Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

lion der ausübenden Künstler geschehen konnte. Denn es läßt sich nicht leug¬
nen, daß dies Concert in den ersten beiden Sätzen wenig bedeutend ist und
selten sich zu beethovenschem Schwung "erhebt, nur die Polonaise -- die, auch
im vierhändigen.Arrangement sehr populär geworden ist -- zeichnet sich durch
Originalität und Anmuth aus. Dazu kommt aber, daß das ganze Concert
für keins der Instrumente dankbar ist, am wenigsten sür die beiden Saiten¬
instrumente, und namentlich ist das Violoncell durchgehends in /o hoher Lage
gehalten, daß die Schwierigkeiten mit der Wirkung in umgekehrtem Verhältniß
stehen; es ist unbegreiflich, was für eigenthümliche Umstände diese Schreibart
veranlaßt haben können. Es war daher namentlich von Herrn Grützmacher
eine anerkennenswerthe Aufopferung, daß er, um das wenig gespickte Concert
zu Gehör zu bringen, auf eigentlichen Effect seines Spiels beim Publicum ver¬
zichtete; er konnte es in dem Bewußtsein, daß sein Ansehen als Virtuos bei
demselben fest gegründet sei. Herr Laub erholte sich nachher an dem Concert
von Mendelssohn, das er in jeder Hinsicht, was Ton, Fertigkeit, Vortrag
anlangte, schön und edel vortrug und wohlverdienten enthusiastischen Beifall
errang.

Zum Beschluß wurde, wie schon gesagt, der letzte Chor aus dem ersten
Theil des Elias wiederholt. Daß derselbe nach so langer und verschieden¬
artiger Aufregung und Abspannung dieses Abends noch eine durchschlagende
Wirkung machte, so daß man den vollen Eindruck der Großartigkeit des Festes
hinwegnahm, das war das beste Zeugniß sür die Komposition und die Aus¬
führung. Und wie billig brach der Jubel der erhöheten Stimmung in lauten
Beifall aus, fröhliches Tuschblasen und ein Regen von Blumen gaben Rietz
deutlich zu erkennen, daß man dankbar fühlte, wem man vor allem diesen
schönen Genuß zu danken hatte.




Ein Bild aus der Schweizer Gegenwart.

Die Grenzboten führten ihren Lesern unlängst in "Bildern aus der
deutschen Vergangenheit" auch das Werbewesen des vongen Jahrhunderts
vor und schließen in Ur. 3. des diesjährigen Januarheftes ein solches Bild
mit den Worten: "wie die Gewaltthätigkeit der Staatsraison vor hundert
Jahren mit dem Leben, der Freiheit und dem Lebensglück der Einzelne" ge¬
schaltet hat."

Aehnliches erlebt man hier in der Schweiz noch alle Tage. -- Es ist
weltbekannt, daß die Schweiz in früherer Zeit ein ziemliches Contingent Sol-


63*

lion der ausübenden Künstler geschehen konnte. Denn es läßt sich nicht leug¬
nen, daß dies Concert in den ersten beiden Sätzen wenig bedeutend ist und
selten sich zu beethovenschem Schwung «erhebt, nur die Polonaise — die, auch
im vierhändigen.Arrangement sehr populär geworden ist — zeichnet sich durch
Originalität und Anmuth aus. Dazu kommt aber, daß das ganze Concert
für keins der Instrumente dankbar ist, am wenigsten sür die beiden Saiten¬
instrumente, und namentlich ist das Violoncell durchgehends in /o hoher Lage
gehalten, daß die Schwierigkeiten mit der Wirkung in umgekehrtem Verhältniß
stehen; es ist unbegreiflich, was für eigenthümliche Umstände diese Schreibart
veranlaßt haben können. Es war daher namentlich von Herrn Grützmacher
eine anerkennenswerthe Aufopferung, daß er, um das wenig gespickte Concert
zu Gehör zu bringen, auf eigentlichen Effect seines Spiels beim Publicum ver¬
zichtete; er konnte es in dem Bewußtsein, daß sein Ansehen als Virtuos bei
demselben fest gegründet sei. Herr Laub erholte sich nachher an dem Concert
von Mendelssohn, das er in jeder Hinsicht, was Ton, Fertigkeit, Vortrag
anlangte, schön und edel vortrug und wohlverdienten enthusiastischen Beifall
errang.

