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Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band.

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Pompeji und Herculanum.
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Die herculanischen Papyrus.

Wenn im Allgemeinen Bücher ihre Schicksale haben, so gilt dies in einer
ganz besondern Bedeutung von jenen herculanischen Rollen, die, nachdem sie
1700 Jahre in verkohltem Zustande in der Erde gelegen, nun als "Geister",
wie der neapolitanische Antiquar Jorio sagt, die gelehrte Welt schon seit hun¬
dert Jahren beschäftigen. Bevor wir von ihrer Auffindung, den Entwicklungs¬
versuchen und ihrem Inhalt reden, wird es nöthig sein, die äußerliche Beschaffen¬
heit der antiken Bücher kurz zu beschreiben.

Das Hauptmaterial, worauf im spätern Alterthum geschrieben wurde, war
das ägyptische Papier. Die langen dünnen Streifen, in welche die Papyrus¬
staude sich zerschneiden läßt, legte man neben- und übereinander, keimte sie und
konnte so Papierflächen von beliebiger Größe zu Stande bringen. Die Fabri¬
kation stieg mit dem Gebrauch, der namentlich in dem schreibseligen ersten
Jahrhundert nach Christus ins Ungeheure gegangen sein muß. Papier war
ein Hauptausfuhrartikel von Alerandrien, Fabriken gab es auch in Rom, und
man unterschied nach dem Maßstabe der Feinheit, Dünnheit und Glätte acht
verschiedene Sorten. Die gröbste, Waarenpapier genannt, war ohne Zweifel
wie unser Packpapier ausschließlich zum Emballiren bestimmt. Die übrigen
Sorten führten Namen der Kaiser uno Kaiserinnen, wie augustinisches, livi-
sches, clauvischeö. Die Schwärze, mit der man schrieb, war eine Tusche aus
Nuß. Die Alten kannten auch sympathetische Tinten, und Ovid empfiehlt als
solche in der Kunst zu lieben Milch (der Empfänger muß das Blatt mit
Kohlenstaub bestreuen), und den Saft gewisser Pflanzen. Zum Schreiben be¬
diente man sich eines Rohrs, das mit einer Art Federmesser zugespitzt wurde.
In der Regel beschrieb man die Blätter nur auf einer Seite, die Kehrseite
wurde dann höchstens zu Notizen und Brouillons, oder, wenn die Bücher als
Maculatur zum Krämer gewandert waren, zu den Schularbeiten von Kindern
benutzt. Oder man benutzte auch schon beschriebenes Papier, wie Palimpseste.
Indessen bei elegant ausgestatteten Büchern wurde die Rückseite des Papiers
mit Safran oder Ccdernöl gefärbt, und das letztere sollte zugleich einen Schutz
gegen die Motten gewähren. Die Bücher bestanden aus einem einzigen Stück
Papier von beliebiger Länge, jenachdem das Buch groß oder klein war, der
um einen cylindrischen Stab gerollt war; der Anfang des Papyrus war an
diesem Stäbe befestigt. Auf diese Fläche waren die Bücher columnenweis ge¬
schrieben, die Columnen durch kleine Zwischenräume getrennt. Der Lesende
rollte nun Columne nach Columne auf und wieder zu, bis er an die letzte
gelangte und das Buch vollständig zusammengerollt war. Die Stäbe, je nach


Pompeji und Herculanum.
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Die herculanischen Papyrus.

Wenn im Allgemeinen Bücher ihre Schicksale haben, so gilt dies in einer
ganz besondern Bedeutung von jenen herculanischen Rollen, die, nachdem sie
1700 Jahre in verkohltem Zustande in der Erde gelegen, nun als „Geister",
wie der neapolitanische Antiquar Jorio sagt, die gelehrte Welt schon seit hun¬
dert Jahren beschäftigen. Bevor wir von ihrer Auffindung, den Entwicklungs¬
versuchen und ihrem Inhalt reden, wird es nöthig sein, die äußerliche Beschaffen¬
heit der antiken Bücher kurz zu beschreiben.

