Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

ein Standesinteresse entgegensetzt. Wo die Bildung der Nation im Adel den
würdigsten Ausdruck findet, wird er sich als der erste Stand im Staate be¬
haupten; wo er sich ihm entgegensetzt, wird er untergehen.




Die leipziger Gewandhausconcerte im Winter
1855 aus 185K

Es wäre unnütz, in diesen Blättern noch einmal darzulegen, worin die
Licht- und Schattenseiten der leipziger Gewandhausconcerte zu suchen sind,
da den Lesern der Grenzboten die vorjährigen Aufsätze hierüber wol noch im
Gedächtniß geblieben sein werden. Der Ruf der Gewandhausconcerte ist so
wohl begründet, ihre Verdienste um die Kunst so mannigfach, daß sie als eine
Autorität vor ganz Deutschland dastehn. In Rücksicht auf diese ehrenvolle Stel¬
lung hat nun vergangenes Jahr sich eine gewichtige Stimme vernehmen lassen,
die erfüllt von dem Wunsch auch für deren ferneres Regiment im Gebiete der
musikalischen Kunst sich nicht scheute, aus die Mängel derselben hinzuweisen,
auf ein gewisses unfertiges, halbschüriges Wesen aufmerksam zu machen, das
sich diesem sonst so ausgezeichnetem Institut angedrängt hat. Man hätte er¬
warten sollen, daß bei der Einsicht, mit welcher jener Freund und Kenner der
Musik seine Wünsche für die Zukunft dieser Anstalt aussprach, bei der schlagenden
Beweiskraft seiner Behauptungen, die unparteiisch Lob wie Tadel mit sich führten,
sich eine größere Bereitwilligkeit würde gezeigt haben, solchen gerechten Anforde¬
rungen nachzukommen, als es im Laufe dieses Winterhalbjahres wirklich der
Fall gewesen ist. Wir enthalten uns einer nochmaligen Darlegung der dort
gerügten Unvollkommenheiten, da wir nur hinter der Klarheit und Ent¬
schiedenheit jener Aufsätze zurückbleiben würden und begnügen uns,-auf die
Nichtachtung so wohlgemeint.en Rathes aufmerksam zu machen.

Es würde freilich einige Anstrengung, ja auch wol einige Kämpfe kosten,
die Anstalt dem Ideal zuzuführen; ein Asyl zu schaffen, in dem die Genien
deutscher Kunst eine beständige Auferstehung feiern, aber nicht ein Wirthshaus
für wandernde Kunstjünger! Könnten diese Zeilen dazu beitragen, die Anstalt,
die sich zu einer in ihrer Arr einzigen stempeln ließe, davor zu bewahren, daß
sie ihrem Zerrbilde entgegenschlendert. So nämlich muß ich das beharrliche
Festhalten eines Standpunktes nennen, der, wenn er auch durch einen großen
Meister herbeigeführt wurde, nicht die Grenze sein darf, bis zu der das In¬
stitut ausbildbar war und über den hinaus kein weiterer Schritt zur Voll¬
kommenheit möglich wäre. Wem 'Concertabendc aus früherer Zeit in der Er¬
innerung sind, der wird, wenn er die epochemachende Zeit, in der Mendelssohn


2i>*

ein Standesinteresse entgegensetzt. Wo die Bildung der Nation im Adel den
würdigsten Ausdruck findet, wird er sich als der erste Stand im Staate be¬
haupten; wo er sich ihm entgegensetzt, wird er untergehen.




Die leipziger Gewandhausconcerte im Winter
1855 aus 185K

Es wäre unnütz, in diesen Blättern noch einmal darzulegen, worin die
Licht- und Schattenseiten der leipziger Gewandhausconcerte zu suchen sind,
da den Lesern der Grenzboten die vorjährigen Aufsätze hierüber wol noch im
Gedächtniß geblieben sein werden. Der Ruf der Gewandhausconcerte ist so
wohl begründet, ihre Verdienste um die Kunst so mannigfach, daß sie als eine
Autorität vor ganz Deutschland dastehn. In Rücksicht auf diese ehrenvolle Stel¬
lung hat nun vergangenes Jahr sich eine gewichtige Stimme vernehmen lassen,
die erfüllt von dem Wunsch auch für deren ferneres Regiment im Gebiete der
musikalischen Kunst sich nicht scheute, aus die Mängel derselben hinzuweisen,
auf ein gewisses unfertiges, halbschüriges Wesen aufmerksam zu machen, das
sich diesem sonst so ausgezeichnetem Institut angedrängt hat. Man hätte er¬
warten sollen, daß bei der Einsicht, mit welcher jener Freund und Kenner der
Musik seine Wünsche für die Zukunft dieser Anstalt aussprach, bei der schlagenden
Beweiskraft seiner Behauptungen, die unparteiisch Lob wie Tadel mit sich führten,
sich eine größere Bereitwilligkeit würde gezeigt haben, solchen gerechten Anforde¬
rungen nachzukommen, als es im Laufe dieses Winterhalbjahres wirklich der
Fall gewesen ist. Wir enthalten uns einer nochmaligen Darlegung der dort
gerügten Unvollkommenheiten, da wir nur hinter der Klarheit und Ent¬
schiedenheit jener Aufsätze zurückbleiben würden und begnügen uns,-auf die
Nichtachtung so wohlgemeint.en Rathes aufmerksam zu machen.