Zum Beschluß wurde, wie schon gesagt, der letzte Chor aus dem ersten
Theil des Elias wiederholt. Daß derselbe nach so langer und verschieden¬
artiger Aufregung und Abspannung dieses Abends noch eine durchschlagende
Wirkung machte, so daß man den vollen Eindruck der Großartigkeit des Festes
hinwegnahm, das war das beste Zeugniß sür die Komposition und die Aus¬
führung. Und wie billig brach der Jubel der erhöheten Stimmung in lauten
Beifall aus, fröhliches Tuschblasen und ein Regen von Blumen gaben Rietz
deutlich zu erkennen, daß man dankbar fühlte, wem man vor allem diesen
schönen Genuß zu danken hatte.




Ein Bild aus der Schweizer Gegenwart.

Die Grenzboten führten ihren Lesern unlängst in „Bildern aus der
deutschen Vergangenheit" auch das Werbewesen des vongen Jahrhunderts
vor und schließen in Ur. 3. des diesjährigen Januarheftes ein solches Bild
mit den Worten: „wie die Gewaltthätigkeit der Staatsraison vor hundert
Jahren mit dem Leben, der Freiheit und dem Lebensglück der Einzelne» ge¬
schaltet hat."

Aehnliches erlebt man hier in der Schweiz noch alle Tage. — Es ist
weltbekannt, daß die Schweiz in früherer Zeit ein ziemliches Contingent Sol-


