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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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merkung müssen wir hinzufügen. Wenn die Probleme in allen drei Stücken
der Abstraction entnommen sind, so ist dagegen die Ausführung durchweg
genreartig d. h. die vorkommenden Figuren stellen sich als ganz besondere Er¬
scheinungen dar, und so sind auch hier, wie es häufig vorkommt, die Ertreme
des Idealismus und Realismus miteinander verknüpft.




Cäsar und seine Beurtheilet.

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^ Loup. --

Die französische Republik war noch kein Jahr alt, als Schriftsteller auf¬
traten, die in vollem Ernst und anscheinend in gutem Glauben der Welt ver¬
kündeten, die Zeit der Völkerfreiheit sei vorbei und die Zeit der Cäsaren sei
wiedergekommen, die Menschen seien der Freiheit nicht mehr fähig, sie fielen
sofort der Anarchie anheim, und nur der eiserne Wille eines ebenso entschlosse¬
nen als einsichtsvollen Mannes könne jene Autorität hervorbringen, deren die
Welt bedürftig sei, und die dem schwachen Arm des Gesetzes versagt bliebe.
Die Ansicht wurde heftig bestritten, aber sie fand auch lebhafte Anhänger, selbst
in Kreisen, wo man es am wenigsten erwartet hätte, z. B. innerhalb der
gouvernementalen Partei in Preußen. Es war, kurz gesagt, ein neues Stich¬
wort, und Europa war der alten Stichwörter herzlich müde. Ein Rechtsboden
hatte fortwährend den andern verdrängt, ein constitutionelles System war an
Stelle des andern getreten, keines hatte den Zwang innerer Nothwendigkeit be¬
währt. Die Doktrinärs waren in Verachtung gerathen, man sehnte sich nach
realer Politik d. h. nach Thatkraft und Entschlossenheit. Der Erfolg ist im
Wesentlichen dieser Theorie günstig gewesen, das neue Cäsarenthum ist nicht
nur in der That aufgerichtet, sondern es hat sich bisher mit einem ungewöhn¬
lichen Glanz entwickelt. Das Frankreich der Cäsaren hat wieder ein Ansehn
in der Welt gewonnen, dessen sich weder die Restauration, noch das Bürger¬
königthum, noch die Republik erfreut hatten.

So sorgfältig sich nun der Geschichtschreiber bemüht, nur den Geist der
Zeit, mit der er sich beschäftigt, darzustellen, so wird doch ein ^jedes Bild der
Vergangenheit zugleich ein Spiegel für die Gegenwart. Wir haben vor
kurzem ein historisches Werk des größten Stils besprochen, in welchem die
Apotheose Cäsars die Beziehungen zur gegenwärtigen Politik nicht verleugnete.
An viel höherem Grad muß das bei solchen Schriften der Fall sein, die nicht
aus einem ernsthaften Studium hervorgegangen sind, sondern einem augen¬
blicklichen Bedürfniß entspringen. Als wir also das Buch Lamartines durch-


Grenzboten. II. 1836. < 36

merkung müssen wir hinzufügen. Wenn die Probleme in allen drei Stücken
der Abstraction entnommen sind, so ist dagegen die Ausführung durchweg
genreartig d. h. die vorkommenden Figuren stellen sich als ganz besondere Er¬
scheinungen dar, und so sind auch hier, wie es häufig vorkommt, die Ertreme
des Idealismus und Realismus miteinander verknüpft.




Cäsar und seine Beurtheilet.

.ku!ö5 Lo»al', par Lamartine, 2 Jon. IjnixLllvs Le ^eip/ij>. XiösslmA, Lolinve
^ Loup. —

Die französische Republik war noch kein Jahr alt, als Schriftsteller auf¬
traten, die in vollem Ernst und anscheinend in gutem Glauben der Welt ver¬
kündeten, die Zeit der Völkerfreiheit sei vorbei und die Zeit der Cäsaren sei
wiedergekommen, die Menschen seien der Freiheit nicht mehr fähig, sie fielen
sofort der Anarchie anheim, und nur der eiserne Wille eines ebenso entschlosse¬
nen als einsichtsvollen Mannes könne jene Autorität hervorbringen, deren die
Welt bedürftig sei, und die dem schwachen Arm des Gesetzes versagt bliebe.
Die Ansicht wurde heftig bestritten, aber sie fand auch lebhafte Anhänger, selbst
in Kreisen, wo man es am wenigsten erwartet hätte, z. B. innerhalb der
gouvernementalen Partei in Preußen. Es war, kurz gesagt, ein neues Stich¬
wort, und Europa war der alten Stichwörter herzlich müde. Ein Rechtsboden
hatte fortwährend den andern verdrängt, ein constitutionelles System war an
Stelle des andern getreten, keines hatte den Zwang innerer Nothwendigkeit be¬
währt. Die Doktrinärs waren in Verachtung gerathen, man sehnte sich nach
realer Politik d. h. nach Thatkraft und Entschlossenheit. Der Erfolg ist im
Wesentlichen dieser Theorie günstig gewesen, das neue Cäsarenthum ist nicht
nur in der That aufgerichtet, sondern es hat sich bisher mit einem ungewöhn¬
lichen Glanz entwickelt. Das Frankreich der Cäsaren hat wieder ein Ansehn
in der Welt gewonnen, dessen sich weder die Restauration, noch das Bürger¬
königthum, noch die Republik erfreut hatten.