Es würde freilich einige Anstrengung, ja auch wol einige Kämpfe kosten,
die Anstalt dem Ideal zuzuführen; ein Asyl zu schaffen, in dem die Genien
deutscher Kunst eine beständige Auferstehung feiern, aber nicht ein Wirthshaus
für wandernde Kunstjünger! Könnten diese Zeilen dazu beitragen, die Anstalt,
die sich zu einer in ihrer Arr einzigen stempeln ließe, davor zu bewahren, daß
sie ihrem Zerrbilde entgegenschlendert. So nämlich muß ich das beharrliche
Festhalten eines Standpunktes nennen, der, wenn er auch durch einen großen
Meister herbeigeführt wurde, nicht die Grenze sein darf, bis zu der das In¬
stitut ausbildbar war und über den hinaus kein weiterer Schritt zur Voll¬
kommenheit möglich wäre. Wem 'Concertabendc aus früherer Zeit in der Er¬
innerung sind, der wird, wenn er die epochemachende Zeit, in der Mendelssohn


2i>*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0195" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/101722"/>
          <p xml:id="ID_479" prev="#ID_478"> ein Standesinteresse entgegensetzt. Wo die Bildung der Nation im Adel den<lb/>
würdigsten Ausdruck findet, wird er sich als der erste Stand im Staate be¬<lb/>
haupten; wo er sich ihm entgegensetzt, wird er untergehen.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die leipziger Gewandhausconcerte im Winter<lb/>
1855 aus 185K</head><lb/>
          <p xml:id="ID_480"> Es wäre unnütz, in diesen Blättern noch einmal darzulegen, worin die<lb/>
Licht- und Schattenseiten der leipziger Gewandhausconcerte zu suchen sind,<lb/>
da den Lesern der Grenzboten die vorjährigen Aufsätze hierüber wol noch im<lb/>
Gedächtniß geblieben sein werden. Der Ruf der Gewandhausconcerte ist so<lb/>
wohl begründet, ihre Verdienste um die Kunst so mannigfach, daß sie als eine<lb/>
Autorität vor ganz Deutschland dastehn. In Rücksicht auf diese ehrenvolle Stel¬<lb/>
lung hat nun vergangenes Jahr sich eine gewichtige Stimme vernehmen lassen,<lb/>
die erfüllt von dem Wunsch auch für deren ferneres Regiment im Gebiete der<lb/>
musikalischen Kunst sich nicht scheute, aus die Mängel derselben hinzuweisen,<lb/>
auf ein gewisses unfertiges, halbschüriges Wesen aufmerksam zu machen, das<lb/>
sich diesem sonst so ausgezeichnetem Institut angedrängt hat. Man hätte er¬<lb/>
warten sollen, daß bei der Einsicht, mit welcher jener Freund und Kenner der<lb/>
Musik seine Wünsche für die Zukunft dieser Anstalt aussprach, bei der schlagenden<lb/>
Beweiskraft seiner Behauptungen, die unparteiisch Lob wie Tadel mit sich führten,<lb/>
sich eine größere Bereitwilligkeit würde gezeigt haben, solchen gerechten Anforde¬<lb/>
rungen nachzukommen, als es im Laufe dieses Winterhalbjahres wirklich der<lb/>
Fall gewesen ist. Wir enthalten uns einer nochmaligen Darlegung der dort<lb/>
gerügten Unvollkommenheiten, da wir nur hinter der Klarheit und Ent¬<lb/>
schiedenheit jener Aufsätze zurückbleiben würden und begnügen uns,-auf die<lb/>
Nichtachtung so wohlgemeint.en Rathes aufmerksam zu machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_481" next="#ID_482"> Es würde freilich einige Anstrengung, ja auch wol einige Kämpfe kosten,<lb/>
die Anstalt dem Ideal zuzuführen; ein Asyl zu schaffen, in dem die Genien<lb/>
deutscher Kunst eine beständige Auferstehung feiern, aber nicht ein Wirthshaus<lb/>
für wandernde Kunstjünger! Könnten diese Zeilen dazu beitragen, die Anstalt,<lb/>
