die 1848 und 1849 im
konservativen Interesse zusammentrafen, sind neuerdings so feindseliger Art ge¬
worden, daß es fast so aussieht, wie vor dem Jahre 1847, wo man zwischen
dem Liberalismus und dem Radikalismus kaum einen Unterschied machte. Wir
haben'bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt, daß in vielen einzelnen Fällen,
wo das Motiv der Parteibildung ein rein locales war, sich eine solche Neu¬
tralisation der Gegensätze auch wol denken läßt, was aber die Principien be¬
trifft, so sind sie seit der Zeit nicht viel näher gekommen und wenn man unter
Demokratie dasselbe versteht, was man 1848 darunter verstand, so sind wir
heute noch ebenso ihre entschiedenen'Gegner, als damals. Wenn freilich die so¬
genannte conservative Partei ausschließlich das Interesse der Aristokratie im
Auge behält, so wird der Liberalismus mehr und mehr demokratisch werden
d. h. er wird sich ebenso ausschließlich auf das Bürgerthum stützen, allein
mit der Massenherrschaft wird er sich ebensowenig befreunden können, als
früher. Wenn er dies im Eiser des Parteikampfs zuweilen vergißt, so ist es
gut, daß ihn Stimmen aus den Reihen der alten Demokratie daran erinnern.
In diesem Sinn machen wir auf die beiden obengenannten Schriften aufmerk¬
sam, die freilich ziemlich weit auseinanderliegen.

Daß die lichtfreundliche Bewegung der 40er Jahre nur in sehr eingeschränk¬
ten Sinn eine religiöse genannt werden kann, darüber wird man kaum mehr
in Zweifel sein. Es nahmen zwar einige Männer daran Theil, die aufrichtig
an dem alten Nationalismus festhielten und im besten Glauben handelten,
durch ihre Agitation das ursprüngliche Christenthum vor den Neuerungen der
jungen Orthodoxie zu retten, allein die Masse der Lichtfreunde ging von einem
entschieden unkirchlichen Standpunkt aus und das war für den Fall entschei¬
dend, da es sich durchaus um eine Massenbewegung handelte. Den Führern
derselben kommt nur insofern eine Bedeutung zu, als sie laut und unbefangen
das Bewußtsein der Masse ausdrückten.


Grenzboten. I. -I86S. 61
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[0489] Demokratische Studien. Zehn Jahre in Magdeburg, 184ö—-18S5. Von Uhlich. S. Auflage. Magdeburg, Selbstverlag. — Aus dem Exil. Von Ludwig Simon. 2 Bde. Gießen, Ricker. — Die Beziehungen zwischen den beiden Parteien, die 1848 und 1849 im konservativen Interesse zusammentrafen, sind neuerdings so feindseliger Art ge¬ worden, daß es fast so aussieht, wie vor dem Jahre 1847, wo man zwischen dem Liberalismus und dem Radikalismus kaum einen Unterschied machte. Wir haben'bei einer frühern Gelegenheit ausgeführt, daß in vielen einzelnen Fällen, wo das Motiv der Parteibildung ein rein locales war, sich eine solche Neu¬ tralisation der Gegensätze auch wol denken läßt, was aber die Principien be¬ trifft, so sind sie seit der Zeit nicht viel näher gekommen und wenn man unter Demokratie dasselbe versteht, was man 1848 darunter verstand, so sind wir heute noch ebenso ihre entschiedenen'Gegner, als damals. Wenn freilich die so¬ genannte conservative Partei ausschließlich das Interesse der Aristokratie im Auge behält, so wird der Liberalismus mehr und mehr demokratisch werden d. h. er wird sich ebenso ausschließlich auf das Bürgerthum stützen, allein mit der Massenherrschaft wird er sich ebensowenig befreunden können, als früher. Wenn er dies im Eiser des Parteikampfs zuweilen vergißt, so ist es gut, daß ihn Stimmen aus den Reihen der alten Demokratie daran erinnern. In diesem Sinn machen wir auf die beiden obengenannten Schriften aufmerk¬ sam, die freilich ziemlich weit auseinanderliegen. Daß die lichtfreundliche Bewegung der 40er Jahre nur in sehr eingeschränk¬ ten Sinn eine religiöse genannt werden kann, darüber wird man kaum mehr in Zweifel sein. Es nahmen zwar einige Männer daran Theil, die aufrichtig an dem alten Nationalismus festhielten und im besten Glauben handelten, durch ihre Agitation das ursprüngliche Christenthum vor den Neuerungen der jungen Orthodoxie zu retten, allein die Masse der Lichtfreunde ging von einem entschieden unkirchlichen Standpunkt aus und das war für den Fall entschei¬ dend, da es sich durchaus um eine Massenbewegung handelte. Den Führern derselben kommt nur insofern eine Bedeutung zu, als sie laut und unbefangen das Bewußtsein der Masse ausdrückten. Grenzboten. I. -I86S. 61

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_100992/489>, abgerufen am 07.05.2024.