So sorgfältig sich nun der Geschichtschreiber bemüht, nur den Geist der
Zeit, mit der er sich beschäftigt, darzustellen, so wird doch ein ^jedes Bild der
Vergangenheit zugleich ein Spiegel für die Gegenwart. Wir haben vor
kurzem ein historisches Werk des größten Stils besprochen, in welchem die
Apotheose Cäsars die Beziehungen zur gegenwärtigen Politik nicht verleugnete.
An viel höherem Grad muß das bei solchen Schriften der Fall sein, die nicht
aus einem ernsthaften Studium hervorgegangen sind, sondern einem augen¬
blicklichen Bedürfniß entspringen. Als wir also das Buch Lamartines durch-


Grenzboten. II. 1836. < 36
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[0281] merkung müssen wir hinzufügen. Wenn die Probleme in allen drei Stücken der Abstraction entnommen sind, so ist dagegen die Ausführung durchweg genreartig d. h. die vorkommenden Figuren stellen sich als ganz besondere Er¬ scheinungen dar, und so sind auch hier, wie es häufig vorkommt, die Ertreme des Idealismus und Realismus miteinander verknüpft. Cäsar und seine Beurtheilet. .ku!ö5 Lo»al', par Lamartine, 2 Jon. IjnixLllvs Le ^eip/ij>. XiösslmA, Lolinve ^ Loup. — Die französische Republik war noch kein Jahr alt, als Schriftsteller auf¬ traten, die in vollem Ernst und anscheinend in gutem Glauben der Welt ver¬ kündeten, die Zeit der Völkerfreiheit sei vorbei und die Zeit der Cäsaren sei wiedergekommen, die Menschen seien der Freiheit nicht mehr fähig, sie fielen sofort der Anarchie anheim, und nur der eiserne Wille eines ebenso entschlosse¬ nen als einsichtsvollen Mannes könne jene Autorität hervorbringen, deren die Welt bedürftig sei, und die dem schwachen Arm des Gesetzes versagt bliebe. Die Ansicht wurde heftig bestritten, aber sie fand auch lebhafte Anhänger, selbst in Kreisen, wo man es am wenigsten erwartet hätte, z. B. innerhalb der gouvernementalen Partei in Preußen. Es war, kurz gesagt, ein neues Stich¬ wort, und Europa war der alten Stichwörter herzlich müde. Ein Rechtsboden hatte fortwährend den andern verdrängt, ein constitutionelles System war an Stelle des andern getreten, keines hatte den Zwang innerer Nothwendigkeit be¬ währt. Die Doktrinärs waren in Verachtung gerathen, man sehnte sich nach realer Politik d. h. nach Thatkraft und Entschlossenheit. Der Erfolg ist im Wesentlichen dieser Theorie günstig gewesen, das neue Cäsarenthum ist nicht nur in der That aufgerichtet, sondern es hat sich bisher mit einem ungewöhn¬ lichen Glanz entwickelt. Das Frankreich der Cäsaren hat wieder ein Ansehn in der Welt gewonnen, dessen sich weder die Restauration, noch das Bürger¬ königthum, noch die Republik erfreut hatten. So sorgfältig sich nun der Geschichtschreiber bemüht, nur den Geist der Zeit, mit der er sich beschäftigt, darzustellen, so wird doch ein ^jedes Bild der Vergangenheit zugleich ein Spiegel für die Gegenwart. Wir haben vor kurzem ein historisches Werk des größten Stils besprochen, in welchem die Apotheose Cäsars die Beziehungen zur gegenwärtigen Politik nicht verleugnete. An viel höherem Grad muß das bei solchen Schriften der Fall sein, die nicht aus einem ernsthaften Studium hervorgegangen sind, sondern einem augen¬ blicklichen Bedürfniß entspringen. Als wir also das Buch Lamartines durch- Grenzboten. II. 1836. < 36

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/281>, abgerufen am 04.05.2024.