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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Heinrich von Gagern.

Das Leben des Generals Friedrich von Gagern. Von Heinrich von
Gagern. Erster Band. Mit dem Bildnisse Friedrichs von Gagern. Leip¬
zig und Heidelberg, Wintersche Buchhandlung. --

Heinrich von Gagern erklärt in der Vorrede, er habe schon lange beab¬
sichtigt, seinem Bruder, dem Führer und Leitstern seiner Jugend, ein Denkmal
zu setzen, er habe aber die Ausführung verzögert, um nicht den zu früh dahin¬
gegangenen Freund unter der Unpopularität des Namens Gagern leiden zu
lassen. Den Grund dieser UnPopularität sucht er theils in der natürlichen
Abneigung der Extreme gegen jede Mittelpartei, theils in dem Streben der
charakterlosen Masse, sich für frühere Gedankensünden, für die Theilnahme an
niedergeschlagenen Hoffnungen und Wünschen, durch Schmähungen gegen ihre
frühern Führer zu rechtfertigen.

Wir begreifen es wohl, daß ein Mann, aus den eine Zeitlang hoffnungsvoll
die Blicke des gesammten Deutschland gerichtet waren, es mit Schmerz und
Bitterkeit empfindet, wenn man sich von ihm abwendet, ja ihn mit Lästerungen
Verfolgt; allein wir glauben, daß die Sache in der Wirklichkeit nicht so arg
>se. Wir reden hier nicht von uns d. h. von der liberalen Partei. Wir
haben keinen Augenblick an Heinrich von Gagern gezweifelt. Ueber die Zweck¬
mäßigkeit einzelner seiner Schritte läßt sich streiten; wir sind aber noch
heute bereit, jeden einzelnen dieser Schritte aus dem innern Kern seiner edlen
Natur heraus zu erklären und zu rechtfertigen. In jedem Act seines Lebens
senden wir die ganze groß angelegte und sittlich fromme Natur und wir finden
°>nen innern Zusammenhang, der nicht blos subjectiv ist, sondern der im Wesent¬
lichen mit der Natur und Nothwendigkeit der Zustände übereinkommt. Wenn
^ noch heute, trotz aller äußern Niederlagen sein Princip im vollsten Umfange
"Ut der ganzen Wärme eines jugendlichen Glaubens vertritt, so ist das nicht
blos die Folgerichtigkeit einer rechtschaffenen Seele, sondern es drückt auch die
richtige Einsicht aus. Der Weg, den die deutsche Nation, durch die Gewalt
^r Umstände getrieben, im Jahr 1848 und -1849 einschlug, konnte nicht zurn
Ziele führen, weil in den Voraussetzungen und dem Resultat ein innerer
Widerspruch lag; allein das Ziel ist das richtige, das einzige, welches Deutsch¬
land im Auge behalten muß, um in die Reihe der selbstständigen Völker ein-


Grenzboten. II. -13-36. ' 3,6
Heinrich von Gagern.

Das Leben des Generals Friedrich von Gagern. Von Heinrich von
Gagern. Erster Band. Mit dem Bildnisse Friedrichs von Gagern. Leip¬
zig und Heidelberg, Wintersche Buchhandlung. —

Heinrich von Gagern erklärt in der Vorrede, er habe schon lange beab¬
sichtigt, seinem Bruder, dem Führer und Leitstern seiner Jugend, ein Denkmal
zu setzen, er habe aber die Ausführung verzögert, um nicht den zu früh dahin¬
gegangenen Freund unter der Unpopularität des Namens Gagern leiden zu
lassen. Den Grund dieser UnPopularität sucht er theils in der natürlichen
Abneigung der Extreme gegen jede Mittelpartei, theils in dem Streben der
charakterlosen Masse, sich für frühere Gedankensünden, für die Theilnahme an
niedergeschlagenen Hoffnungen und Wünschen, durch Schmähungen gegen ihre
frühern Führer zu rechtfertigen.