Das Hauptmaterial, worauf im spätern Alterthum geschrieben wurde, war
das ägyptische Papier. Die langen dünnen Streifen, in welche die Papyrus¬
staude sich zerschneiden läßt, legte man neben- und übereinander, keimte sie und
konnte so Papierflächen von beliebiger Größe zu Stande bringen. Die Fabri¬
kation stieg mit dem Gebrauch, der namentlich in dem schreibseligen ersten
Jahrhundert nach Christus ins Ungeheure gegangen sein muß. Papier war
ein Hauptausfuhrartikel von Alerandrien, Fabriken gab es auch in Rom, und
man unterschied nach dem Maßstabe der Feinheit, Dünnheit und Glätte acht
verschiedene Sorten. Die gröbste, Waarenpapier genannt, war ohne Zweifel
wie unser Packpapier ausschließlich zum Emballiren bestimmt. Die übrigen
Sorten führten Namen der Kaiser uno Kaiserinnen, wie augustinisches, livi-
sches, clauvischeö. Die Schwärze, mit der man schrieb, war eine Tusche aus
Nuß. Die Alten kannten auch sympathetische Tinten, und Ovid empfiehlt als
solche in der Kunst zu lieben Milch (der Empfänger muß das Blatt mit
Kohlenstaub bestreuen), und den Saft gewisser Pflanzen. Zum Schreiben be¬
diente man sich eines Rohrs, das mit einer Art Federmesser zugespitzt wurde.
In der Regel beschrieb man die Blätter nur auf einer Seite, die Kehrseite
wurde dann höchstens zu Notizen und Brouillons, oder, wenn die Bücher als
Maculatur zum Krämer gewandert waren, zu den Schularbeiten von Kindern
benutzt. Oder man benutzte auch schon beschriebenes Papier, wie Palimpseste.
Indessen bei elegant ausgestatteten Büchern wurde die Rückseite des Papiers
mit Safran oder Ccdernöl gefärbt, und das letztere sollte zugleich einen Schutz
gegen die Motten gewähren. Die Bücher bestanden aus einem einzigen Stück
Papier von beliebiger Länge, jenachdem das Buch groß oder klein war, der
um einen cylindrischen Stab gerollt war; der Anfang des Papyrus war an
diesem Stäbe befestigt. Auf diese Fläche waren die Bücher columnenweis ge¬
schrieben, die Columnen durch kleine Zwischenräume getrennt. Der Lesende
rollte nun Columne nach Columne auf und wieder zu, bis er an die letzte
gelangte und das Buch vollständig zusammengerollt war. Die Stäbe, je nach


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[0064] Pompeji und Herculanum. ^ Die herculanischen Papyrus. Wenn im Allgemeinen Bücher ihre Schicksale haben, so gilt dies in einer ganz besondern Bedeutung von jenen herculanischen Rollen, die, nachdem sie 1700 Jahre in verkohltem Zustande in der Erde gelegen, nun als „Geister", wie der neapolitanische Antiquar Jorio sagt, die gelehrte Welt schon seit hun¬ dert Jahren beschäftigen. Bevor wir von ihrer Auffindung, den Entwicklungs¬ versuchen und ihrem Inhalt reden, wird es nöthig sein, die äußerliche Beschaffen¬ heit der antiken Bücher kurz zu beschreiben. Das Hauptmaterial, worauf im spätern Alterthum geschrieben wurde, war das ägyptische Papier. Die langen dünnen Streifen, in welche die Papyrus¬ staude sich zerschneiden läßt, legte man neben- und übereinander, keimte sie und konnte so Papierflächen von beliebiger Größe zu Stande bringen. Die Fabri¬ kation stieg mit dem Gebrauch, der namentlich in dem schreibseligen ersten Jahrhundert nach Christus ins Ungeheure gegangen sein muß. Papier war ein Hauptausfuhrartikel von Alerandrien, Fabriken gab es auch in Rom, und man unterschied nach dem Maßstabe der Feinheit, Dünnheit und Glätte acht verschiedene Sorten. Die gröbste, Waarenpapier genannt, war ohne Zweifel wie unser Packpapier ausschließlich zum Emballiren bestimmt. Die übrigen Sorten führten Namen der Kaiser uno Kaiserinnen, wie augustinisches, livi- sches, clauvischeö. Die Schwärze, mit der man schrieb, war eine Tusche aus Nuß. Die Alten kannten auch sympathetische Tinten, und Ovid empfiehlt als solche in der Kunst zu lieben Milch (der Empfänger muß das Blatt mit Kohlenstaub bestreuen), und den Saft gewisser Pflanzen. Zum Schreiben be¬ diente man sich eines Rohrs, das mit einer Art Federmesser zugespitzt wurde. In der Regel beschrieb man die Blätter nur auf einer Seite, die Kehrseite wurde dann höchstens zu Notizen und Brouillons, oder, wenn die Bücher als Maculatur zum Krämer gewandert waren, zu den Schularbeiten von Kindern benutzt. Oder man benutzte auch schon beschriebenes Papier, wie Palimpseste. Indessen bei elegant ausgestatteten Büchern wurde die Rückseite des Papiers mit Safran oder Ccdernöl gefärbt, und das letztere sollte zugleich einen Schutz gegen die Motten gewähren. Die Bücher bestanden aus einem einzigen Stück Papier von beliebiger Länge, jenachdem das Buch groß oder klein war, der um einen cylindrischen Stab gerollt war; der Anfang des Papyrus war an diesem Stäbe befestigt. Auf diese Fläche waren die Bücher columnenweis ge¬ schrieben, die Columnen durch kleine Zwischenräume getrennt. Der Lesende rollte nun Columne nach Columne auf und wieder zu, bis er an die letzte gelangte und das Buch vollständig zusammengerollt war. Die Stäbe, je nach

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 15, 1856, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341584_101526/64>, abgerufen am 04.05.2024.