63*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0507" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/102034"/>
          <p xml:id="ID_1386" prev="#ID_1385"> lion der ausübenden Künstler geschehen konnte. Denn es läßt sich nicht leug¬<lb/>
nen, daß dies Concert in den ersten beiden Sätzen wenig bedeutend ist und<lb/>
selten sich zu beethovenschem Schwung «erhebt, nur die Polonaise &#x2014; die, auch<lb/>
im vierhändigen.Arrangement sehr populär geworden ist &#x2014; zeichnet sich durch<lb/>
Originalität und Anmuth aus. Dazu kommt aber, daß das ganze Concert<lb/>
für keins der Instrumente dankbar ist, am wenigsten sür die beiden Saiten¬<lb/>
instrumente, und namentlich ist das Violoncell durchgehends in /o hoher Lage<lb/>
gehalten, daß die Schwierigkeiten mit der Wirkung in umgekehrtem Verhältniß<lb/>
stehen; es ist unbegreiflich, was für eigenthümliche Umstände diese Schreibart<lb/>
veranlaßt haben können. Es war daher namentlich von Herrn Grützmacher<lb/>
eine anerkennenswerthe Aufopferung, daß er, um das wenig gespickte Concert<lb/>
zu Gehör zu bringen, auf eigentlichen Effect seines Spiels beim Publicum ver¬<lb/>
zichtete; er konnte es in dem Bewußtsein, daß sein Ansehen als Virtuos bei<lb/>
demselben fest gegründet sei. Herr Laub erholte sich nachher an dem Concert<lb/>
von Mendelssohn, das er in jeder Hinsicht, was Ton, Fertigkeit, Vortrag<lb/>
anlangte, schön und edel vortrug und wohlverdienten enthusiastischen Beifall<lb/>
errang.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1387"> Zum Beschluß wurde, wie schon gesagt, der letzte Chor aus dem ersten<lb/>
Theil des Elias wiederholt. Daß derselbe nach so langer und verschieden¬<lb/>
artiger Aufregung und Abspannung dieses Abends noch eine durchschlagende<lb/>
Wirkung machte, so daß man den vollen Eindruck der Großartigkeit des Festes<lb/>
hinwegnahm, das war das beste Zeugniß sür die Komposition und die Aus¬<lb/>
führung. Und wie billig brach der Jubel der erhöheten Stimmung in lauten<lb/>
Beifall aus, fröhliches Tuschblasen und ein Regen von Blumen gaben Rietz<lb/>
deutlich zu erkennen, daß man dankbar fühlte, wem man vor allem diesen<lb/>
schönen Genuß zu danken hatte.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Ein Bild aus der Schweizer Gegenwart.</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1388"> Die Grenzboten führten ihren Lesern unlängst in &#x201E;Bildern aus der<lb/>
deutschen Vergangenheit" auch das Werbewesen des vongen Jahrhunderts<lb/>
vor und schließen in Ur. 3. des diesjährigen Januarheftes ein solches Bild<lb/>
mit den Worten: &#x201E;wie die Gewaltthätigkeit der Staatsraison vor hundert<lb/>
Jahren mit dem Leben, der Freiheit und dem Lebensglück der Einzelne» ge¬<lb/>
schaltet hat."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1389" next="#ID_1390"> Aehnliches erlebt man hier in der Schweiz noch alle Tage. &#x2014; Es ist<lb/>
weltbekannt, daß die Schweiz in früherer Zeit ein ziemliches Contingent Sol-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 63*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0507] lion der ausübenden Künstler geschehen konnte. Denn es läßt sich nicht leug¬ nen, daß dies Concert in den ersten beiden Sätzen wenig bedeutend ist und selten sich zu beethovenschem Schwung «erhebt, nur die Polonaise — die, auch im vierhändigen.Arrangement sehr populär geworden ist — zeichnet sich durch Originalität und Anmuth aus. Dazu kommt aber, daß das ganze Concert für keins der Instrumente dankbar ist, am wenigsten sür die beiden Saiten¬ instrumente, und namentlich ist das Violoncell durchgehends in /o hoher Lage gehalten, daß die Schwierigkeiten mit der Wirkung in umgekehrtem Verhältniß stehen; es ist unbegreiflich, was für eigenthümliche Umstände diese Schreibart veranlaßt haben können. Es war daher namentlich von Herrn Grützmacher eine anerkennenswerthe Aufopferung, daß er, um das wenig gespickte Concert zu Gehör zu bringen, auf eigentlichen Effect seines Spiels beim Publicum ver¬ zichtete; er konnte es in dem Bewußtsein, daß sein Ansehen als Virtuos bei demselben fest gegründet sei. Herr Laub erholte sich nachher an dem Concert von Mendelssohn, das er in jeder Hinsicht, was Ton, Fertigkeit, Vortrag anlangte, schön und edel vortrug und wohlverdienten enthusiastischen Beifall errang. Zum Beschluß wurde, wie schon gesagt, der letzte Chor aus dem ersten Theil des Elias wiederholt. Daß derselbe nach so langer und verschieden¬ artiger Aufregung und Abspannung dieses Abends noch eine durchschlagende Wirkung machte, so daß man den vollen Eindruck der Großartigkeit des Festes hinwegnahm, das war das beste Zeugniß sür die Komposition und die Aus¬ führung. Und wie billig brach der Jubel der erhöheten Stimmung in lauten Beifall aus, fröhliches Tuschblasen und ein Regen von Blumen gaben Rietz deutlich zu erkennen, daß man dankbar fühlte, wem man vor allem diesen schönen Genuß zu danken hatte. Ein Bild aus der Schweizer Gegenwart. Die Grenzboten führten ihren Lesern unlängst in „Bildern aus der deutschen Vergangenheit" auch das Werbewesen des vongen Jahrhunderts vor und schließen in Ur. 3. des diesjährigen Januarheftes ein solches Bild mit den Worten: „wie die Gewaltthätigkeit der Staatsraison vor hundert Jahren mit dem Leben, der Freiheit und dem Lebensglück der Einzelne» ge¬ schaltet hat." Aehnliches erlebt man hier in der Schweiz noch alle Tage. — Es ist weltbekannt, daß die Schweiz in früherer Zeit ein ziemliches Contingent Sol- 63*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/507
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/507>, abgerufen am 03.05.2024.