Wir begreifen es wohl, daß ein Mann, aus den eine Zeitlang hoffnungsvoll
die Blicke des gesammten Deutschland gerichtet waren, es mit Schmerz und
Bitterkeit empfindet, wenn man sich von ihm abwendet, ja ihn mit Lästerungen
Verfolgt; allein wir glauben, daß die Sache in der Wirklichkeit nicht so arg
>se. Wir reden hier nicht von uns d. h. von der liberalen Partei. Wir
haben keinen Augenblick an Heinrich von Gagern gezweifelt. Ueber die Zweck¬
mäßigkeit einzelner seiner Schritte läßt sich streiten; wir sind aber noch
heute bereit, jeden einzelnen dieser Schritte aus dem innern Kern seiner edlen
Natur heraus zu erklären und zu rechtfertigen. In jedem Act seines Lebens
senden wir die ganze groß angelegte und sittlich fromme Natur und wir finden
°>nen innern Zusammenhang, der nicht blos subjectiv ist, sondern der im Wesent¬
lichen mit der Natur und Nothwendigkeit der Zustände übereinkommt. Wenn
^ noch heute, trotz aller äußern Niederlagen sein Princip im vollsten Umfange
"Ut der ganzen Wärme eines jugendlichen Glaubens vertritt, so ist das nicht
blos die Folgerichtigkeit einer rechtschaffenen Seele, sondern es drückt auch die
richtige Einsicht aus. Der Weg, den die deutsche Nation, durch die Gewalt
^r Umstände getrieben, im Jahr 1848 und -1849 einschlug, konnte nicht zurn
Ziele führen, weil in den Voraussetzungen und dem Resultat ein innerer
Widerspruch lag; allein das Ziel ist das richtige, das einzige, welches Deutsch¬
land im Auge behalten muß, um in die Reihe der selbstständigen Völker ein-


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[0289] Heinrich von Gagern. Das Leben des Generals Friedrich von Gagern. Von Heinrich von Gagern. Erster Band. Mit dem Bildnisse Friedrichs von Gagern. Leip¬ zig und Heidelberg, Wintersche Buchhandlung. — Heinrich von Gagern erklärt in der Vorrede, er habe schon lange beab¬ sichtigt, seinem Bruder, dem Führer und Leitstern seiner Jugend, ein Denkmal zu setzen, er habe aber die Ausführung verzögert, um nicht den zu früh dahin¬ gegangenen Freund unter der Unpopularität des Namens Gagern leiden zu lassen. Den Grund dieser UnPopularität sucht er theils in der natürlichen Abneigung der Extreme gegen jede Mittelpartei, theils in dem Streben der charakterlosen Masse, sich für frühere Gedankensünden, für die Theilnahme an niedergeschlagenen Hoffnungen und Wünschen, durch Schmähungen gegen ihre frühern Führer zu rechtfertigen. Wir begreifen es wohl, daß ein Mann, aus den eine Zeitlang hoffnungsvoll die Blicke des gesammten Deutschland gerichtet waren, es mit Schmerz und Bitterkeit empfindet, wenn man sich von ihm abwendet, ja ihn mit Lästerungen Verfolgt; allein wir glauben, daß die Sache in der Wirklichkeit nicht so arg >se. Wir reden hier nicht von uns d. h. von der liberalen Partei. Wir haben keinen Augenblick an Heinrich von Gagern gezweifelt. Ueber die Zweck¬ mäßigkeit einzelner seiner Schritte läßt sich streiten; wir sind aber noch heute bereit, jeden einzelnen dieser Schritte aus dem innern Kern seiner edlen Natur heraus zu erklären und zu rechtfertigen. In jedem Act seines Lebens senden wir die ganze groß angelegte und sittlich fromme Natur und wir finden °>nen innern Zusammenhang, der nicht blos subjectiv ist, sondern der im Wesent¬ lichen mit der Natur und Nothwendigkeit der Zustände übereinkommt. Wenn ^ noch heute, trotz aller äußern Niederlagen sein Princip im vollsten Umfange "Ut der ganzen Wärme eines jugendlichen Glaubens vertritt, so ist das nicht blos die Folgerichtigkeit einer rechtschaffenen Seele, sondern es drückt auch die richtige Einsicht aus. Der Weg, den die deutsche Nation, durch die Gewalt ^r Umstände getrieben, im Jahr 1848 und -1849 einschlug, konnte nicht zurn Ziele führen, weil in den Voraussetzungen und dem Resultat ein innerer Widerspruch lag; allein das Ziel ist das richtige, das einzige, welches Deutsch¬ land im Auge behalten muß, um in die Reihe der selbstständigen Völker ein- Grenzboten. II. -13-36. ' 3,6

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/289>, abgerufen am 03.05.2024.