die sich zu einer in ihrer Arr einzigen stempeln ließe, davor zu bewahren, daß<lb/>
sie ihrem Zerrbilde entgegenschlendert. So nämlich muß ich das beharrliche<lb/>
Festhalten eines Standpunktes nennen, der, wenn er auch durch einen großen<lb/>
Meister herbeigeführt wurde, nicht die Grenze sein darf, bis zu der das In¬<lb/>
stitut ausbildbar war und über den hinaus kein weiterer Schritt zur Voll¬<lb/>
kommenheit möglich wäre. Wem 'Concertabendc aus früherer Zeit in der Er¬<lb/>
innerung sind, der wird, wenn er die epochemachende Zeit, in der Mendelssohn</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 2i&gt;*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0195] ein Standesinteresse entgegensetzt. Wo die Bildung der Nation im Adel den würdigsten Ausdruck findet, wird er sich als der erste Stand im Staate be¬ haupten; wo er sich ihm entgegensetzt, wird er untergehen. Die leipziger Gewandhausconcerte im Winter 1855 aus 185K Es wäre unnütz, in diesen Blättern noch einmal darzulegen, worin die Licht- und Schattenseiten der leipziger Gewandhausconcerte zu suchen sind, da den Lesern der Grenzboten die vorjährigen Aufsätze hierüber wol noch im Gedächtniß geblieben sein werden. Der Ruf der Gewandhausconcerte ist so wohl begründet, ihre Verdienste um die Kunst so mannigfach, daß sie als eine Autorität vor ganz Deutschland dastehn. In Rücksicht auf diese ehrenvolle Stel¬ lung hat nun vergangenes Jahr sich eine gewichtige Stimme vernehmen lassen, die erfüllt von dem Wunsch auch für deren ferneres Regiment im Gebiete der musikalischen Kunst sich nicht scheute, aus die Mängel derselben hinzuweisen, auf ein gewisses unfertiges, halbschüriges Wesen aufmerksam zu machen, das sich diesem sonst so ausgezeichnetem Institut angedrängt hat. Man hätte er¬ warten sollen, daß bei der Einsicht, mit welcher jener Freund und Kenner der Musik seine Wünsche für die Zukunft dieser Anstalt aussprach, bei der schlagenden Beweiskraft seiner Behauptungen, die unparteiisch Lob wie Tadel mit sich führten, sich eine größere Bereitwilligkeit würde gezeigt haben, solchen gerechten Anforde¬ rungen nachzukommen, als es im Laufe dieses Winterhalbjahres wirklich der Fall gewesen ist. Wir enthalten uns einer nochmaligen Darlegung der dort gerügten Unvollkommenheiten, da wir nur hinter der Klarheit und Ent¬ schiedenheit jener Aufsätze zurückbleiben würden und begnügen uns,-auf die Nichtachtung so wohlgemeint.en Rathes aufmerksam zu machen. Es würde freilich einige Anstrengung, ja auch wol einige Kämpfe kosten, die Anstalt dem Ideal zuzuführen; ein Asyl zu schaffen, in dem die Genien deutscher Kunst eine beständige Auferstehung feiern, aber nicht ein Wirthshaus für wandernde Kunstjünger! Könnten diese Zeilen dazu beitragen, die Anstalt, die sich zu einer in ihrer Arr einzigen stempeln ließe, davor zu bewahren, daß sie ihrem Zerrbilde entgegenschlendert. So nämlich muß ich das beharrliche Festhalten eines Standpunktes nennen, der, wenn er auch durch einen großen Meister herbeigeführt wurde, nicht die Grenze sein darf, bis zu der das In¬ stitut ausbildbar war und über den hinaus kein weiterer Schritt zur Voll¬ kommenheit möglich wäre. Wem 'Concertabendc aus früherer Zeit in der Er¬ innerung sind, der wird, wenn er die epochemachende Zeit, in der Mendelssohn 2i>*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/195
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/195>, abgerufen am 03.05.2024.